»Nutztier Honigbiene« habe ich diesen Blog und den zugehörigen Podcast überschrieben. Wozu das? Wissen wir nicht alles über unsere Bienen? Sagen wir’s so: Es gibt ein gefestigtes Allgemeinwissen über die Biene. Vom Schwänzeltanz über die Bestäubungsleistung, die aus Asien eingeschleppte Varroamilbe, bis zum Einsteinzitat. Der soll gesagt haben, dass, wenn die Biene ausstirbt, der Exitus der Menschheit vier Jahre später folgt. Hat er nicht gesagt. Schon die exakte Zeitangabe von vier Jahren müsste stutzig machen. Wie hätte der zugegeben geniale Physiker − der aber kein Imker war, nicht einmal ein Hobbyimker − das wohl so genau errechnen können? Hätte sich die Menschheit nicht ein wenig länger von all dem ernähren können, was auch ohne Bienen fruchtet? Getreide zum Beispiel.
Wenn aber das Einsteinzitat gar nicht von Albert Einstein stammt, was ist dann wohl mit all unserem anderen Allgemeinwissen über die Biene? Und wie geht es ihr wirklich: Wie steht es um Apis mellifera, die Westliche Honigbiene? Was ist mit dem Bienensterben?
Bienenhype
Die gute Nachricht zuerst: Die Honigbiene ist nicht vom Aussterben bedroht. Im Gegenteil. Das Statistische Bundesamt verzeichnet in den vergangenen zehn Jahren einen Anstieg der von Imkern gehaltenen Bienenvölker in Deutschland von 699 auf 996.000. Das ist die Zahl von 2022. Inzwischen dürfte die Million erreicht sein. Das ist dann im Frühjahr und Frühsommer bei bis zu 50.000 Tieren pro Volk schon eine beachtliche Armada an Immen. Und ob das wirklich eine gute Nachricht ist – für all die anderen Insekten, das ist eine ganz eigene Frage.
Es gab einen regelrechten Bienenhype, Hobbyimker machten sich überall ans Werk, die Stadtimkerei boomte. Auch wenn dieser Hype ein wenig abzuflauen scheint, haben wir so viele Imkerinnen und Imker und so viele Honigbienenvölker wie nie. Aber geht es diesen Bienen auch gut in ihren von Menschen gemachten Behausungen? Und sind so viele Honigbienen auch gut für die Natur? Zum Beispiel für die Wildbienen, die auch an Nektar und Pollen wollen? Von den ehemals über sechshundert heimischen Wildbienenarten gelten schon knapp vierzig als ausgestorben. Auch wegen der Konkurrenz des von uns gehaltenen und gezüchteten Nutztiers Honigbiene? Das wäre noch zu klären.
Zwei Ausgaben des Führerscheins für Einkaufsfragen widme ich den Bienen. In diesem ersten Teil geht es darum, wie es dem Nutztier Honigbiene bei uns geht und damit geht es auch darum, wie viel und welchen Honig wir guten Gewissens essen können.
Problem Hobbyimker
Fangen wir erst einmal damit an, wie es den Imkern geht, denn das lässt auch Rückschlüsse darauf zu, wie es ihren Tieren geht. »Schlecht«, sagt Imker Mirko Lunau aus Ahrensbök bei Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern: Schlecht gehe es den meisten Berufsimkern und entsprechend auch ihren Tieren. Er kenne eigentlich gar keinen Kollegen, der von der Imkerei wirklich gut leben könne. Und erzählt dann eine Geschichte, die typisch ist für die Landwirtschaft: »Wir haben 150.000 Hobbyimker in Deutschland, die ihren Honig für fünf oder sechs Euro an der Haustür verschleudern.« Währen der Verband der deutschen Berufsimker gerade errechnet habe, dass ein Kilo Honig in der Herstellung sechzehn Euro kostet. Ein Glas Honig müsste also acht Euro kosten, wenn nur die Herstellungskosten gedeckt sein sollten. Damit hätte der Imker noch nichts verdient.
Das Typische an der Geschichte ist, wie sie an dieser Stelle weitergeht: Um dem Kostendruck standzuhalten vergrößern die Berufsimker die Anzahl ihrer Bienenvölker und versuchen, den höchstmöglichen Ertrag herauszuholen. Mirco Lunau hält hundert Bienenvölker in einem Gemischtbetrieb, der nicht nur vom Honig leben muss. Die Kollegen, die versuchen, allein von der Imkerei zu leben, müssen mindestens das dreifache an Völkern halten. Und sie müssen ihre Bienen dazu bringen, ein Mehrfaches an Honig zu produzieren.
