Und er hat es tatsächlich getan. Mitte April rätselte ich hier noch, ob der dienstälteste Landwirtschaftsminister Deutschlands, der von Mecklenburg-Vorpommern, nach über zwanzig Jahren agrarindustriefreundlicher Politik durch die Katastrophe von Alt Tellin zu einer Kehrtwende gebracht wurde. Dort waren in der Karwoche über 55.000 Sauen und Ferkel in einer riesigen Schweinezuchtanlage verbrannt. Danach verkündete Minister Till Backhaus, er wolle solche Großanlagen in Zukunft verhindern.
Als Tierschutzorganisationen vor dem Landtag in Schwerin demonstrierten, ging der Minister hinaus zu ihnen und erklärte, er wolle den Tierbestand an die landwirtschaftliche Fläche binden, also gar keine Betriebe mehr, die sich ihr Futter irgendwo zusammenkaufen und am Ende die Gülle oder die Gärreste der Biogasanlagen durch halb Europa karren. Auch wenn das beim ersten Hören nicht so klingt: Das wäre die ganz radikale Wende – das Aus für viele industrielle Tierhaltungen. Im April sagte mir Patrick Müller von der Tierschutzorganisation PROVIEH, die sich explizit um die Nutztiere kümmert, dazu noch: „Ich bin gespannt!“
Erster Schritt …
Jetzt hat Till Backhaus tatsächlich einen ersten Schritt getan, seine Ankündigung in die Tat umzusetzen. Mecklenburg-Vorpommern hat seinen Entschließungsantrag zur Einführung von Bestandsobergrenzen in den Bundesrat eingebracht. Die Schweriner Landesregierung wünscht eine Begrenzung auf zwei Großvieheinheiten pro Hektar verfügbarer landwirtschaftlicher Fläche.
Ich habe am 22. April an dieser Stelle schon einmal vorgerechnet, was das bedeuten würde für einen Ferkelzuchtbetrieb wie den in Alt Tellin Abgebrannten. Wenn dort wieder um die elftausend Sauen aufgestallt werden sollten, müsste der Betreiber dafür 2.200 Hektar Land kaufen oder pachten. Das dürfte selbst in Mecklenburg-Vorpommern schwierig sein. Und wenn dann auf diesem Land auch noch das Futter für die Schweine angebaut werden müsste, dann wäre es aus mit dem Billigfleisch und also auch mit dieser Art der „Massentierhaltung“. Ich benutze diesen Begriff im Falle von Alt Tellin – wie bereits angemerkt – ausnahmsweise, weil er hier wirklich passt. Ansonsten kommt es weniger auf die Menge der gehaltenen Tiere an, als vielmehr auf die Haltung selbst. Aber bei der von der LFD Holding in Alt Tellin betriebenen Megastallanlage passte das alles zusammen: Viel Tierleid auf engstem Raum in einer gewaltigen Schweinefabrik.
… zu kurz.
Unterstützung erfuhr der mecklenburg-vorpommersche Landwirtschaftsminister im Bundesrat von seinem Kollegen aus Brandenburg. Der ist allerdings auch ein Grüner, und zwar einer ersten Stunde. Axel Vogel hat die Grünen 1980 mitgegründet. Ansonsten verwies der Bundesrat den Entschließungsantrag in die Ausschüsse. Ist vielleicht auch besser so, denn dass die derzeitige Bundesregierung, die ja Adressat eines Entschließungsantrags des Bundesrates wäre, tatsächlich eine Begrenzung der industriellen Tierhaltung beschließen würde, ist kaum zu erwarten. Aber vielleicht die nächste, die dann im September gewählt wird. Insofern ist die Bundesratsinitiative von Minister Backhaus vielleicht auch nur Wahlkampf. Denn in Meck-Pomm wird am 26. September ebenfalls gewählt. Und der dienstälteste Minister der Republik möchte vielleicht noch ein paar Jahre draufsatteln.
Das vermuten auch einige der Kommentatoren, die im Netz auf die Berichte zu Backhaus‘ Initiative reagieren. Zum Beispiel Prof. Wilfried Brade, der von der Tierärztlichen Hochschule Hannover zum Institut für Nutztierbiologie nach Dummerstorf bei Rostock gegangen war, sich also in Mecklenburg-Vorpommern (MV) mit der Landwirtschaftspolitik auskennt. Wilfried Brade stellt im Branchendienst Top Agrar ein paar Fragen. Zum Beispiel: „Wer hat denn bisher Bestandsobergrenzen nicht beachtet? Antwort: MV. Wo gibt es die größten Tierhaltungsanlagen in Deutschland? Antwort: MV. Wer hat Alt Tellin genehmigt? Fakt ist, dass die Genehmigung für den Bau des Megastalles in Alt Tellin nach geltendem Recht in MV am 28.09.2010 erteilt wurde. Und wer war da wohl Landwirtschaftsminister in MV? Antwort: Herr Backhaus.“
Tierwohl und Wahlkampf
Anders gesehen: Auch wenn das nur Wahlkampf war, was da aus Mecklenburg-Vorpommern ins Länderparlament getragen wurde: Im Grunde gehört die Diskussion über die Nutztierhaltung und das Tierwohl genau da hin, in den Wahlkampf. Ich werde zwar nicht müde zu sagen, dass wir alle mit unseren täglichen Kaufentscheidungen über Wohl und Weh von Menschen und Tieren und Pflanzen und Umwelt und Klima mitentscheiden, aber die große Öffentlichkeit und die Brisanz erlangen solche Themen am einfachsten in Wahlkampfzeiten. Dann, wenn die Politiker hören wollen, was ihre Wählerinnen und Wähler sagen. Oder wenigstens so tun müssen, als wollten sie. Wann also sollten wir solche industrielle Tierhaltungskatastrophen beenden und für die Zukunft verhindern, wenn nicht jetzt!
Wenn Sie die nächste Petition sehen, die sich gegen Megaställe wendet, dann unterschreiben Sie! Und wenn Sie die nächste Diskussion über die industrielle Tierhaltung angekündigt sehen, dann gehen Sie hin, oder loggen sich ein! Ebenso, wenn es um Gülletransporte aus eben dieser industriellen Tierhaltung quer durch die Republik und geplante Güllelager in Regionen ohne massenhafte Tierhaltung geht.
Allerdings bleibt auch das immer Gleiche noch zu sagen, trotz der besonderen Wahlkampfzeiten: Und wenn Sie dann wieder und wieder das Schweinenackensteak beim Discounter im Sonderangebot liegen sehen, dann lassen Sie es liegen – wieder und wieder!