Schon lange diskutieren wir in Deutschland darüber, wie viele Lebensmitteln wir an Tiere verfüttern, die wir Menschen auch direkt essen könnten. Richtig Fahrt aufgenommen hat die Diskussion aber erst seit dem jüngsten russischen Angriff auf die Ukraine. Erst als die Weizenexporte von dort blockiert waren, wurde uns klar, wie viele Länder von importierten Weizen abhängig sind. Und in der Folge dann, wieviel Getreide bei uns im Trog statt auf dem Teller landet. Und wieviel davon anderswo Hunger bekämpfen könnte.
Sechzig Prozent unserer Getreideernte lande im Futtertrog, sagten damals Misereor und Greenpeace. Und das müsse aufhören. Um das gleich vorweg zu sagen: die Zahl ist falsch. Es ist weniger, aber dennoch sehr viel: 53 Prozent. Und die Gegenrede kam ohnehin sofort: Mit dem, was im Futtertrog lande, könne man Menschen nicht ernähren. Es sei minderwertige Qualität, mit der man kein Brot backen könne. Außerdem, tönte der Bauernverband, verhindere die verschärfte Düngeverordnung die Produktion von backfähigem Weizen, weil der unter Stickstoffmangel leide.
Backfähigkeit
Die Ernte ist inzwischen eingefahren und sie ist tatsächlich schlechter als in anderen Jahren. Was eher am fehlenden Niederschlag dieses Jahres liegen dürfte, als am fehlenden Stickstoff aus dem mit Erdgas produzierten Kunstdünger.
Es ist still geworden auf den Äckern und stiller auch in der Diskussion um Teller oder Trog. Damit die richtige Zeit, mal nachzufragen, was dran ist an der ehemals erregt geführten Diskussion.
Erste Frage: Kann man mit dem Getreide backen, mit dem wir Tiere füttern? Die Antwort kam von Greenpeace und sie lautet: Ja! Man kann sogar mit Futterweizen Brot backen. In bewährter Manier trat die Umweltorganisation den Beweis an. Sie kaufte fünf Tonnen Futterweizen der Qualitätsstufe C, ließ sie in einer Mühle mahlen und von einem Bäcker zu Brot backen. Was zu beweisen war, quod erat demonstrandum: Es geht!
Was sagt die Vorsitzende der „Freien Bäcker“ dazu, die sich der handwerklichen Backkunst ohne Zusatzstoffe verschrieben haben? Anke Kähler sagt: „Ich habe das Brot gesehen. Es ist ein essbares gutes Brot dabei herausgekommen. Aber Brötchen kann man mit diesem Mehl nicht backen.“ Also genau das, was die meisten von uns von einer Bäckerei oder von deren Ableger im Supermarkt jederzeit verlangen. Das geht nicht, denn dazu braucht es mehr Kleber im Mehl. Gemeint ist Klebereiweiß, auch Gluten genannt. Der Kleber hält den Teig zusammen, auch wenn im Inneren die Hefe oder der Sauerteig ausgast und ihn wie erwünscht aufbläht.
Die jüngste Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums weist für Deutschland eine Getreideernte von 39 Millionen Tonnen aus. Davon sind etwas mehr als 21 Millionen Tonnen Weizen. Der teilt sich auf in die offiziellen Qualitäten. Es gibt E-Weizen, A-, B- und C-Weizen. E steht für Elite, A für Qualitätsweizen, B für Brotweizen, C steht für Futter- oder Keksweizen. Und wie misst man den Unterschied dann am Ende – nach der Ernte? Über den Proteingehalt, also die Menge an Eiweiß im Korn. Und genau das ist das Problem
Anke Kähler berichtet, dass sie das schon sehr lange kennt. Schon vor vielen Jahren hat die Bäckermeisterin bei Landwirten Weizen eingekauft, der angeblich zu wenig Protein hatte, um damit backen zu können. Unter dreizehn Prozent taugt er nur noch für Futter, sagen das Bundessortenamt und der Handel. Man könne damit nicht backen.
Und die Bäcker können es doch. „Es kommt auf die Sorte an“, sagt Anke Kähler. Unter den 160 verschiedenen Weizensorten, die wir am Markt haben, gibt es welche, die eine gute Backqualität mitbringen, auch ohne hohen Proteingehalt. „Das hängt an der Genetik der Pflanze.“ Und die lässt sich nicht durch die Bestimmung des Proteingehalts im Korn messen.