Das hört sich an wie andere Berichte aus der Landwirtschaft. Der Verkauf der Lebensmittel deckt kaum die Kosten, weshalb versucht wird, über Quantität etwas mehr zu verdienen. Ähnlich wie das lange Zeit Milchbauern gemacht haben: Wenn der Milchpreis zu gering war, haben sie mehr Kühe angeschafft und dann noch versucht, die zur Höchstleistung zu bringen. Auf Kosten des Tierwohls.
Drohende Mangelernährung
Was diese Entwicklung für die größeren Tiere in der Landwirtschaft bedeutet – für das Geflügel, die Schweine oder Rinder −, das wird inzwischen recht breit diskutiert. Aber wie steht es denn um das Tierwohl bei dem Nutztier Honigbiene? »Auch schlecht«, sagt Mirko Lunau. Und das nicht nur, weil mit den Bienen so umgegangen wird wie mit der Turbokuh.
»Ich habe das Gefühl, die Bienen sind irgendwie herausgefallen aus der Landwirtschaft«, sagt er. Um ihre Bedürfnisse habe sich Jahrzehnte lang niemand mehr gekümmert. »Die Bienen bauchen eigentlich Höfe, die anders bewirtschaftet werden, als die, die wir gerade haben. Und auch Biohöfe werden ja intensiv bewirtschaftet. Auch dort wird das Kleegras gemäht, bevor es blüht, weil die Kuh eiweißreiches Futter braucht. Helfen würden Bereiche, die nicht intensiv bewirtschaftet werden oder vom Gärtner für Gründüngung verwendet werden.« Nur, so etwas gäbe es in unseren Landschaften kaum noch. Und es helfe den Bienen keineswegs, wenn die Imker sie mit Zucker über den Winter bringen. Der liefert zwar Energie, aber nicht das Eiweiß, das die Bienen danach für sich und ihre Brut brauchen. Eiweißlieferant ist der Pollen. Und den gebe es immer weniger und in immer geringerer Vielfalt.
Dazu kommt, dass mit zunehmendem CO2 in der Atmosphäre die Pflanzen immer weniger Stickstoff aus der Luft binden. »Das C zu N Verhältnis im Pollen wird immer weiter«, sagt Mirko Lunau. Was bedeutet: mehr Kohlenstoff, weniger Stickstoff, und damit weniger Eiweiß im Pollen. Bei Pollen-Untersuchungen sind in vielen Proben nur noch durchschnittlich sechzehn Prozent Eiweiß gefunden worden. Die Bienen brauchen aber über zwanzig Prozent. Das heißt: »In Zeiten von Klimawandel, Trockenheit und Armut an Flora haben wir bei den Bienen eine permanent drohende Mangelernährung.«
Problem Berufsimker
Wenn in dieser Situation der Imker dann auch noch möglichst viel Honig ernten will oder wegen des Kostendrucks auch muss, dann hält er zwei oder dreimal so viele Bienenvölker wie Mirko Lunau mit seinen hundert. Und er setzt immer neue Honigräume auf die Brutkästen der Bienen, die von den Imkern Beuten genannt werden. Mit einem neuen leeren Honigraum animiert der Imker die Bienen, immer weiter und weiter zu sammeln und mehr zu fliegen, als ihnen guttut. So lange da leere Waben nachgeliefert werden, versuchen die Bienen diese zu füllen. Natürlich nicht für den Imker, sondern als Vorrat für das Volk. Und wenn viel gesammelt werden muss, dann legt die Königin auch immer mehr Eier für ein immer größeres Bienenvolk. Und in der neuen Brut vermehren sich die Varroamilben, die vom Imker dann mit Säure getötet werden müssen, die aber auch die Bienen beeinträchtigt bis verletzt.
Erst wenn kein Honig mehr geerntet, also weggenommen wird, kommen die Bienen ein wenig zur Ruhe und können sich um anderes kümmern, etwa um die eigene Körperpflege und damit die Gesundheit des ganzen Volkes. Bienen, die Zeit haben, sammeln sich zum Beispiel gegenseitig die Varroamilben vom Leib oder reinigen ihr Zuhause.
Umgekehrt heißt die Gleichung: Mehr Honigproduktion gleich mehr Bienenbrut gleich mehr Varroamilben. Denn die Milbe vermehrt sich nur in der Brut. Will sagen: Die Imker machen das selber, dass die Bienen mit mehr Brut wegen mehr Honigernte ein wachsendes Problem haben.
