Zukunfts-Bauer

Arbeiten Landwirte mit der Natur oder gegen sie? Ist das eine Frage des Standpunkts, der Sichtweise, oder der Zuweisung? Es kommt darauf an, wer das Bild der Landwirtschaft und der Bäuerinnen und Bauern im öffentlichen Diskurs bestimmt. | Foto: Timo Rückauer

„Neunzig Prozent der Narrative über die Landwirtschaft stimmen nicht, oder sie stimmen so nicht.“ Im letzteren Fall sind die Fakten irgendwie korrekt, aber die Schlüsse, die aus ihnen gezogen werden, sind falsch oder unsinnig. So hat mir das ein Landwirt erklärt, als es hier im Blog um die „Fleisch-Wasser-Lüge“ ging. Auch weil das so ist, hat sich jetzt ein Autorenkollektiv daran gemacht, eine neues Narrativ zur Landwirtschaft zu entwickeln.

Der Auftrag kam vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband WLV, dem ältesten Bauernverband Deutschalnds. Er ging an den Kölner rheingold salon, eine Agentur für „qualitative, tiefenpsychologische, morphologische Marktforschung und Strategieberatung“. Die Psychologen und Sozialforscher dort sollten herausfinden, was eigentlich Landwirte und Verbraucher trennt und was die verschiedenen Akteure über die jeweils anderen denken. Es ging um Vorurteile und um die Narrative, die sich aus ihnen entwickeln. Und es ging um eine Idee, wie die Gräben zuzuschütten wären, zwischen denen, die Lebensmittel produzieren und denen, die sie konsumieren.

Psychologie eines Konflikts

Zwei Studienphasen und zwei Jahre später haben Jens Lönneker, Marco Diefenbach und Lukas Struwe ihre Analyse des öffentlichen Vertrauens in Sachen Landwirtschaft vorgelegt. Ihre Studie zeigt auf, wo es mangelt an diesem Vertrauen und warum. Und sie macht einen Vorschlag zur Gestaltung eines neuen, Verbraucher und Landwirte verbindenden Narrativs. Die Autoren nennen es „Zukunfts-Bauer“.

Vor die Entwicklung einer neuen Perspektive für die Landwirtschaft haben die Wissenschaftler aber die Erhebung der gegenwärtigen Situation gesetzt. In tiefenpsychologischen Gesprächen haben sie erst einmal herausgefunden, wie Verbraucherinnen und Verbraucher über die Landwirte denken, und wie Bäuerinnen und Bauern über die Verbraucher.

Psychologe mit Markterfahrung: Marco Diefenbach führte mit seinen Kollegen tiefenpsychologische Interviews mit Verbraucherinnen und Bauern, um unbewusste Motivationen und Zuschreibungen zu erkennen. | Foto: Roland Breitschuh

„Ein Kern des Konzepts des tiefenpsychologischen Interviews ist das Unbewusste“, sagt Marco Diefenbach: „Das Verhalten des Menschen ist einerseits geprägt von dem, was wir gerne als rational ansehen. Es gibt aber Emotionen und Motivationen, die sind uns nicht unbedingt bewusst, prägen uns aber im Zweifelsfall sogar stärker. Was wir hinterher sagen zur Begründung unseres Tuns, ist oft eher nachgelagert. Wir rationalisieren im Nachhinein.“

Die Psychologen wollten aber herausfinden, was uns tatsächlich leitet. Warum sagen die Verbraucher in den Umfragen immer, sie legten besonderen Wert auf das Tierwohl, greifen dann aber im Supermarkt doch nach dem Billigfleisch? Warum sagen die Verbraucherinnen, sie legten besonderen Wert auf Regionalität bei ihren Einkäufen, rennen dann in der Krise aber zum Discounter, wo sie genau nicht wissen, wo die Lebensmittel herkommen, selbst wenn Bio draufsteht. „Entscheidend ist, dass wir in den Interviews an diese Aspekte rankommen“, sagt Marco Diefenbach. Das geht nicht direkt, sondern dadurch, dass wir die Menschen dazu bringen, ihr Erleben und Verhalten zu beschreiben. Dadurch können wir auch die Widersprüchlichkeiten aufspüren, die jeder von uns in sich vereint.“

