33 Antworten auf 33 Fragen zum Thema Fleischkonsum gibt Tanja Busse in ihrem neuen Buch. Antworten auf unbequeme Fragen, die sich Menschen stellen müssen, wenn sie Fleisch essen wollen, oder sagen wir: die sie sich stellen sollten. Die Antworten sind komplex und Veganerinnen und Veganer können sich keineswegs beruhigt zurücklehnen und dieses Buch den anderen überlassen. Auch ihr Essen ist politisch und könnte in eine neue Sackgasse führen.
Weltweit wird inzwischen so viel Fleisch produziert, dass die Biomasse der Nutztiere die aller auf dieser Erde lebenden Wildtiere bei weitem übersteigt. Es ist zu viel für diesen Planeten, sein Klima, seine Böden, sein Wasser, die Biodiversität und die Gesundheit. Die des Planeten und unsere. Ohne die Tiere geht es aber auch nicht. Im Gegenteil: Weidetiere könnten uns helfen, den Planeten zu retten.
Weltweite Industrie
Tanja Busse ist Journalistin und ihr Thema ist schon lange die Landwirtschaft. Das haben wir gemeinsam. Sie hat allerdings den Vorteil, auf einem Bauernhof aufgewachsen zu sein, bei mir war nur der Patenonkel Landwirt. Tanja Busse lebt heute in der Stadt und arbeitet für Radio und Print. Vor dem Buch über den Fleischkonsum erschienen „Die Wegwerfkuh“ und „Das Sterben der anderen“. Beim ersten ging es darum, wie wir die Tiere an die Lebensmittelindustrie angepasst und damit krank gemacht haben. Beim zweiten geht es darum: „Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können“.
Nun also der große Rundumschlag zum Thema Fleisch. Das Buch ist ein Teil der Taschenbuchserie 33 Fragen – 33 Antworten des Piper-Verlags. Ich habe Tanja Busse in Hamburg besucht und mit ihr über die Antworten auf die drängenden Fragen zum Fleischkonsum gesprochen. Das Gespräch gibt es auch als Podcast zum Hören.
Zuerst habe ich Tanja gefragt, ob sie selbst auf die Idee gekommen ist, noch einmal alles aufzuschreiben, was sie über die Fleischindustrie und die Zurichtung unserer Nutztiere weiß, oder ob der Piper-Verlag sie darum gebeten hat. Nein, sagte sie, auf die Idee wäre sie nicht allein gekommen, alles noch einmal zusammenzutragen, was sie im Laufe der Jahre über die Fleischindustrie gelernt hat. Dann war diese Recherche aber doch ein Erkenntnisgewinn, den sie mit dem Buch an uns weitergibt.
Wobei die Erkenntnisse eher erschreckend sind, beginnend mit der, die der Verlag auch in den Klappentext geschrieben hat, dass nämlich die Biomasse der Nutztiere die der Wildtiere um ein Mehrfaches übersteigt. Wobei bei dieser Rechnung die Milliarden von Lebewesen, die unsere Böden fruchtbar machen, vom Bakterium über die Ameise zum Regenwurm, nicht mitgerechnet sein dürften. Außerdem gibt es wohl auch keine Studie, die mal berechnet, wie viele Wildtiere wohl einst gelebt haben, als in Europa und Asien das größte zusammenhängende Biotop der Erde bestand, die sogenannte Mammutsteppe. Damals lebten vom heutigen Sibirien bis Spanien Milliarden von Wiederkäuern in gewaltigen Herden. Das sind die Tiere, denen wir die Fruchtbarkeit unserer Böden verdanken. Aber die, sagt Tanja Busse, lebten damals innerhalb der planetaren Grenzen der Erde. Sie bauten die Ressourcen auf, den Humus in den Böden zum Beispiel, ohne die es uns heute gar nicht gäbe.