Weniger Honig – mehr Biene
Wie wäre es denn, wenn wir anders umgehen mit dem Nutztier Biene? Mirko Lunau ist Demeter-Imker. Der Bioanbauverband Demeter ist bekannt dafür, sich selbst die strengsten Richtlinien für die Tierhaltung zu geben. Das gilt auch für die Bienen. Der sogenannten »wesensgemäßen Imkerei« hat sich Demeter verpflichtet. Dazu gehört auch, dass die Bienenvölker nicht über Gebühr zur Honigproduktion gezwungen werden und auch mit dem eigenen Honig durch den Winter gehen, also nicht nur mit Zuckerwasser als Ersatz.
Die Folge ist eine deutlich geringere Honigernte. »Ich ernte im langjährigen Mittel ein Drittel dessen, was meine konventionellen Kollegen ernten, oder auch die Kollegen von Bioland.« Das sind zwischen 28 und 35 Kilo Honig pro bewirtschaftetem Volk, und nicht siebzig, achtzig oder hundert Kilo und mehr. Die Benchmark läge bei den Kollegen bei hundert Kilo Honig pro Volk und Jahr.
Mirko Lunau wüsste schon, was er tun müsste, um ebenfalls so viel zu ernten. Zuerst einmal den Anbauverband Demeter verlassen, denn dessen Richtlinien verhindern diese Erntemenge. »Bei Demeter lassen wir die Bienen ihre Waben selber bauen, weil das zu ihrem Wesen gehört. Und ein Kilo Wachs, was die Bienen ausschwitzen, hat schon mal sechs Kilo Honig gebraucht. Dazu kommt, dass unsere Völker nicht kastriert sind. Wir lassen die Drohnen in den Völkern.« Er vergleicht das mit den Bruderhähnen der Legehennen, die von den Biolandwirten ja auch mit großgezogen werden. »Bruderdrohne bleibt bei uns im Volk.« Die Aufzucht der Drohnen kostet aber auch nochmal sechs bis zehn Kilo Honig pro Volk und Jahr.
»Dann lassen wir die Bienen auch schwärmen, wenn sie sich vermehren wollen. Und ein geschwärmtes Volk muss alles erst einmal neu aufbauen: Waben und Futtervorrat und Brutraum. Ein Teil der Ernte geht also für die natürliche Vermehrung drauf.« Und am Ende bleibt dann noch Honig für den Winter im Stock.
Die meisten konventionellen Imkerinnen und Imker lassen das Schwärmen übrigens nicht zu. Sie brechen die sogenannten Weiselzellen aus, in denen neue Königinnen heranwachsen – und bringen die Königinnen damit schlicht um. Dann werden Königinnen gekauft und mit irgendwelchen Bienen zusammengesteckt, auf dass die gewünschten Zuchtvölker entstehen, die genetisch auf Leistung und Friedfertigkeit optimiert sind.
Die Demeter-Imker setzen keine auf Legeleistung und Sammelleistung getrimmten Zuchtköniginnen ein. Ihre Bienenvölker ziehen sich ihre Königin selbst heran und die wird dann hoffentlich von vielen Drohnen aus der Nähe begattet. »Es ist wie bei der modernen Hochleistungskuh im Vergleich zu den alten Landrassen«, sagt Mirko Lunau und nennt seine Bienen »Mecklenburgische Landrasse«.
Wesensgemäße Bienenhaltung
Die Imkereikooperative Lehmann aus Schleswig-Holstein gibt ihren Kundinnen und Kunden zu den Honiggläsern kleine scheckkartengroße Handzettel mit. Auf einem davon steht »Wesensgemäße Bienenhaltung ist eine Bienenhaltung, bei der die Bedürfnisse der Menschen und der Bienen im Gleichgewicht sind, das heißt, dass die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse dem Wohlbefinden und der Integrität des Bienenvolkes nicht schaden darf.«
Klingt gut, irgendwie nach Interessensausgleich. Nur welches Interesse hätten die Bienen wohl an den Bedürfnissen der Menschen? Demeter-Imker Hans-Joachim Lehmann sagt, er wenigstens habe ein Interesse daran, dass es den Bienen in seiner Obhut gut geht. Und die Abwägung der beiden unterschiedlichen Interessen von Mensch und Biene sei im Übrigen ein ständiges Ringen.
