Solidarisch einkaufen? Fehlanzeige

Biokunden kaufen beim Discounter. Unklar ob die Tomaten in diesem Jahr alle verkauft werden können. Thomas Wolff vom Direktvermarkter Querbeet im Gewächshaus. | Foto: Daniel Banner

Die Urlaubsregionen in Deutschland sind voll, die Bioläden eher leer. Staus gibt es nicht vor den Hofläden, dafür auf Straßen, vor Zügen und in Flughäfen. Die Deutschen geben Geld aus für den Urlaub, und sie sparen beim Essen. Und das ausgerechnet bei den regionalen Strukturen, die unsere Landwirtschaft zukunftsfähig machen und gegen Klimakrise und Artenschwund helfen.

Russlands Angriff auf die Ukraine hat in Deutschland den Bio-Boom beendet. Das ist wenig logisch, weil die Biolandwirtschaft am ehesten unabhängig ist von russischem Gas. Sie verwendet beispielsweise keinen Kunstdünger, für dessen Produktion es jede Menge Erdgas braucht. Schon deshalb müsste der Preisschub durch die kriegsbedingte Energiekrise eher die „konventionellen“ Lebensmittel treffen. Das geschieht auch. Dennoch bricht der Absatz von Bioprodukten bei Direktvermarktern ein, und auch der Naturkostfachhandel ächzt. Wie ist das zu erklären?

Preissensible Einkaufsverlagerung

Zuerst mal die Bestandsaufnahme, die nicht ganz einfach ist, da der Zeitraum noch recht kurz ist. Nicht für einen Krieg, der schon viel zu lange dauert, aber für die Bewertung des Verhaltens von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern. Eines lässt sich jetzt wohl schon recht sicher sagen: In der Krise sparen die Menschen in Deutschland am Essen. Was nicht heißt, dass weniger gegessen wird, sondern erst einmal nur, dass viele anders einkaufen.

„Der Naturkostfachhandel hat seit Beginn des Krieges mit Umsatzeinbußen zu kämpfen“, sagt Tina Andres, die Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft: „Im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres gab es eine Normalisierungstendenz. Da flachte der Corona-Boom allmählich ab, weil die Menschen wieder essen gegangen sind und teilweise aus dem Home Office raus und wieder in Kantinen. Das hat sich dann Anfang dieses Jahres fortgesetzt, aber mit dem Krieg und der Inflation ist jetzt eine deutliche Kaufzurückhaltung spürbar geworden.“

Biolebensmittel aus der Region, zu fairen Preisen, von Höfen die klimaschonend arbeiten und die Biodiversität fördern. Vielen war das immer wichtiger geworden. Dann kam der Krieg. | Foto: Landwege

Tina Andres merkt das auch im eigenen Betrieb, der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft Landwege in Lübeck, zu der rund dreißig Höfe in der Region gehören, fünf Bio-Märkte und die älteste Bäckerei der Stadt. Der Absatzeinbruch im Bio-Sektor bezieht sich dabei aber nur auf den Fachhandel. Dort seien die Umsätze um durchschnittlich zehn Prozent zurückgegangen. „Der Absatz von Bio generell ist von der Zurückhaltung der Verbraucher weniger betroffen als konventionelle Lebensmittel. Das heißt Bio-Kunden kaufen weiter Bio, sie verlagern nur ihre Einkäufe zum Teil in den konventionellen Handel. Und dort haben die Discounter einen großen Zulauf, mehr als die normalen Supermarktketten.“

„Preissensible Einkaufsverlagerung“, nennt man das im Handel. Man kann das auch drastischer ausdrücken: „Die Geiz-ist-geil-Mentalität schlägt in der Krise wieder durch“, sagt mir ein Direktvermarkter, „ich dachte, wir hätten die hinter uns gelassen.“ Nein, haben wir offenbar nicht.

Näher am wahren Preis

Vor allem mit ihren Eigenmarken können die Supermarktketten und Discounter preiswerter Bio anbieten als der Fachhandel, selbst wenn der schon selbst eine kleine Ladenkette hat, wie die Landwege-Genossenschaft. „Was uns teurer macht in der Wahrnehmung der Menschen, ist, dass wir halt nachhaltig entlang der ganzen Lieferkette wirtschaften“, sagt Tina Andres. „Wir garantieren mit unserer Wirtschaftsweise den Erhalt der bäuerlichen Betriebe in der Region und deren Vielseitigkeit, ihre klimaschonende Arbeitsweise und die Förderung der Biodiversität.“

Landwege zahlt den Mitgliedshöfen außerdem faire Preise für ihre Produkte, worüber ich hier im Blog und auch im Podcast schon berichtet habe. Daher sind die Preise im Laden dann aber auch nah am „wahren Preis“, den uns die Lebensmittel wirklich kosten. Ohne externalisierte Kosten für Umweltbelastungen, die die Discounter und Ketten auf die Gesellschaft und die Natur abwälzen, und die es auch bei Bio noch immer gibt, wenn auch lange nicht in gleicher Höhe wie bei den „Konventionellen“. Auch davon war hier vor längerer Zeit schon die Rede.

