Die mit der Biokiste

Querbeet-Gründer Thomas Wolff im Gewächshaus. Tomaten müssen nicht aus Spanien oder Italien kommen. Es geht auch regional. Nur nicht das ganze Jahr hindurch. | Foto: Daniel Banner

Wenn der Paketdienst mal wieder auf dem Fahrradweg parkt, behindert er auch den Lieferservice, der mit dem E-Bike unterwegs ist. Alle bringen alles überallhin. In Zeiten des Internets sind die Lieferdienste dermaßen expandiert, dass in den zugeparkten Straßen manchmal kein Durchkommen mehr ist. Jetzt bringen die auch Lebensmittel. Sie machen Werbung damit, dass sie für uns einkaufen gehen. Diese Idee ist nicht neu, sie ist sogar geklaut. Und das ausgerechnet bei den Bios, die ja eigentlich nicht die Straßen verstopfen wollen. Dennoch gibt es zwischen all den Paketdiensten seit nun schon Jahrzehnten immer mal wieder auch einen Lieferwagen, der die Biokiste bringt.

Einer dieser Lieferdienste feiert in diesem Jahr Jubiläum: Querbeet wird dreißig. Und weil Querbeet nicht irgendein Lieferdienst ist, der irgendeine Gemüsekiste bringt, sondern inzwischen ein sogenannter Vollsortimenter, der alles bringt, was Bio ist, deshalb lohnt sich ein Blick auf dieses Modell. Das da seit dreißig Jahren erfolgreich Gemüse aus der Region ins Rhein-Main-Gebiet liefert.

Startpunkt Wochenmarkt

Angefangen hat alles mit Wochenmärkten in Frankfurt und Offenbach am Main. In Frankfurt startete schon 1989 eine innovative Marktidee: Auf der Konstablerwache am Rand der Zeil, der heute noch umsatzstärksten Einkaufsstraße Deutschlands, findet immer samstags der sogenannte Bauernmarkt statt. Dort bieten nicht professionelle Händler die Ware feil, die sie am Morgen aus den Großmarkthallen geholt haben. Dort dürfen nur Direktvermarkter ihre Stände aufbauen, also die Bauern aus der Region. Und sie dürfen auch nur das verkaufen, was in der Region wächst.

Das war genau der richtige Markt für Thomas Wolff. 1993 startete der gelernte Biogärtner mit einem befreundeten Bauern ein Gemeinschaftsprojekt. Götz Wollinsky hatte gerade den elterlichen Hof übernommen und stellte auf Bio um. Thomas Wolff kümmerte sich um die Vermarktung.

Der Pappelhof liegt bei Reichelsheim in der Wetterau, nördlich von Frankfurt, im fruchtbarsten Gebiet Hessens. In der Landwirtschaft dominiert hier der Ackerbau, und auf dem Pappelhof das Feldgemüse.

Wo alles anfing: Der Pappelhof in der hessischen Wetterau. Hier startete vor dreißig Jahren der erste umfassende und bis heute führende Lieferservice für die Biokiste: Querbeet. | Foto: Florian Schwinn

Am Anfang baute Thomas Wolff auf dem Pappelhof auch noch drei spezielle Kulturen selbst an: Chicorée, Grünen Spargel und Erdbeeren. Genau über diese drei Kulturen schrieb damals ein Freund seine Diplomarbeit. Als Frank Deltau das Studium dann hinter sich hatte, stieg er bei Querbeet mit ein. Auch die Bauern auf dem Pappelhof sind inzwischen zu zweit in der Betriebsführung. Und zehn Kilometer weiter, im Rosendorf Steinfurth, einem Ortsteil von Bad Nauheim, gibt es seit 2018 einen zweiten Betrieb, den Gemüsehof. Als der Hof eines ehemaligen Partners dort verwaist war, hat Querbeet ihn gekauft und inzwischen verpachtet.

Die Bauern und Gärtner und die Vermarkter sind eine fixe Kooperation eingegangen. Formal sind das drei verschiedene Unternehmen, die da so eng zusammenarbeiten, dass man sie nur auseinanderhalten kann, wenn man genau weiß, wer hier was macht.

Heute ist Querbeet eben ein Vollsortimenter. Das Angebot geht weit über das hinaus, was der Pappelhof in Reichelsheim anbaut und auch über das Feingemüse hinaus, das von einem inzwischen zugekauften und verpachteten Gemüsehof im nahen Steinfurth kommt. Bei Querbeet können die Kundinnen und Kunden alles ordern, was auch ein großer Bioladen oder ein Bio-Supermarkt bietet, bis hin zu Kosmetik und Toilettenpapier. Bis zwölf Uhr mittags kann bestellt werden, telefonisch oder online, was dann am nächsten Tag ausgeliefert wird.

