Der Krieg im Kornfeld

Putins Krieg gegen die Ukraine gefährdet die weltweite Versorgung mit Weizen. Über hundert Länder sind abhängig von Lebensmittelimporten. | Foto: Pexels / Pixabay

Putins Krieg gegen die Ukraine wird zu Hunger in Afrika führen, warnen das World Food Programme WFP der Vereinten Nationen und viele international tätige Hilfsorganisationen. Ja, Russland führt Krieg in der Kornkammer Europas. Russland selbst ist der größte, die vergleichsweise kleine Ukraine ist der fünftgrößte Exporteur von Weizen im Welthandel. Aber weshalb führt der mögliche Ausfall dieser beiden Lieferanten zu Hunger in Afrika? Wieso ist ein Kontinent, in dem von Natur aus, außer im Norden, eher kein Weizen wächst, von Lieferungen ausgerechnet dieses Getreides abhängig?

Es herrscht Dürre in Ostafrika, und auch im Norden des Kontinents waren die Ernten der vergangenen Jahre nicht die besten, anderswo haben Überschwemmungen die Ernte vernichtet, oder regionale Konflikte bedrohen die Versorgung. Dazu kommt eine seit Jahren rasch wachsende Bevölkerung. Insofern sind Hilferufe verständlich. Nun aber ist es weder das Klima, noch sind es die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Kontinent, es ist ein Krieg in der Ferne, der die Versorgung vieler Länder in Afrika und auch einiger in Asien mit Getreide gefährdet. Auch deshalb, weil sich die ärmeren Länder den Brotweizen nicht mehr leisten können.

Welt-Markt-Versagen

Anfang Februar 2022 notierten die Welthandelsbörsen die Tonne Weizen mit rund 260 Euro. Einen Monat später kostet eine Tonne Weizen fast zwei Drittel mehr: 430 Euro, Tendenz steigend. Die ARD-Korrespondentin in Nairobi berichtet, dass Kenia achtzig Prozent des Getreides importiert und die Angst vor Unruhen wegen steigender Brotpreise umgeht. Sie lässt eine Frau zu Wort kommen, die eine kleine Garküche betreibt und geröstete Maiskolben verkauft. Die klagt, dass sie sich das Pflanzenöl nicht mehr leisten kann, das sie dazu braucht. Und wir lernen: einer der größten Exporteure von Sonnenblumenöl ist, oder besser war: die Ukraine. Nur, weshalb hat Kenia kein eigenes Pflanzenöl, und weshalb braucht es importierten Weizen?

Im Februar noch für 260 Euro zu haben – die Tonne Weizen auf dem Weltmarkt. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine auf inzwischen 430 Euro gestiegen.

Ich frage nach beim Forum Umwelt und Entwicklung. Das ist die Organisation, unter deren Dach sich deutsche Umwelt- und Entwicklungsorganisationen nach dem Weltgipfel von Rio de Janeiro 1992 zusammengetan haben. Ich frage, weshalb der Weizen aus dem Norden so wichtig ist in einem Land wie Kenia. „Dahinter stecken ökonomische Abhängigkeiten, aber auch einiges an kulturellem Kontext“, sagt Forum-Geschäftsführer Jürgen Maier: „Man will so sein wie der Westen, man will so sein wie die Reichen. Und es ist dann ein Wohlstandsmerkmal, dass man so lebt und eben auch so isst wie die.“ Das hatte auch die ARD-Korrespondentin berichtet, dass in Kenia viel Toastbrot gegessen wird. Wer war noch die Kolonialmacht in Ostafrika? Richtig: Großbritannien. Schon sind wir mal wieder beim Erbe der Kolonialzeit, dann aber auch gleichzeitig bei der ökonomische Rekolonisierung der letzten dreißig Jahre, besser bekannt als Globalisierung. Das sind die ökonomischen Abhängigkeiten, von denen Jürgen Maier spricht.

In den 1980er Jahren gab es knapp dreißig Länder auf der Erde, die von Lebensmittelimporten abhängig waren, heute sind es über hundert. Damals gab es noch keinen Weltmarkt im heutigen Sinn, erklärt Jürgen Maier: „Es gab entsprechend auch keinen Weltmarktpreis für Lebensmittel.“ Die Märkte waren regional organisiert, bisweilen auch supranational wie in der damaligen EWG, der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft. Die Welthandelsorganisation WTO wurde erst 1994 gegründet. Danach erst nahm die Globalisierung richtig Fahrt auf und nach den Industriegütern wurden auch Lebensmittel zum Objekt des Welthandels. Plötzlich gab es einen etablierten Weltmarkt für Getreide und dann auch für verderblichere Waren wie Milch und Fleisch. „Jetzt haben wir eine Situation, wo diese ganzen Produkte auf globalen Märkten einem globalen Preisbildungsmechanismus unterliegen. Und das haben viele Kleinbauern nicht überlebt. Die wurden aus dem Markt gedrängt.“ Die Kleinbauern aber waren es, die damals noch die regionalen Märkte in Afrika und Asien bedienten. Aber, man soll die Vergangenheit nicht schönreden: Es gab auch damals schon Hungerkrisen, und auch nicht alle waren vom Krieg getrieben. Selbst die mächtige Sowjetunion musste sich in den 80er Jahren nach einer Missernte mal mit Weizen aus Nordamerika versorgen lassen. Solche Versorgungsengpässe hatten aber noch nichts mit Weltmarkt und Konzernen zu tun.