»Es ist ein Ringen mit meinen Bedürfnissen und denen der Bienenvölker. Und die Grenze ist, wo ich die Integrität dieses Volkes nicht mehr wahre, wo ich so in dieses Volk eingreife, dass es seine ureigenste Wesenheit aufgeben muss.«
Er vergleicht das mit einer Auseinandersetzung zwischen Menschen, die dazu führt, dass einer sein Gesicht verliert. So nennen wir eine persönliche Verletzung. Und die kann man einem Bienenvolk auch zufügen, zumal, wenn man das Ganze als einen Organismus versteht. So wie das die Imkervereinigung »Mellifera« tut, die sich der wesensgemäßen Imkerei verschrieben hat. Da wird aus dem Bienenvolk ein einziger Bien. Und die wesensgemäße Imkerei will »den Bien als Ganzes sehen und seinen natürlichen Anlagen gemäß halten.«
Isolierte Beuten
»Wesensgemäßes Imkern ist Ausdruck der Liebe zu den Bienen und möchte den Bienen Raum geben auf dieser Erde«, schreibt die Imkereikooperative aus Schleswig-Holstein auf ihre Infozettel. Raum geben die vier Imkerinnen und Imker der Kooperative ihren derzeit 66 Bienenvölkern in regelrechten Häusern. Die sorgen für Schatten im Sommer und bessere Wärmeisolation im Winter. In den Bienenhäusern stehen dann die Kästen, in denen die Bienen leben. Bei den Demeter-Imkern sind diese Kästen aus Holz, das innen rau ist, damit die Bienen ihr hauseigenes Antibiotikum und Antimykotikum dort gut aufbringen können – die Propolis. In den Zargen hängen dann die Rähmchen, in die die Bienen ihre Waben bauen. Bei der Imkereikooperative Lehmann sind das Holzrähmchen von 35 mal 31,5 Zentimetern. Das ist, wie könnte es anders sein, ein Norm-Maß: anderthalbmal DN − Deutsches Normal.
In den so genormten Zargen, den Beuten, wie die Imker die Bienenkästen nennen, hängen normalerweise zwölf Rähmchen. Bei den Demeter-Imkern der Kooperative Lehmann sind es maximal neun Rähmchen. Links und rechts nämlich stecken Massivholzisolierungen, die einerseits für eine bessere Dämmung der Kästen sorgen, andererseits für konstante Luftfeuchtigkeit.
Wenn die Bienenbeuten besser isoliert sind gegen Kälte und Wärme, müssen die Bienen nicht so viel arbeiten, um ihren Stock zu kühlen oder zu heizen. Das spart Energie und Lebenszeit. Wenn die Bienenvölker nicht immer neue Honigräume aufgesetzt bekommen, müssen sie nicht so viel fliegen und sammeln. Auch das verlängert das Leben der einzelnen Arbeiterin, die dann nicht so schnell ersetzt werden muss. Eine Sommerbiene kann in ihrem fünf Wochen währenden Leben den Nektar für gut zwei Gramm Honig sammeln. In einem Glas Honig stecken also mindestens zweihundert Bienenleben, die auch kürzer gewesen sein können, wenn die Bienen viel sammeln mussten. Wie gut diese Bienenleben verlaufen sind, das entscheidet im Wesentlichen der Imker, oder die Imkerin.
Raum nehmen und geben
Bei der kleinen Imkerei »Apislazuli« in Dörverden an der Aller sind es zwei Imkerinnen, die mitentscheiden, wie gut es ihren Bienen geht. Zum Beispiel, indem sie ihnen entsprechend Raum geben, Wohnraum und Raum zum Honigsammeln.
»Es ist ganz wichtig, dass sie im Winter wenig Raum haben, damit sie nicht so viel Energie brauchen, um ihren Stock warm zu halten«, sagt Jutta Sundermann. Im Frühjahr dann, spätestens wenn der Raps anfängt zu blühen, gibt sie ihren Bienen einen Honigraum dazu. Das ist ein zusätzlicher, mit Rähmchen und meist auch mit vorgefertigten Waben bestückter Kasten, der auf den Wohnraum des Bienenvolkes gesetzt wird. Nach unten hin trennt den Honigraum ein Gitter vom Brutraum ab, das so feinmaschig ist, dass die Königin nicht hindurch kann, eine kleinere Arbeiterin aber schon. So können im Honigraum keine neuen Brutwaben von der Königin mit Eiern belegt werden. »Wenn das Wetter und die Tracht stimmen, dann wird der Honigraum schnell angenommen und die Bienen sind sehr eifrig«, sagt Jutta Sundermann.