Definiere Region

Aber ist das noch das Konzept des regionalen Vermarktens regional erzeugter Lebensmittel? Was sagt Querbeet-Gründer Thomas Wolff eigentlich zur Definition von Regionalität? Er sagt: 150 Kilometer! Das ist das, was Querbeet für sich selbst und das Netzwerk seiner Partnerhöfe festgelegt hat. Ein deutlich regionaler gesteckter Radius, als den etwa das Bundeslandwirtschaftsministerium steckt, für das ganz Deutschland zur Region gehört.

In zwei großen Hallen mit angeschlossenen Lager- und Kühlräumen werden auf dem Pappelhof die Kisten gepackt. Über Förderbänder rollen die dann bis zum Kühltransporter, wo die Fahrerinnen und Fahrer ihre Touren zusammenstellen.

Das Gemüse von Querbeet fährt nicht weit, auch der Spargel kommt aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Partnerhöfe für Lammfleisch und Schwein sind in der Rhön und im Vogelsberg, das Rindfleisch kommt aus zwanzig Kilometern Entfernung. Neu hinzugekommen ist gerade ein Fischereibetrieb vom Edersee in Nordhessen. In der Nähe produziert dort auch die Upländer Bauernmolkerei. Das sind dann die weiteren Wege, die die Waren fahren. Und natürlich muss für den Lieferservice auch einiges zugekauft werden, was nicht aus der so definierten Region kommt. Sonst gäbe es das volle Sortiment nicht. Noch wachsen in Hessen keine Orangen oder Zitronen, und es gibt auch keine Olivenhaine oder Agaven für Aloe Vera.

An der Packstraße: Die Kunden bestellen bis mittags, am nächsten Tag wird die Kiste gepackt und geliefert. | Foto: Florian Schwinn

120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Querbeet heute. Achttausend Haushalte im Rhein-Main-Gebiet haben den Newsletter abonniert, etwa 2500 Kisten werden jede Woche gepackt und ausgeliefert. So ist das jetzt wieder – nach dem Bioboom während Corona und dem Einbruch durch den Ukraine-Krieg. Was das für Querbeet bedeutet hat, darüber gibt es mehr im Podcast zu hören und darüber habe ich auch hier im Blog schon berichtet. Thomas Wolff sagt dazu: Glücklicherweise seien die während des Corona-Booms geschmiedeten Expansionspläne aus diversen Gründen gescheitert. „Sonst könnte ich heute nicht so ruhig schlafen.“ Denn der Einbruch, den der Ukraine-Krieg brachte, war für alle in der Biobranche wohl unerwartet. Heute aber ist’s wieder wie vor Corona. Immerhin.

Von der Packstraße bis zum Lieferwagen: 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat Querbeet, achttausend Haushalte im Rhein-Main-Gebiet beziehen den Newsletter, 2500 Biokisten werden jede Woche ausgeliefert. | Foto: Florian Schwinn

Konzept Gemeinsam

Gemeinsam planen die drei Betriebe den Anbau und den Verkauf. Auf dem Pappelhof wird das Feldgemüse angebaut, also etwa Zwiebeln und Möhren, Pastinaken, Sellerie, Rote Beete und Kartoffeln. Dazu ein paar Sonderkulturen, eben Grüner Spargel und Erdbeeren, aber auch Süßkirschen Zwetschgen und Johannisbeeren. Der Gemüsehof baut gut dreißig verschiedene Kulturen Feingemüse an, mit einem Schwerpunkt im Gewächshaus, aus dem die Tomaten, Auberginen, Paprika und Schlangengurken kommen.

Betty Bootsman und Theo Bloem haben den Gemüsehof von Querbeet gepachtet. Die beiden sind Niederländer und haben zuvor acht Jahre lang in Polen eine große Gemüse-Gärtnerei aufgebaut. Die war Teil des damals größten Demeter-Betriebs in Europa. Als die Gärtnerei dort lief, haben sie das Projekt verlassen und sind mit ihren Kindern nach Deutschland gekommen, um sich noch einmal etwas kleineres Eigenes aufzubauen.