Klimaweizen
Seit Jahren sei bekannt, dass die Bewertung der Backfähigkeit des Weizens nicht praxisgerecht ist, sagen die Freien Bäcker. Es wird auch an neuen Methoden geforscht, aber es gibt den überall verfügbaren Schnelltest noch nicht. Vielleicht auch, weil es ihn nicht geben soll.
Im internationalen Handel wird die Qualität des Weizens via Proteingehalt bestimmt. Mehr Protein – höherer Preis. Unter dreizehn Prozent taugt das Getreide angeblich nur noch als Futter. Dabei wird, zumindest bei uns, nur ganz wenig Weizen als Futtergetreide angebaut. Unter zahn Prozent ist dessen Anteil. Über neunzig Prozent des angebauten Weizens, des wichtigsten Korns auf deutschen Äckern, sollen mehr werden. Die Bauern wollen mindestens A- oder B-Weizen erzeugen.
Das allerdings gelingt nur sicher, wenn relativ spät in der Entwicklung der Pflanze noch einmal Stickstoff auf den Acker kommt, oder dieser im Boden vorhanden ist, weil vorher die richtige Zwischenfrucht dort gestanden hat. Wenn es dann im späten Frühjahr aber nicht mehr regnet, kann die Pflanze den Stickstoff nicht aufnehmen. Dann entstehen gleich zwei Probleme: Kein A- oder B-Weizen und zu viel Stickstoff im Boden, der dann später irgendwann im Grundwasser oder im Bach landet.
Der Klimawandel hat in den letzten Jahren in Deutschland verbreitet zu Frühjahrstrockenheit geführt. Das macht den Anbau von Qualitätsweizen mit hohem Proteingehalt deutlich schwieriger. Es sei denn, man weicht auf andere Weizensorten aus.
Die Freien Bäcker beteiligen sich gerade an einem Feldversuch, der nicht mehr mit einzelnen Sorten experimentiert, sondern mit einer ganzen Weizenfamilie. Auf dem Feld stehen dann verschiedene Weizen, die nah miteinander verwandt sind, aber nicht identisch. Mit der höheren genetischen Diversität versucht man, ein resilienteres Weizenfeld zu erzeugen, das mit Klimaschwankungen besser umgehen kann.
Kleberqualität
Schon jetzt besser umgehen mit schwankenden Qualitäten beim Weizen können die Bios. Gut Rosenkrantz zum Beispiel, eine große „Handelsgesellschaft für Naturprodukte“ und Biomühle in Neumünster, verlässt sich nicht auf den Proteingehalt beim Weizen. Hier wird die Kleberqualität gemessen. Aus den Getreideproben wird der Gluten geholt und auf Festigkeit und Viskosität geprüft.
Ortger Weidlich von Gut Rosenkrantz sagt, dass es nicht nur auf die Menge des Klebers im Mehl ankomme, sondern auch auf dessen Qualität: „Es kann viel Kleber drin sein, wenn der aber kurz und rissig ist, kann der Bäcker damit nicht viel anfangen.“ Deshalb wird bei Rosenkrantz der sogenannte Glutenindex ermittelt. Überhaupt ist viel Laborarbeit angesagt bei den Biomühlen, bevor Getreide eingekauft und zum Rohstoff für Mehle verschiedener Qualitäten gemischt wird.
Warum aber können sich die Biomühlen ihre Rohstoffe genauer anschauen als die konventionellen? Anke Kähler von den Freien Bäckern sagt, das liege daran, dass im Biobereich meist vor Ort bei den Bauern oder den Erzeugergemeinschaften Proben gezogen werden und der Handel erst später zustande kommt.
Bei den konventionellen Händlern oder Mühlenbetrieben stünden in der Erntezeit die Lastwagen vor der Tür Schlange und es müsse einen Schnelltest geben. Dass der derzeitige, der allein den Proteingehalt misst, nicht tauge, um die Qualität des Getreides wirklich zu bestimmen, sei der ganzen Branche seit langem bekannt. Es gäbe aber noch keine Alternative.
Und so lange es die nicht gibt, kann man immer leicht behaupten, die oder jene Partie Weizen tauge nicht zum Backen und müsse also in den Trog oder zum Biodiesel oder in die Stärkeproduktion. Auch wenn das Gegenteil längst bewiesen ist. Aber eben nicht mit dieser oder jener Partei Weizen …
„Im Biobereich“, sagt Louisa von Münchhausen von Gut Rosenkrantz, „gibt es die Diskussion um Teller oder Trog weniger. Die Preisunterschiede zwischen Futter- und Brotgetreide sind so groß, dass der Anreiz immer da ist, Brotweizen zu produzieren.“ Und da die Labortests differenzierter sind, stellt sich das am Ende für die Bäuerinnen und Bauern auch differenzierter dar. Entsprechend bietet die Mühle den Bäckereien auch diverse Mehlqualitäten an. Mit genauen Angaben über Proteingehalt und Kleberqualität. Das muss auch sein, weil bei den Biobäckern, zumal bei denen, die den Anbauverbänden angehören, die Zugabe von technischen Enzymen und vielen anderen Backmitteln verboten ist.