Die über die

Herausgekommen sind Narrative über die Landwirtschaft, wie wir sie fast täglich auch in den Medien und vor allem im Netz gespiegelt sehen: Landwirte ruinieren die Natur, Landwirte sind Tierquäler. Es gibt aber auch das Narrativ vom guten Biobauern, der allerdings eher wie ein Bild aus dem 18., na gut, sagen wir 19. Jahrhundert aussieht. Die Autoren der Studie haben das „Bullerbü-Paradies“ genannt und es verknüpft mit „der Sehnsucht nach einem paradiesischen Leben“. Die Negativbilder von Landwirtschaft sind indes verknüpft mit einem „Unbehagen über den eigenen Lebenswandel“.

Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, dass sie mit ihrem Konsumverhalten auch die Produktionsbedingungen auf den Höfen und die Lebensbedingungen der Nutztiere beeinflussen. „Im normalen Lebensalltag ist das für die Interviewten jedoch überwiegend kein Thema, es ist nicht permanent Teil des bewussten Handelns“, schreiben die Autoren: „Skandale in der Tierhaltung ermöglichen es dann, das latente Unbehagen aufzugreifen und in Form von Empörung gegenüber Landwirten zu behandeln.“

„Landwirte, die irgendeinen alternativen Weg gefunden haben“, haben in den Gesprächen „einen viel glücklicheren Eindruck auf mich gemacht“, sagt Psychologe und Sozialforscher Lukas Struwe. | Foto: Roland Breitschuh

So sind wir. Wir wissen auch, dass wir uns keineswegs klimaneutral durch die Welt bewegen, wenn wir in den Urlaub fliegen oder fahren. Oder wenn wir jeden Tag duschen, was derzeit aus anderen Gründen in der Diskussion ist. „Ein weitverbreitetes Verhalten, das die meisten Menschen nur ungern aufgeben. An den Landwirten kann dann wieder ein problematischer Umgang mit der Natur abgehandelt werden – ohne das eigene Handeln in großem Umfang zu verändern.“

Die über sich

Bauern hingegen sehen sich als „Ernährer der Nation“, als „ackernde Manager“, als „leidenschaftliche Naturburschen“ und „familiäre Traditionsbewahrer“. So haben das die Autoren der Studie zusammengefasst. Ich bleibe hier mal bei der männlichen Form, die auch die Autoren gewählt haben. Vielleicht auch, weil nur acht Prozent der befragten Menschen aus der Landwirtschaft in der ersten und sechs Prozent in der zweiten Studienphase Frauen waren. Das sagt vielleicht auch etwas über den Zustand der Branche.

Den letzten Teil der Aufzählung der bäuerlichen Selbstbilder hebe ich hier mal hervor, weil es sein kann, dass da bald nichts mehr zu bewahren ist, weil Traditionen enden. Als „familiäre Traditionsbewahrer“ sehen sich die Bauern nämlich zumeist, weil sie aus Familien stammen, die zum großen Teil schon seit Generationen Landwirtschaft betreiben. Und weil die derzeitige Situation genau diese Tradition bedroht. „Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind ihrer Ansicht nach unsicher und die gesellschaftliche Anerkennung ist eher gering.“ Entsprechend fällt es schwer, die nächste Generation vom Weitermachen zu überzeugen.

Auch deshalb braucht es ein neues Selbstbild und ein neues Selbstbewusstsein und wieder mehr gesellschaftliche Anerkennung. Die man aber nicht durch Schuldzuweisungen und Rückzug erlangt. „Wir haben bei unseren Gesprächen festgestellt, dass sich manche Landwirte auch gerne mal in ihrem Hof zurückziehen“, sagt Lukas Struwe. „Sie sprechen dann davon, dass die Städter nur fordern und nichts verstehen, sind aber auch nicht bereit, sich auf die zuzubewegen und sich zu erklären. Da fehlt das Vertrauen.“ Was wohl für beide Seiten gilt. Andererseits stellt Lukas Struwe fest, dass Landwirte, die sich nicht zurückziehen offensichtlich ein besseres Leben haben: „Meine Erfahrung war in den Interviews, dass die Landwirte, die irgendeinen alternativen Weg gefunden haben, einen viel glücklicheren Eindruck auf mich gemacht haben.“