Sie ist irgendetwas zwischen einer Hobbyimkerin und einer Professionellen. Die Imkerei mit nur dreizehn Völkern, versorgt immerhin den eigenen großen Hof mit mehreren Wohngemeinschaften mit Honig, und Läden Solidarischer Landwirtschaftsprojekte in Bremen. Die Imkerei trägt sich finanziell selbst und hat im vergangenen Jahr sogar einen kleinen Gewinn abgeworfen. Die beiden Imkerinnen arbeiten zwar nach Bio-Kriterien, sind aber nicht zertifiziert, weil die Gebühren dafür wieder zu teuer wären für ihren kleinen Laden, sagt Jutta Sundermann.
Sie hockt in der kühlen Frühjahrssonne vor den Bienenstöcken und schaut, was die Immen eintragen. Wie sehen ihre Pollenhöschen aus: heute von weißgrau über gelb bis leuchtend orange. Oft ist es so, dass sich fast ein ganzes Bienenvolk auf eine Blüte konzentriert. Dann haben es andere Pflanzen schwer, mit ihren Blüten noch die Aufmerksamkeit der Bienen auf sich zu ziehen. Das scheint bei diesem Volk nicht so zu sein. »Die haben sich für Vielfalt entschieden«, sagt die Imkerin. Da ist viel Rapspollen, aber dazwischen sind auch noch Pollen von Obstbaumblüten und das Orange ist der Löwenzahn.«
Sie horcht auf das Summen ihrer Bienen und befindet dann: »Denen geht es gut!« Erfahrene Imkerinnen können am Flugloch schon sehen und hören, ob es dem Volk gut geht oder etwas nicht in Ordnung ist. Dazu muss man nicht in die Kiste schauen, sagt Jutta Sundermann.
»Wir wollen die Tiere so wenig wie möglich stören. Man sagt, dass jede Störung, also das Öffnen der Beute, die Tiere um Tage oder sogar Wochen zurückwirft. Und wenn wir reingucken müssen, stecken wir natürlich immer alle Rähmchen an denselben Ort wieder zurück. Wir würden das auch nicht mögen, wenn unser Wohnzimmer plötzlich in einer anderen Etage landet.« Genau das habe ich aber schon häufig ganz anders gesehen. Da werden sogar in Lehrfilmen fürs moderne Imkern ganz bewusst Rähmchen umgesteckt, so als wisse der Imker besser, wie sich die Bienen organisieren sollten.
Dabei kann man sehr gut sehen, wie sie ihr Raumaufteilung aufbauen. Außen lagert der Honigvorrat, ganz innen befindet sich die Brut, und um die herum liegen noch einmal Waben, die mit einer Mischung aus Honig und Pollen gefüllt sind, damit es die Ammen, die sich um die Brut kümmern, nicht so weit haben zur Babynahrung. »Diesen Aufbau sollte man niemals stören«, sagt Jutta Sundermann.
Geschützter Brutraum
In der Demeter-Imkerei ist der Brutraum des Bienenvolkes noch einmal besonders geschützt. »Das Bienenvolk hat eine natürlich Form«, sagt Hans-Joachim Lehmann, »und das ist die Zapfenform. Darin muss Platz sein für den Vorrat, für die Pollen und für die Brut.« Die Demeter-Imker haben sich nun dazu entschieden, diesen Brutraum ungeteilt zur Verfügung zu stellen, also in einer ausreichend großen Kiste. In diesem Brutraum bauen die Bienen dann selbst ihr Wabenwerk, so wie sie das wollen und brauchen.
»Wir sehen das ganze Bienenvolk als ein Wesen, also nicht das Einzeltier, sondern alle zusammen. Und das Wabenwerk ist Teil dieses Organismus. Das ist ja ein Stoffwechselprodukt wie bei uns der Knochenbau«, sagt Hans-Joachim Lehmann. Damit könne man das am besten vergleichen, wobei wir Menschen nicht auch noch unsere Kinder im Knochengerüst bekommen, die Bienen aber schon. »Jedenfalls ist das Wabenwerk der Bienen für uns enorm wichtig, so wie sie das erschaffen, in der Struktur und dieser organischen Form. Deshalb greifen wir da niemals ein.