Die großen Vier

Den Welthandel mit Agrarprodukten beherrschen fünf Großkonzerne. Neben dem chinesischen Staatskonzern Cofco sind das ADM, Archer Daniels Midland, Bunge und Cargill aus den USA und Louis Dreyfus aus den Niederlanden. In der Branche werden die vier aus dem Westen schlicht ABCD genannt. Dazu gekommen ist vor sieben Jahren der russische Getreidehändler RIF. Wobei Cofco hauptsächlich Importeur, RIF fast ausschließlich Exporteur ist. Die Macht der großen Vier ist also noch immer weltumfänglich. Und sie sind schon lange auf dem Weg, den reinen Rohstoffhandel zu verlassen. Sie kaufen sich durch die Unternehmenslandschaft, um auch die Verarbeitung der Ackerfrüchte in den Griff zu bekommen.

Für Lebensmittel sollte es keinen globalisierten Weltmarkt geben, sagt Jürgen Maier, der Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung. Nur wenn die Märkte wieder regionalisiert würden, hätten die Bauern eine Überlebenschance, auch die Kleinbauern in Afrika, | Foto: Forum UE

Die Macht der Konzerne wird in der Kriegssituation besonders deutlich. Jetzt, wo in Europa und sogar in den USA viele Politikerinnen und Politiker ebenso wie das World Food Programme und die NGOs fordern, den vom Getreideimport abhängigen Staaten zu helfen, stellt sich heraus, dass weder die einen noch die anderen eigentlich wissen, wie viel Getreide es in den Lagern der Welt gibt. Das ist sozusagen ein Betriebsgeheimnis der Konzerne. Was können wir kurzfristig liefern? Keine Ahnung. Zu welchem Preis? Keine Ahnung.

Der grüne Europaabgeordnete und Biobauer Martin Häusling fordert dazu einen G7-Gipfel. Der soll feststellen, was es eigentlich gibt, und dann die Hilfe auf den Weg bringen: „Wir müssen doch wenigstens wissen, was wir haben, um helfen zu können!“ Er fordert eine Erfassung der Mengen. Kein Statistikkamt, weder das deutsche, noch das europäische, noch das der USA, könne sagen, was in den Lagern liegt. Betriebsgeheimnis der großen Vier. Zu viel Konzernmacht, zu wenig politische Übersicht. Was könnten oder wollten wohl die G7 daran ändern?

De-Globalisierung

Andere Frage: was müsste geändert werden? „Wir brauchen eine Deglobalisierung der Landwirtschaft, eine Deglobalisierung der Agrarmärkte und vor allem der Preisbildungsmechanismen. Das ist der springende Punkt!“ sagt Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung. „Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn in der jetzigen Lage auch interkontinental gehandelt wird. Aber die Preisbildungsmechanismen müssen wieder regionalisiert werden. Ein Weltmarktpreis für Fleisch oder für Milch – das ist grotesk. Das darf es nicht geben. Für Getreide im Grunde auch nicht.“ Nur in wieder regionalisierten Märkten hätten die Bauern wieder eine Chance, eine profitable Landwirtschaft zu machen, von der sie auch leben könnten.

Wieder zurück entwickelt werden müsste dann wohl gleich auch die Weltmarktorientierung der Agrarproduktion. In Europa haben die Agrarberater und die Bauernverbände den Bäuerinnen und Bauern jahrzehntelang das Lied vom „Wachsen oder Weichen“ vorgesungen. In Afrika werden Schnittblumen und Bohnen für den Export angebaut, statt der traditionellen Hirse für die Ernährung der eigenen Bevölkerung.

Noch so eine andere Frage: Was wäre denn, wenn das World Food Programme, statt auf dem sogenannten Weltmarkt jetzt nach Weizen zu suchen, also bei den großen Vier, den Kleinbauern in Afrika vorschlagen würde, wieder Hirse anzubauen? Bei gleichzeitiger Abnahmegarantie im nächsten Jahr, versteht sich. Ach so, ja, dazu ist das WFP nicht da. Die Ausrichtung dieser UN-Organisation ist kurzfristige Hilfe. Was wäre dann, wenn die G7 ein Selbsternährungsprogramm für Afrika auflegen würden? Ach so, ja, die großen Vier … Die würden das natürlich nicht so lustig finden, wenn ihnen die offenen Märkte verschlossen werden, weil sich mehr Länder dieser Welt wieder selbst ernähren könnten.

Und weiter?