Nein, ein Bilderbuch ist das großformatige Buch zur Studie „Zukunfts-Bauer“ nicht. Hier soll ein Bild nur verdeutlichen, wie ein Narrativ transportiert wird. Für das des Zukunfts-Bauern müssen die Bilder erst noch gemacht werden. | Foto: LV.Buch

Positiv Narrativ

Nach der Feststellung des Ist-Zustands und seiner Mängel haben die Autoren positivere Narrative über die Landwirtschaft entwickelt und den Interviewten angeboten. Das Ziel ist, das Bild von der Landwirtschaft in den Köpfen von den eingefleischten Vorurteilen zu entfernen. Und das mit Hilfe eines neuen Narrativs.

Aber sind Narrative nicht eigentlich nur in Geschichten gefasste Vorurteile? „Narrativ ist in unserem Sinne nicht gleichzusetzen mit Vorurteil, sondern erst einmal neutraler“, sagt Marco Diefenbach. „Narrative sind nicht so verfestigt wie Vorurteile. Sie können sich zu Vorurteilen verfestigen, sind aber eigentlich komplexere Geschichten, die grundsätzlich wandelbar sind. Uns geht es darum, die Narrative, die vielleicht auch hinter Vorurteilen liegen, zu verstehen.“

Und warum muss dann ein neues Narrativ entwickelt werden, in die Welt gesetzt werden, um die alten zu verdrängen? Weil wir in Geschichten denken. Weil eine Geschichte viel besser Informationen transportieren kann als eine Faktensammlung.

„Notwendig wäre aus den gegenseitigen Zuschreibungen, die Landwirte und Verbraucher derzeit trennen, eine gemeinsame Erzählung zu entwickeln, in der sich beide Seiten wiederfinden können“, sagt Marco Diefenbach: „Es geht darum, dieses ‚Schwarzer-Peter-Spiel‘ aufzulösen und die Spaltung zu überwinden. Das würde auch bedeuten, die Entfernung der Verbraucher von den Landwirten zu überwinden.“

Diese Entfernung ist längst nicht mehr nur eine räumliche, sie ist auch eine kulturelle. Für die meisten „Städter“, jetzt sage ich das auch mal so, gehört Landwirtschaft nicht mehr zum Erfahrungshorizont. Schon gar nicht in ihrer modernen Form, egal, ob konventionell oder Bio.

Vielleicht hat es auch deshalb am Ende das Konzept des Narrativs vom Zukunfts-Bauer in der Gunst der befragten Landwirte ebenso zur Nummer eins gebracht wie bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Mitte der Gesellschaft

Der den Befragten in der Studie vorgelegte Text zum Zukunfts-Bauern ist dieser hier:

„Landwirtschaft heißt, Zukunft gestalten. Wenn die Zukunft für immer mehr Menschen gesichert werden soll, können Umwelt, Böden und Vieh nicht immer weiter so ausgebeutet werden, dass sie dauerhaft geschädigt werden. Landwirtschaft der Zukunft bedeutet daher mehr als Ertragssteigerung. Schon jetzt produziert die Landwirtschaft erneuerbare Energien, entwickelt zum Beispiel Kartoffelzüchtungen für Salzböden oder arbeitet an der Steigerung der Bodenqualität mit dem Ziel, weniger Pflanzenschutz einsetzen zu müssen. Landwirtschaft war schon immer aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien. Die Kombination alten Wissens und moderner Technik kann Nachhaltigkeitsaspekte stärken und Umwelt bewahren, ohne dass dies zulasten der Produktionsmengen gehen muss. Technik und Landwirtschaft könnten also in Zukunft mehr denn je miteinander harmonieren.“

Die Studie als gedrucktes Buch. Die Methode, die hier auf die Landwirtschaft angewendet wurde, ließe sich auch auf andere gesellschaftliche Konfliktfelder übertragen.