Das Konzept von Querbeet hat ihnen sofort gefallen: die Kooperation von Landwirtschaft und Vermarktung. „Es war Dezember, als wir hier ankamen“, sagt Theo Bloem. Schmuddelwetter und auf dem Hof wurde gerade Kompost gefahren. „Es sah aus wie Sau. Aber der Hof und die Kooperation – das hat uns sofort angesprochen, das hat Potenzial!“

Zuvor hatte Querbeet einen Betriebsleiter eingesetzt auf dem Gemüsehof. Am Ende brauchte es aber dann doch die Unternehmerin, den Unternehmer, die das in Eigenregie betreiben. Die beiden Pächter sind so eben auch vollwertige Mitglieder der großen Produktions- und Vermarktungskooperation.

Und kaum sind Theo Bloem und Betty Bootsman so richtig angekommen auf dem Gemüsehof in Steinfurth, schon haben sie Großes vor: ein Bauprojekt von einiger Dimension. Es ist den trockenen Jahren geschuldet, die wir hinter uns haben und der Winterdürre, die gerade Frankreich und Spanien im klimatischen Würgegriff hat. Das Frühjahr war viel zu nass in der hessischen Wetterau. „Aber das Wasser wird uns im Sommer fehlen“, sagt Theo Bloem: „Wir müssen es festhalten.“

Als erstes wurde deshalb rund um die Gebäude das Gelände aufgegraben, um die Dachentwässerung zusammenzuführen in einen Speicher. Das wird aber nicht reichen. Und auch die Wasserentnahmerechte an einem Brunnen nahe beim Hof werden nicht reichen. Das sind achttausend Kubikmeter im Jahr. „Und wenn wieder ein Sommer kommt, wie die trockenen der letzten Jahre, dann wird es schwer, hier noch Gemüse zu produzieren.“

Also soll ein großer Speicherteich entstehen, eher schon ein See mit knapp fünftausend Kubikmetern Fassungsvermögen. „Hier soll nichts mehr den Hang hinunter und wegfließen“, sagt Theo Bloem. Also braucht es Baugenehmigungen und Überzeugungsarbeit bei den Wasserbehörden. Und am Ende muss sich das dann wohl auch im Preis des Gemüses niederschlagen.

Auf dass auch dieses Gewächshaus weiter funktioniert: Theo Bloem will viel bewegen – vor allem Wasser! Er plant die klimaresiliente Zukunft des Gemüseanbaus. Foto: Florian Schwinn

Zukunftsfrage Wasser

Der Spiegel hat es in diesem Frühjahr in einer Überschrift auf den Punkt gebracht. Ein Beitrag auf der Website, der über die Dürre in Spanien berichtete, trug den Titel: „Erdbeeren 1,49 Euro. Die Andalusier zahlen den Preis.“ Und Theo Bloem sagt dazu: „Wenn es in Spanien und Südfrankreich trocken ist und der Wind weht in Europa aus Südwesten: Was soll da bei uns ankommen außer Trockenheit?“

Noch zahlen wir Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland 1,49 für ein Pfund Erdbeeren, wenn wir denn gewissenlos genug sind, sie zu kaufen. Das dicke Ende wird die Verwüstung des Südwestens von Europa sein. Schon jetzt leuchtet der Südwesten unseres Kontinents auf der Weltkarte der Desertifikation in der Warnfarbe Rot. Am Ende werden wir alle auch für die Verwüstung dort zahlen müssen. „Die Gemüsebauern werden weiterziehen in Gegenden, in denen es noch Wasser gibt“, prognostiziert Theo Bloem. Was sie hinterlassen ist sonnenverbrannte Erde. So weit soll es in der Wetterau nicht kommen, deshalb beginnt jetzt das Gegensteuern.

Und wer erklärt der Kundschaft am Gemüsestand auf den Wochenmärkten oder beim Bestellen im Lieferservice, dass die Klimakrise jetzt schon dort angekommen ist, weil ein neues Wasserbecken finanziert werden muss? „Das“, sagt Thomas Wolff, „ist unsere Aufgabe als Vermarkter.“ Und erklärt dann, dass er sehr froh sei, dass Corona vorbei ist und wieder Konzerte und Feste stattfinden können, zu denen die Kundinnen und Kunden auf den Hof kommen und bei denen man mit ihnen ins Gespräch kommen kann.

Es gibt nämlich so einiges, was zu erklären ist, einiges, was sich geändert hat in den drei Jahren Corona und einem Jahr Krieg. Und das alles nicht, weil eine Pandemie herrschte und Putin einen Angriffskrieg begann, sondern deshalb, weil die Klima- und die Biodiversitätskrise wegen der anderen hausgemachten Probleme der Menschheit nicht pausiert haben. Das Klima hat keine Pausentaste und man kann mit ihm auch nicht über Frieden verhandeln.


Mehr gibt’s auf die Ohren – im Podcast.