Die für Wild- und Hausschweine tödliche Afrikanische Schweinepest ist in Polen außer Kontrolle. Deshalb haben die Bundesländer Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern entlang der Ostgrenze einen Zaun gezogen, der die Wildschweine vom Grenzübertritt abhalten soll.
Hinter dem ersten Zaun entsteht gerade ein zweiter, und zwischen den beiden Zäunen soll dann eine wildschweinfreie Weiße Zone sein – alles zum Schutz der deutschen Hausschweine und vor allem der großen Schweinebetriebe. Kann man eine Tierseuche, die von Wildtieren verbreitet wird, an einer Landesgrenze aufhalten? Und was sagen die gewaltigen Anstrengungen dazu über unser Verhältnis zu unseren Hausschweinen und über das deutsche Schweinehaltungssystem?
Seuche versus Biohaltung
Als die Afrikanische Schweinepest ASP im Juli die deutschen Hausschweine erreicht hat, geschah das, obwohl die Amtstierärzte in den bedrohten Gebieten den Schweinen den Auslauf gestrichen hatten. Auch in einem Biobetrieb im Landkreis Spree-Neiße war den zweihundert Schweinen der Weg nach draußen seit September 2020 verwehrt, obwohl dieser Auslauf für Bioschweine vorgeschrieben ist. Trotz der „Aufstallung“ wurde bei einem der Schweine im Juli der ASP-Erreger festgestellt. Das war das Todesurteil für alle Schweine, auch für die gesunden. Man nennt das „Keulen“, wenn alle Tiere eines Betriebes wegen einer Seuche getötet werden. Sprache kann manchmal genauso brutal sein wie die Realität. Bei dem zweiten ASP-Ausbruch bei Hausschweinen starben nur zwei und im dritten Fall nur vier Tiere, weil es sich dabei um Kleinsthaltungen handelte. Auch diese Tiere wurden im Stall gehalten, ohne Auslauf.
Kann man daraus schließen, dass das Aufstallen, das die Veterinärämter allenthalben verfügen, wenn eine Tierseuche naht, gar nicht schützt? Dass die reine Stallhaltung gar nichts verhindert? Es könnte so sein. Sicher ist, dass die reine Stallhaltung für Schweine, die das Leben im Freien gewohnt sind, eine Qual ist. Der Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest scheint aber sämtliche Diskussionen über Tierwohl und artgerechte Haltung außer Kraft zu setzen. Und das, obwohl die Betriebe, die ihre Schweine im Freien halten wollen, sie auch ohne Seuche schon mehrfach umzäunen müssen, damit die Hausschweine auf keinen Fall mit Wildschweinen in Kontakt kommen können. Das reicht aber angeblich nicht, wenn es um die Afrikanische Schweinepest geht. Die nämlich kann auch von Aasfressern übertragen werden – theoretisch. Und sie könnte dabei sogar fliegen.
„Es besteht ein Risiko, das aber meiner Meinung nach sehr gering ist“, sagt Deutschlands oberster Tier-Epidemiologe Prof. Franz J. Conraths, der Vizepräsident des Friedrich-Löffler-Instituts FLI: „Dennoch empfehlen wir, in den Kerngebieten und den gefährdeten Zonen die Aufstallung von Schweinen anzuordnen, um diesem Risiko zu begegnen.“ Das Institut hat selber in einer Studie festgestellt, dass nicht nur die Aasfresser unter den Säugetieren, wie Fuchs oder Marderhund, an Wildschweinkadavern fressen, sondern auch Vögel, die jeglichen Schutzzaun überfliegen können. Aufnahmen von Wildkameras belegen, dass Krähenvögel mit Gewebe im Schnabel die Kadaver verlassen. Aber wie weit fliegen sie damit? Lassen sie das Gewebe irgendwo fallen? Kann eine solche kleine Gewebeprobe Schweine infizieren? Ist es deshalb vielleicht ganz sinnlos, Schutzzäune gegen die Afrikanische Schweinepest zu bauen – nicht nur um freilaufende Hausschweine herum, sondern auch entlang der Grenze? Franz Conraths sagt: „Wenn der zweite Zaun im Abstand von fünfhundert bis tausend Metern zum bestehenden Zaun entlang der Grenze gezogen ist und die Zone dazwischen wildschweinfrei wäre, dann hätten wir eine wirksame Barriere gegen die Afrikanische Schweinepest aus dem Osten.“ Der Professor betont, dass er hier bewusst den Konjunktiv wählt, weil es nicht einfach ist, eine solche Zone wirklich wildschweinfrei zu halten.
Wenn das aber gelingen würde, dann ginge es nur noch darum, wie wir die Gebiete ASP-frei bekommen, die schon verseucht sind. Und das erweist sich gerade als schwierig.