Wir dagegen überschreiten die Grenzen des Planeten mit unserer Tierhaltung, wir beuten die Erde aus, indem wir die Tiere ausbeuten, sagt Tanja Busse. Wobei das ganze System der weltweiten Fleischproduktion von wenigen Konzernen dominiert wird. Sowohl was den Agrarhandel, als auch was die Fleischproduktion angeht. Sogar die Tiergenetik ist in den Händen weniger Konzerne, die sich den Markt aufteilen. Milchkühe, Legehennen, Broiler, Schweine sind keine an regionale Gegebenheiten angepassten Tierrassen mehr, sondern Marken von Konzernen. Sie bestimmen, was die Landwirte an Tieren halten, wie viel Milch die Kühe geben müssen und wie schnell Hähnchen und Schweine zunehmen. In Zusammenarbeit mit dem Lebensmittelhandel machen die Agrarkonzerne die Preise. Auch die fürs Billigfleisch, das mit Tierleid erkauft ist.
Weltweite Vision
Nun war gerade Bundestagswahl in Deutschland und wir hören ständig von Aufbruch. Vielleicht könnte man ja dann mal darüber nachdenken, wohin man aufbrechen möchte. Wie könnte die Zukunft aussehen, die das Klima rettet, die Landwirtschaft vom Kopf auf die Füße stellt, und alle besser ernährt und uns auch noch die Entscheidung darüber zurückgibt, wie wir uns ernähren wollen. Tanja nennt das eine Demokratisierung der Ernährung, wenn wir das zusammen mit den Bauern entscheiden und die Konzerne ihrer Macht berauben.
Ja, ich weiß, Altkanzler Helmut Schmidt hat gesagt, wer Vision habe, solle zum Arzt gehen. Aber das war im vergangenen Jahrhundert und auch da schon nicht richtig. Also haben wir mal eine Vision entworfen. Und die geht so, dass wir die Tierhaltung als Hebel nehmen, um die Klima- und die Agrarwende zu schaffen und die Welternährung innerhalb der planetaren Grenzen zu sichern.
Schon in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat der Biologe Allan Savory in Simbabwe ein Beweidungssystem entwickelt, mit dem wir die Welt besser machen könnten. Man nennt es das Holistische – also ganzheitliche – Weidemanagement. Dabei werden die Weidetiere so eingesetzt, wie das die großen Wildtierherden in der Savanne machen: Sie ziehen in großen Mengen relativ rasch über das Grasland, fressen alles weg, was für sie essbar ist, düngen mit ihren Exkrementen den Boden und treten die Grassamen der künftigen Weiden hinein. Mit diesem System hat Allan Savory in seiner Heimat die Wüste zurückgedrängt und das Land wieder zur Weide gemacht. Mit solchen Systemen könnten wir wieder zusammenhängende Weideflächen schaffen und die Biodiversität zurück holen in unser Land. Tanja Busse schreibt in ihrem Buch darüber, wenn sie die Frage beantwortet: Warum füttern Weidetiere Vögel? Weil in jedem Kuhfladen tausende von Insekten leben, die wiederum als Vogelfutter dienen. Wenn alles mit Büschen und Wald zuwächst, ist es nicht mehr weit her mit der Biodiversität. Weiden, die wirklich beweidet werden, sind der Hort der Vielfalt. Und die Schafe und Ziegen und Rinder auf den Weiden helfen – in Zusammenarbeit mit den Bodentieren –, den Humus aufzubauen und damit Kohlendioxid im Boden zu versenken.
Es ist ganz einfach und ganz radikal: Alle Tiere raus aus den Ställen und keine Futtermittel mehr über kontinentale Grenzen verschieben. Was bedeutet: Wir brauchen andere, robustere Tiere, und wir können nur so viele Tiere halten, wie das Land, auf dem sie leben, auch ernähren kann. Und damit ist nicht das Ackerland gemeint, das Pflanzen hervorbringen kann, die Menschen direkt ernähren können. Damit ist Weideland gemeint. Von dem gibt es sehr viel auf dieser Erde, auch wenn die Mammutsteppe heute nicht mehr von Sibirien bis Spanien reicht. Über sechzig Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche ist Grasland.
Ja, das sind Visionen. Vielleicht zu groß, um Politik zu werden. Aber wir sollten wissen, wo das Ziel ist, oder wenigstens sein könnte. Dann wird auch der Weg sichtbar. Und den kann man jederzeit begehen. Jeder Weg beginnt immer mit den ersten Schritten.
Mehr Visionen, mehr Wegweiser und auch eine kleine Denkaufgabe für Veganer gibt’s im Podcast: https://www.florianschwinn.de/wordpress/ffe-fleischkonsum