Leere Landschaft
Das alles ist so weit entfernt von der sogenannten konventionellen Imkerei, dass es hier noch mehr um zwei Welten zu gehen scheint, als bei Ackerbau und Viehzucht. In der üblichen Imkerei werden Königinnen gezüchtet und teilweise sogar zwangsbegattet. Die werden dann gehandelt und verschickt, oder mit irgendwelchen Bienen zu einem neuen Volk zusammengesteckt. Da wird jede Menge Honig, Propolis und Bienenwachs geerntet und den Völkern werden handwerklich oder industriell vorgefertigte Rähmchen mit fertigen Waben in den Brutraum gehängt. Die Beuten sind aus Plastik oder Styropor und man kann sogar welche mit rot markierten Einfluglöchern kaufen, obwohl die Bienen die Farbe Rot gar nicht sehen können. Für sie ist das schwarz. Da müsste der Imker eigentlich Rot sehen. Dennoch scheinen sich diese Beuten zu verkaufen.
Abgesehen aber von solchen Nicklichkeiten haben konventionelle und ökologische oder Demeter-Imker ähnliche Probleme. Die nämlich mit der Landschaft.
»Das erkennt man schon daran, dass man heute Bienen mieten kann für die Zeit der Bestäubung bestimmter Pflanzen. Die Bienen kommen da an, liefern die Bestäubung und werden wieder abgeholt und irgendwo hingefahren, wo was anderes blüht«, sagt Mirko Lunau. Solange die Bienen da sind, wird dann auch nicht gespritzt, danach aber schon. Und wenn die Nutzpflanzentrachten durch sind, wenn Obst und Raps verblüht sind, dann ist da nichts mehr in der Landschaft für die Bienen. »Dann ist alles grün – und Grün ist die Wüstenfarbe für die Bienen.«
In der Demeter-Imkerei wird auch bei starken Frühjahrsernte immer noch Honig für die Bienen im Brutraum gelassen. »Wenn das nicht drin wäre, würden die Bienen hier im Juni verhungern«, sagt Mirko Lunau, »dann wäre nach drei Wochen alles vorbei.«
In den Gärten um den ehemals größten Bauernhof im Dorf hat die Hofgemeinschaft, in der Jutta Sundermann lebt und mit ihrer Freundin imkert, in den letzten Jahren viel Wert darauf gelegt, möglichst so zu pflanzen, dass immer etwas blüht. Die Demeter-Imker Lunau und Lehmann versuchen, immer nur wenige Bienenvölker an einem Stand zu haben, und den so gut wie möglich auch durch Pflanzmaßnahmen und private Gärten in der Umgebung abzusichern.
Honig essen?
Was nichts anderes heißt, als dass ein Großteil unserer heutigen Landschaften eigentlich gar nicht geeignet ist, um Honigbienen leben zu lassen und ihnen auch noch Honig für unseren Konsum abzunehmen.
Was im Umkehrschluss auf alle Fälle heißt: Wir essen eindeutig zu viel Honig in diesem Land. Jeder von uns verzehrt statistisch gesehen 1,1 Kilogramm Honig im Jahr. Das Arbeitsergebnis von rund fünfhundert Bienenleben. Und nur ein Drittel davon wird von Bienen in Deutschland hergestellt. Wir sind Weltmeister im Honigimport. Wie es den Bienen anderswo geht, können wir nur ahnen.
Es ist wie mit anderen Nutztieren auch – nur dass das Nutztier Honigbiene das einzige ist, das wir kaum reguliert haben. Imkerinnen und Imker können schalten und walten und umgehen mit ihren Bienen, fast wie sie wollen und eigentlich ohne Kontrolle. Die einzige »Massentierhaltung«, die wir nicht reguliert haben.
Die wir aber durch unseren weltweiten Handel mit Honigbienen zusätzlich zur Pestizidbelastung noch mit einem neuen Parasiten belastet haben − mit der Varroamilbe, die eigentlich bei der Asiatischen Honigbiene Apis cerana zuhause war. Und was ist nun mit dieser in den Siebziger-Jahren eingeschleppten Varroa? Was ist mit der Varroa-Behandlung durch unsere Imkerinnen und Imker? Wie funktioniert sie und wie wirkt sie auf die Bienen?
Können unsere Westlichen Honigbienen Apis mellifera trotz dieses Parasiten und anderer Krankheiten und trotz der Pestizidbelastung überhaupt noch wild überleben? Halten wir zu viele Honigbienen als Nahrungskonkurrenten für Wildbienen und andere Insekten, oder ist nur unsere Landschaft zu insektenfeindlich geworden? Das sind die Fragen, die hier offenbleiben, aber beantwortet werden müssen und sollen – im nächsten Blog und im nächsten Podcast, wenn es um das Wildtier Honigbiene geht.