Backstube
Bei einem Besuch in der Backstube der Bäckerei, deren Brot ich häufig esse, wird das alles noch einmal komplizierter. Und vor allem wird der Unterschied zwischen konventionellen und biologischen Backwaren deutlich. Das „rösche“ Großbrötchen, für das viel Kleber und viel Treibmittel im Teig sein muss, das gibt es hier bei den „Joldelundern“ in Nordfriesland nicht. Das ist ohne technische Hilfsstoffe nicht herstellbar. Und die Kundinnen und Kunden des Biobäckers erwarten das auch nicht. „Hoffentlich“, sagt Daniel Lorenzen, einer der beiden Söhne der Bäckerfamilie, die in den Betrieb eingestiegen sind.
„Wir haben ganz andere Probleme“, sagt Vater Gerd Lorenzen. Zum Beispiel beim Dinkel, der ja auch eine Weizenart ist. „Der backt gerne sehr trocken, so dass die Krume des Brotes dann bröselt.“ Was sie nicht soll. „Wir wollen ja eine butterstreichfähige Oberfläche.“ Was macht der Bäcker in einem solchen Fall? „Wir stellen dann zum Beispiel ein Kochstück her, das wir dem Teig beimischen.“
Dafür wird ein kleiner Teil des Mehls in viel Wasser gegeben und dann unter stetigem Rühren aufgekocht, bis eine puddingartige Masse entstanden ist. Wasser wird auf diese Weise fast schnittfest gemacht. Am Ende bringt das dem Brotteig die nötige Feuchtigkeit.
Auch sonst können die Bäcker in Joldelund mit verschiedenen Mehlqualitäten differenziert umgehen. Dieses Jahr zum Beispiel, als das Mehl aus der neuen Ernte angeliefert wurde, da war das auch bitter nötig. Die Trockenheit auf den Äckern schlug in die Backstube durch.
„Das höre ich schon, wenn die Knetmaschine den Teig bearbeitet: Die Qualität ist deutlich schlechter als in den vergangenen Jahren“, sagt Daniel Lorenzen. „Wir brauchen dann schon mal zwei Wochen und ein paar Tricks, bis die Ergebnisse wieder so sind wie zuvor. Dann ist aber jeder in der Backstube sensibilisiert und weiß, dass der Teig jetzt nicht mehr viel verzeiht.“
Dass der Bäcker dem Teig beim Kneten anhört, wie es ihm geht, habe ich in Joldelund gelernt. Ob man das wohl in der Meisterschule lernt? Vielleicht muss man dafür eher als Geselle drei Jahre und einen Tag auf die Walz gehen, wie das Daniel Lorenzen gemacht hat.
Sein Bruder Jasper erzählt von einem Sensibelchen von Brot, das die Bäckerfamilie im vergangenen Winter entwickelt hat: ein Weizen-Sauerteigbrot. Der Teig dazu darf vor dem Backen dreißig Stunden im Gärkörbchen gehen. „Und“, sagt Jasper Lorenzen, „wenn der danach mit groben Händen angefasst wird, sackt der sofort zusammen und wird zum Backstein.“ Ganz vorsichtig müsse der Teigling aus dem zuvor besonders gut bemehlten Gärkörbchen geklopft werden. Und der Teig dazu müsse auch tatsächlich ausreichend Kleber haben, sonst wird das nicht so „fluffig“, wie es sein soll.
Da ist der Feuchtkleber, den Gut Rosenkrantz beim Einkaufen des Korns extra prüft, dann doch vonnöten, wenn es um Spezialitäten aus der Backstube geht.
Das geht dann eben doch nicht mit Futterweizen der Kategorie C. Die ja aber auch fast kein Landwirt in Deutschland bewusst anbaut. Nur der Protein-Schnelltest macht am Ende aus Backweizen Futtergetreide oder Rohstoff für Stärke und Biosprit. Diese Testmethode sollte wohl dringend durch eine praxistauglichere ersetzt werden, damit wir wirklich wissen, was Tierfutter ist und was für die menschliche Ernährung taugt.