Wobei eine der derzeitigen Krisen dazu führt, dass gerade bei den konventionellen Lebensmitteln ein Teil der bis vor kurzem noch ausgelagerten Kosten jetzt auf die Preise durchschlägt. Nicht die Kosten der Klimakrise und auch nicht die der Biodiversitätskrise. Es ist die durch den Krieg ausgelöste Energiekrise, die die Lebensmittelpreise treibt. Und das hauptsächlich bei konventionell erzeugten Lebensmitteln.

„Wir haben ja keine Lebensmittelkrise“, sagt Tina Andres, „wir haben genug zu essen und können das auch produzieren. Wir haben eine Energiekosten- und Futtermittelkrise.“ Und die schlägt hauptsächlich im konventionellen Sektor durch, denn der ist abhängig von Importen und mit fossilem Gas erzeugten Düngemitteln. Natürlich sind auch bei den Bio-Produzenten die Preise gestiegen, auch sie müssen transportieren, auch Biobäcker backen mit Gas, auch Biomolkereien wärmen mit Gas. Aber der Preisanstieg bei Bio-Lebensmitteln ist deutlich geringer als bei den konventionellen. Das hilft nur nichts, wenn die Kundinnen und Kunden zur „preissensiblen Einkaufsverlagerung“ neigen.

„Wir haben keine Lebensmittelkrise,“ sagt Tina Andres, die Vorstandsvorsitzende des BÖLW, „wir haben eine Energiekosten- und Futtermittelkrise.“ Und die haben eigentlich nicht die Bios. | Foto: Landwege

Kaum Preisanstieg bei Bio

Dabei scheinen viele Biokäufer ihr Einkaufsverhalten verlagert zu haben, ohne tatsächlich auf die Preise zu schauen. Der alteingesessene Direktvermarkter Querbeet aus der hessischen Wetterau zum Beispiel beklagt einen zwanzigprozentigen Einbruch beim Verkauf auf den regionalen Märkten. Noch mehr ist der Umsatz beim traditionellen Vertrieb von Gemüsekisten eingebrochen. Gründer Thomas Wolff graut vor den Ende Juli beginnenden Sommerferien in Hessen: „Schon in den Osterferien hatten wir einen Umsatzrückgang um fünfzig Prozent. Das gab es noch nie in den 26 Jahren Lieferservice.“

120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Querbeet. Die meisten im Vertrieb und Verkauf auf den regionalen Wochenmärkten im Rhein-Main-Gebiet und beim Lieferservice in der Region. Zwei Betriebe gehören zu Querbeet. Der Pappelhof mit 45 Hektar Obst- und Gemüseanbau und der ein paar Kilometer entfernte Gemüsehof im eher für seine Rosen bekannten Steinfurth. Dort sind es noch einmal zwanzig Hektar Feingemüse, auch in Gewächshäusern. Achttausend potenzielle Kundinnen und Kunden beziehen den wöchentlichen Newsletter von Querbeet mit den Angeboten des Lieferservices, etwa 2600 von ihnen haben pro Woche noch Anfang des Jahres bestellt. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges sind es rund fünfhundert weniger.

„Ich erlebe das dann auch samstags, wenn ich mit auf den Markt fahre“, erzählt Thomas Wolff, „dass die Kunden sagen: Das jetzt dann doch lieber nicht, wenn man hochpreisige Produkte hat. Leider haben wir das auch sehr stark bei unserem eigenen Grünspargel gemerkt, den wir bis Mitte Juni hatten. Bei den Erdbeeren haben wir unsere noch verkauft, aber ich weiß von einigen Kollegen aus der Region, dass sie ihre Erdbeeren zum Teil schon vor der Ernte umgebrochen haben.“

Die Preise der Produkte aus eigenem Anbau hat Querbeet bewusst nicht erhöht. „Wir hätten schon erhöhen müssen“, sagt Thomas Wolff, „weil wir ja auch mit Lieferwagen unterwegs sind. Aber wir haben uns aufgrund der aktuellen Situation entschieden, die Preise zu halten und sogar Sonderaktionen zu fahren. Wir sehen dennoch, dass die Kunden in die Supermarktketten und zu den Discountern abwandern.“ Reden kann er schließlich nur mit denen, die weiter beim Lieferservice bestellen oder die an den Marktstand kommen. „Wenn uns die Kunden jetzt sagen, dass wir teurer als sonst sind, dann können wir immerhin sagen: Nein, das stimmt nicht! Beim Spargel lagen wir sogar leicht unter dem Vorjahrespreis. Wir wollten signalisieren, dass wir bereit sind, auf die angespannte Situation zu reagieren.“

Trotz Absatzkrise gerade nochmal alle verkauft: Erdbeerernte bei Querbeet. Andere Direktvermarkter haben ihre Erdbeeren untergepflügt. | Foto: Daniel Banner

„Kaufen Sie solidarisch“ hat Thomas Wolff seinen jüngsten Rundbrief an die Kundinnen und Kunden überschrieben. Aktuell bietet Querbeet Bio-Eier fünfzehn Cent unter dem bisherigen Preis an. Der Partnerbetrieb, der die Hühner hält, will damit versuchen, die Eier überhaupt noch zu verkaufen. Wo demnächst neue Hennen aufgestallt werden müssten, bleiben die Ställe und Wiesen dann wohl erstmal leer. Wenn das so weitergeht, wird es schlecht aussehen mit dem Bio-Osterei im nächsten Jahr.