„Weniger Getreide in den Futtertrog“, fordert Biobauer und EU-Parlamentarier Martin Häusling. Tierhaltung reduzieren, kein Fleisch mehr exportieren – dann könnten wir den Ländern helfen, die Getreide importieren müssen. | Foto: martin-haeusling.eu

Die Landwirte in Europa und den USA, die jetzt die Sämaschine hinter den Traktor schnallen, die Bäuerinnen, die in diesen Tagen entscheiden, welche Sommerungen gesät werden, die werden sich vermehrt für exportfähiges Getreide entscheiden. Das aber wird die weltweite Lücke nicht füllen können, denn in der Ukraine sind die Traktorfahrer der riesigen Betriebe mit tausenden von Hektar bester Böden im Krieg. Der Diesel der Höfe ist abgezapft für die Kriegsgeräte. Was jetzt nicht gesät wird, kann im Spätsommer und Herbst nicht geerntet werden.

Was jetzt aufbricht, ist die Diskussion über staatlich gesteuerte Lagerhaltung; die wurde abgeschafft nach dem Ende des Kalten Krieges. Was jetzt laut wird, ist auch der Ruf nach Deregulierung in der europäischen Landwirtschaft. Abschaffung möglichst aller Umweltauflagen, um mehr zu produzieren für den Getreidehunger der Welt. Rausholen, was rauszuholen ist aus unseren ohnehin ausgelaugten Böden, den schon jetzt krank gezüchteten Tieren. Mehr Biolandwirtschaft, wie eigentlich von der EU gewünscht? Können wir uns nicht leisten! Das ist das neue Credo. Von weiterer Intensivierung spricht auch Janusz Wojciechowski, der Landwirtschaftskommissar der EU. Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling nennt das Gefasel. Weitere Intensivierung einer ohnehin industrialisierten Landwirtschaft würde noch mehr von dem zerstören, was es zu bewahren gilt und die Biodiversitätskrise und die Klimakrise weiter anheizen. Weitere Intensivierung würde nämlich nur mit noch mehr Dünger funktionieren, auch und vor allem mit mehr Kunstdünger. „Und den bezogen wir bislang gerne aus Russland und Belarus“, sagt Martin Häusling, „der wird da nämlich mit Hilfe von sehr viel Erdgas hergestellt.“

Was wir stattdessen tun könnten, sagt der Biobauer aus Nordhessen, sei schlicht, weniger Getreide in die Futtertröge zu kippen. Über sechzig Prozent des Getreides werden in Europa als Viehfutter verwendet. Dabei ist natürlich auch Getreide, das für den menschlichen Verzehr nicht geeignet ist, das nicht zum Brotbacken taugt und auch nicht für Haferflocken oder zum Bierbrauen. Aber ein beträchtlicher Anteil des Futters vor allem für Schweine und Geflügel, könnte auch Menschen ernähren. Wenn wir das nun auch Menschen zur Verfügung stellen würden, würde das den Ausstieg aus der überbordenden Tierhaltung beschleunigen. Der ist, zumindest in Deutschland, ohnehin im Gange. Dennoch produzieren auch wir immer noch mehr Fleisch, als hier gegessen wird. Das, sagt Martin Häusling, müsse aufhören. „Weizen für Brot, statt Weizen in den Trog“, fordert er: „Wir müssen aufhören, Fleisch zu exportieren, für das wir nicht nur Getreide aus der Ukraine, sondern auch riesige Mengen an Soja aus Südamerika importieren. Dieses Modell ist nicht nachhaltig!“ Ebenso wenig wie unsere Wegwerfmentalität. Noch immer landen dreißig Prozent der Lebensmittel schlicht in der Tonne.

In schönster Klarheit hat das der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter benannt. In einer Reaktion auf die Forderung der Agrarindustrie, angesichts des Krieges alle Bemühungen um Extensivierung der Landwirtschaft über Bord zu werfen, zitiert der BDM seinen Vorsitzenden Stefan Mann: „Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von 135 Prozent bei Kartoffeln, von 125 Prozent bei Schweinefleisch, 125 Prozent bei Zucker, 116 Prozent bei Milch und 106 Prozent bei Getreide. Natürlich ist auch uns bekannt, dass rund ein Fünftel der landwirtschaftlichen Agrarprodukte auf Grundlage von Importfuttermitteln produziert wird und damit rein rechnerisch eine Unterversorgung behauptet werden könnte. Völlig vernachlässigt wird dabei aber, dass rund ein Drittel unserer Nahrungsmittel im Müll landet oder von der Nahrungsindustrie als eine Art Putzmittel zweckentfremdet wird. So werden beispielsweise die Rohre in Molkereien bei einem Chargenwechsel so lange mit dem neuen Produkt ‚durchgespült‘ (Anmerkung: also mit Milch!), bis das neue Produkt sortenrein ankommt, weil das billiger zu sein scheint, als einen Spülgang mit Wasser durchzuführen. Unsere vermeintliche Unterversorgung im Gemüsebereich schließt bisher nicht aus, dass auf unseren Äckern wachsendes Gemüse zum Teil noch vor der Ernte untergepflügt wird, weil es nicht verkauft werden kann oder Obst am Baum vergammelt, weil es aus aller Herren Länder billiger importiert werden kann.“