Einsperren als Lösung
Nach dem ASP-Ausbruch in dem Biobetrieb im Landkreis Spree-Neiße hieß es, Nagetiere hätten die Seuche in den Stall getragen, also Mäuse oder Ratten. „Davon weiß ich nichts“, sagt Franz Conraths: „Wenn so ein Ausbruch geschieht und man keine offizielle Quelle weiß, dann kocht die Gerüchteküche. Und das könnte bei dieser Nagetierhypothese so sein. Was man sagen kann, ist, dass es in großer Nähe zu diesem Betrieb Funde von Wildschweinen mit ASP gegeben hat. Der nächste war rund vierhundert Meter entfernt.“ Wie die Seuche von dort allerdings trotz aller professionellen Hygienemaßnahmen, übrigens inklusive „Schadnager-Management“, tatsächlich zu den Hausschweinen im Stall gelangte, ist nicht geklärt. Dem Betrieb sei nichts vorzuwerfen, sagt der Epidemiologe, dort sei alles richtig gemacht worden. Und dennoch habe es ihn erwischt: „Ärgerlich!“
Nicht erwischt hat es indes einen Betrieb, der seine Schweine im Freiland hält, und das trotz Aufstallpflicht in der gefährdeten Zone: das Gut Hirschaue in Birkholz, rund sechs Kilometer östlich der Spree. Schon der Vater der beiden heutigen Betriebsleiter Michael und Henrik Staar hatte den Betrieb 1992 von Bioland zertifizieren lassen. Heute bewirtschaften die Brüder fast sechshundert Hektar, zweihundert davon als Wildgehege für Dam- und Rothirsche. Dazu gibt’s die eigene Fleischerei und den Hofladen. Und dann gibt es, seit Michael Staar vor über zwanzig Jahren seinen eigenen Betrieb aufbaute und in den Verbund einbrachte, bis zu zweihundert Schweine in Freilandhaltung.
Zunächst züchtete er Deutsche Sattelschweine, eine in der DDR aus Angler Sattelschwein und Schwäbisch Hällischem Schwein entstandene eigene Rasse, die ehemals zehn Prozent des Schweinebestandes im Osten ausmachte. Heute gehört das Deutsche Sattelschwein zu den gefährdeten alten Haustierrassen auf der Roten Liste und das Gut Hirschaue beteiligt sich am Erhaltungszuchtprogramm. Dazu kam eine eigene Rasse, die die Hirschauer „Märkisches Sattelschwein“ nennen. Diese Schweine entstanden aus mehrfacher Kreuzung von Deutschen Sattelschweinen und Wildschweinen.
„Diese Tiere wachsen im Freiland auf und leben das ganze Jahr draußen“, sagt Henrik Staar: „Die können wir jetzt nicht plötzlich einsperren. Das verkraften die nicht!“ Andere Freilandhalter, die ihre Schweine aufstallen mussten, berichten von deren Langeweile und Aggressionen, bis hin zu blutigen Verletzungen. Schweine sind eben eigentlich keine Stalltiere. Nun hat der Betrieb Ende Juli eine „Ordnungsverfügung“ des Landkreises zugestellt bekommen, mit der Aufforderung, die Tiere bis zum 22. August aufzustallen. Die Berliner Rechtsanwältin Katrin Brockmann hat für das Gut Hirschaue sowohl gegen die spezielle Ordnungsverfügung, als auch gegen die Allgemeinverfügung des Landkreises zum Umgang mit der ASP, Widerspruch eingelegt. Am 9. August hat der Landkreis eine neue Allgemeinverfügung erlassen, gegen die nun ein neuer Widerspruch eingelegt werden muss. „Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel“, sagt Henrik Staar. Denn es ist nicht das erste Mal, dass die Betriebe des Guts gegen solche Verfügungen vorgegangen sind. Bisher wurde allen Widersprüchen stattgegeben. Das mag auch daran liegen, dass die Rechtsanwältin von Gut Hirschaue einschätzen kann, was eine Aufstallung für die Tiere bedeuten würde. Katrin Brockmann ist nicht nur Juristin, sondern auch Agraringenieurin. Die Schweine jedenfalls sind immer noch im Freien.
Wobei das mit der Freiheit äußerst relativ ist. Die Äcker, auf denen die Schweine wühlen, sind dreifach eingezäunt. Innerhalb des umzäunten Wildgatters steht ein zwei Meter hoher Zaun, der zusätzlich noch einen halben Meter in die Erde reicht. Anerkannt als wolfssicherer Festzaun, kann er von Wildschweinen nicht unterwühlt werden. Der dritte Zaun folgt nach dreihundert Metern Pufferzone und ist ebenfalls zwei Meter hoch.