Der Deutsche Bauernverband, der nach dem WLV in das Studienprojekt eingestiegen ist, hat parallel eine „AG Zukunftsbauer“ arbeiten lassen. Der Deutsche Bauerntag hat im Juni in Lübeck dann beschlossen, einen gleichnamigen Prozess zu starten, der die Bauern zu einem neuen „Selbst- und Rollenverständnis“ führen soll. „Dazu gehört die Bereitschaft, gedanklich über die landwirtschaftlichen Kreise hinauszugehen, sich auf die Gesellschaft zuzubewegen und vor allem das vertraute „Schwarzer-Peter-Spiel“ zwischen der Landwirtschaft und ihren Kritikern zu beenden“, schreibt die Arbeitsgruppe in ihrer Diskussionsvorlage für den Bauerntag.

Auch das Wort Zeitenwende kommt vor in den Papieren zum Prozess Zukunftsbauer. Und der Ukraine-Krieg ebenfalls, der – wie hier mehrfach berichtet – viele alte Diskussionsgräben wieder aufgerissen hat: „Die ‚AG Zukunftsbauer‘ empfiehlt den Entscheidungsgremien des Deutschen Bauernverbandes eine tiefgehende, breit angelegt und mutige Debatte über einen echten Paradigmenwechsel. Sie tut dies auch im Wissen, dass der russische Angriff auf die Ukraine dem Thema Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln und Energie eine stärkere Bedeutung verliehen hat. Aktuell verlieren die Klimakrise und das Artensterben dadurch in der medialen Öffentlichkeit etwas an Bedeutung. Die Probleme sind damit aber nicht gelöst. Die Landwirtschaft ist gut beraten, sich auch dieser Themen weiterhin aktiv anzunehmen. Dies wäre ein Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft und auch zu mehr Wertschöpfung für unsere Betriebe.“

Auf dem Weg

Es gibt schon Bauern, die den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft gehen. Das sind zum Beispiel die Direktvermarkter, die sich auf die Verbraucherinnen und Verbraucher einlassen, die ihre Hoftore aufmachen und auch die Stalltüren. Und die derzeit dennoch bestraft werden, weil die Leute in der Krise zu den Discountern rennen.

Das sind aber auch die Pioniere anderer Formen des Wirtschaftens und Zusammenarbeitens. Im nächsten Podcast stelle ich eine inzwischen traditionsreiche Gemeinschaft der Solidarischen Landwirtschaft vor. Es gibt auch Genossenschaften von Bauern, Verbrauchern und Händlern wie Landwege in Lübeck, um die es hier im Blog und im Podcast schon einmal ging.

Ebenfalls im Blog und im Podcast habe ich die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof vorgestellt. Da haben sich Milchbauern aufgemacht in die Zukunft. Und das ohne staatliche Projektmittel, sondern mit Unterstützung ihrer Kundinnen und Kunden, die freiwillig zwanzig Cent mehr zahlen für jeden Liter Milch. Das Geld wird investiert in den Umbau der Höfe – für mehr Tierwohl und Kälber, die bei ihren Müttern bleiben dürfen.

Das ist übrigens ganz moderne Landwirtschaft und das Gegenteil von Bullerbü. Auf dem Hof Tams zum Beispiel, einem von fast vierzig Betrieben der Bauerngemeinschaft, werden nach dem Umbau des Kuhstalls Melkroboter eingesetzt werden. „Oh je“, sagte Lukas Struwe von rheingold salon, als ich das Beispiel nannte, „diese Geschichte muss man aber komplett erzählen, sonst denken die Verbraucher beim Stichwort Melkroboter sofort: ‚Massentierhaltung‘.“ Ja, solche Geschichten muss man vollständig erzählen, sonst passen sie auch nicht ins Narrativ Zukunfts-Bauer. Johannes Tams will die Melkroboter nämlich anschaffen, um mehr Zeit für die Tiere zu haben. Er braucht die für die Betreuung der Mütter oder Ammenkühe und ihrer Kälber. Mehr Tierwohl ist nämlich auch mehr Arbeit. Und die muss auch bezahlt werden.