Politik und Appell

Noch Anfang des Jahres schaute Thomas Wolff eher frohgemut in die Zukunft. „Wir haben nach dem Regierungswechsel vom neuen Bundeslandwirtschaftsminister endlich mal eine klare Ansage gehört: 30 Prozent Bio bis 2030. Da haben wir alle gesagt: Wow! Endlich!“ Er hat sich damals auch für viele konventionell wirtschaftende Kollegen gefreut, von denen er wusste, dass sie auf Bio umstellen wollen. Jetzt würden sie dabei Unterstützung bekommen von der Bundesregierung.

Dann kam der Krieg und ganz andere Diskussionen brachen los. Bio sollte Pause machen, ebenso die in der EU ab 2023 geplante Flächenstilllegung. Schon jetzt brachliegende Äcker wurden flugs wieder für die Bewirtschaftung freigegeben. Und von Unterstützung bei der Umstellung auf Biolandwirtschaft ist eher nicht mehr die Rede.

„Da muss jetzt von der Politik eine klare Richtungsansage kommen“, fordert Thomas Wolff: „Wir bleiben dabei! Wir fördern den Ökolandbau und die Umstellung, denn das ist der Weg in die Zukunft. Und das nicht nur für die Landwirtschaft. Das sollte auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern klar sein: Die Klimakrise ist da, wir kämpfen hier täglich damit. Und wenn der Krieg vorüber ist, wird es die Klimakrise nicht sein. Die macht keine Pause!“

Der Satz könnte auch von Tina Andres kommen. Ihr Appell an uns: „Eure Direktvermarkter sind diejenigen, die eine stabile und hochwertige Nahrungsmittelversorgung sichern. Auch wenn das Erdgas ganz wegbleibt, ist die regionale Bio-Landwirtschaft immer noch die bessere Option. Ihr wollt hochwertige Nahrungsmittel und ihr wollte eine Veränderung in der Nahrungsmittelproduktion, ihr wollt regionale Produktion. All das gibt es nicht beim Discounter.“

Join your local dealer, meint das. „Denn wenn der Krieg irgendwann vorbei ist, sind die Biodiversitäts- und die Klimakrise immer noch da. Und die Antwort auf diese Krisen ist nach wie vor die regionale biologische Lebensmittelwirtschaft. Und die braucht auch die lokalen Absatzwege neben den nationalen oder globalen Ketten.“

Ernst machen!

„Wir brauchen eine klare Ansage aus Berlin, sonst wird das nix mit dreißig Prozent Bio“, sagt Martin Häusling, Biobauer und Europaabgeordneter der Grünen. | Foto: Häusling

Und die Politik? „Die muss mal Ernst machen mit ihren dreißig Prozent Öko“, sagt ein Politiker. Der nordhessische Biobauer Martin Häusling sitzt für die Grünen im Europaparlament. „Nicht immer nur sagen: Jaja, wir wollen das, und bei der nächsten Gelegenheit vor denen einknicken, die jetzt wieder Ausgleichsflächen unter den Pflug nehmen wollen und auf Klimakrise und Biodiversitätskrise keine Rücksicht mehr nehmen.“ Die großen Ackerbaubetriebe, genau die, die die meisten Probleme verursachen würden, wären die Krisengewinnler. Trotz der hohen Preise für Kunstdünger könnten die „eine Flasche Schampus aufmachen“, wenn die Getreideernte eingefahren sei. Die kleinen Betriebe, die auf Viehhaltung angewiesen sind, seien die Verlierer.

Für die Biolandwirtschaft auch noch nicht gut, so Martin Häusling, sei die bundesdeutsche Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, denn sie stelle die Bios teilweise schlechter als die Konventionellen. „Es liegt an den Ländern, die Ökos zu fördern. Aber nicht alle Bundesländer machen das. Wir brauchen eine klare Ansage aus Berlin, sonst wird das nix mit dreißig Prozent Bio!“

Und wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher unser preissensibles Ausweicheinkaufen nicht bald wieder einstellen, wird das auch nix mit der regionalen Bio-Landwirtschaft. Dann sind nämlich nach Krieg und Inflation weder der lokale Bio-Markt noch vorhanden, noch der Hofladen und der Direktvermarkter auf dem Wochenmarkt. Und die Bio-Gemüsekiste kommt dann auch nicht mehr ins Haus. Nur die Klimakrise und die Biodiversitätskrise, die stehen dann deutlicher ins Haus als je zuvor.