Tierwohl ade
„Um die Tiere ging es bei allen Auseinandersetzungen um die Aufstallung eigentlich nie“, sagt Henrik Staar. „Wie es denen im Stall gehen würde, scheint niemanden zu interessieren. Die sind keine Individuen mit Bedürfnissen, sondern werden als Sache behandelt.“ Und eine Sache könne man ja eben mal wegstellen. Wobei davon in der Schweinepestverordnung, der Grundlage für das Handeln der Veterinärämter in den gefährdeten Gebieten, gar nichts steht. Dort heißt es in § 14a lediglich: „Mit Bekanntgabe der Festlegung des gefährdeten Bezirks haben Tierhalter im gefährdeten Bezirk (…) die Schweine so abzusondern, dass sie nicht mit Wildschweinen in Berührung kommen können.“ Das Wort Aufstallung kommt in der Schweinepestverordnung überhaupt nicht vor. Auch das sicherlich ein Grund dafür, dass der Landkreis Oder-Spree bislang immer ein Einsehen hatte und den Widersprüchen von Rechtsanwältin Brockmann gegen die eigenen Verfügungen stattgab.
Den Brüdern Michael und Henrik Staar geht es im Übrigen bei ihrer Schweinehaltung gar nicht darum, die Tiere zu mästen. Mast kann man das auch kaum nennen, was da auf den Äckern von Gut Hirschaue geschieht; dazu wachsen die Schweine viel zu langsam, sowohl die Sattelschweine, vor allem aber die Wildschweinkreuzungen. „Die Schweine sind ein Teil unserer Fruchtfolge“, sagt Henrik Staar. Zu der gehört im Ackerbau eine fünf Jahre dauernde Phase mit Kleegras. Das wird zunächst vier Jahre lang von Hirschen beweidet. Die sind allerdings sehr wählerisch bei der Futtersuche. Am Ende steht auf den Weiden dann nur noch das, was die Hirsche nicht fressen mögen. Jetzt kommen, im fünften Jahr, die Schweine auf die Flächen und brechen sie um. Die Schweine düngen noch einmal und sparen den Pflug. Ein schönes Konzept, das mit Stallhaltung zunichte wäre. Zumal es weder den Stall gibt, noch das Stroh, das dann zur Einstreu nötig wäre. Denn Stroh ernten ist im ASP-gefährdeten Gebiet verboten, damit die Seuche nicht in den Betrieb eingetragen wird.
Und weiter?
Wie geht das nun weiter mit der Afrikanischen Schweinepest und der Schweinehaltung. Mit immer neuen Verfügungen und immer neuen Widersprüchen? Oder dann doch mit dem Ende der Freilandhaltung und damit der artgerechtesten Haltung, die wir Schweinen antun können?
Eine Corona-verwöhnte Frage noch an Deutschlands obersten Tier-Epidemiologen: Wann können wir die Afrikanische Schweinepest bekämpfen, wie das mit der klassischen Schweinepest auch gelungen ist? Will sagen: Wann kommt die Impfung? „Es sieht jetzt nicht mehr ganz so ungünstig aus, wie noch vor ein, zwei Jahren. Es gibt jetzt ein paar Kandidaten von Virusvarianten, die aus Tieren stammen und im Labor verändert wurden, bei denen es erste Hinweise darauf gibt, dass man daraus vielleicht etwas machen könnte.“ Sagt Prof. Franz J. Conraths und warnt: „Es wird aber nicht so werden wie bei Corona. Es wird fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir die Wildschweine impfen können.“ Das ist eine sehr lange Zeit, wenn man weiß, wie es in den engen Ställen der Großbetriebe zugeht, wie es den Schweinen dort geht, die eigentlich alle nach draußen gehören.
Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter IGS in Brandenburg und der dortige Bauernverband scheinen das nicht wissen zu wollen. Sie lassen keine Gelegenheit aus, die Freilandhaltung im Gut Hirschaue anzugreifen. Die Schweine sollen im Stall verschwinden, damit sie sich nicht infizieren. Wie die Schweine, die sich im Stall befanden und sich doch infizierten. Eine wenig logische Argumentation? Scheint so. Aber nur, weil nicht gesagt wird, worum es wirklich geht: Um die wirtschaftlichen Interessen der Schweinehalter, um das gesamte Schweinesystem, nicht um die Tiere. Wer weiterhin Schnitzel oder Nackensteaks für fünf oder sechs Euro das Kilo kauft, unterstützt dieses System.
Gut Hirschaue: http://www.gut-hirschaue.de
Rote Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen GEH: https://www.g-e-h.de/index.php/rote-liste-menu/rote-liste
Risikoeinschätzung des Friedrich-Löffler-Instituts zur Afrikanischen Schweinepest: https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00036860/FLI-Risikoeinschaetzung_ASP_2021-04-19-bf.pdf
Schweinepest-Verordnung: https://www.buzer.de/gesetz/7039/index.htm