Dieter Euler ist ein engagierter Bauer. Als er 1986 seinen Hof auf Bio umstellte, da tat er das nicht nur wegen Tschernobyl, sondern auch, weil er wieder „ein freier Bauer“ sein wollte. Nicht mehr abhängig von der Agrarindustrie und der Agrarbürokratie. So hat er mir das einmal erzählt. Auch wenn letzteres nicht geklappt hat, ist er bis heute einer geblieben, der sich einmischt. So auch in dieser Geschichte, die mit einem Fernsehabend begann.
Am 18. März brachte die renommierte Sendung Alles Wissen des hr-Fernsehens einen Beitrag mit dem Titel „Welcher Fleischersatz ist zukunftsfähig?“ Zwei Testesser, die eigentlich zu den Fleischkonsumenten gehören, also ein schlechtes Gewissen ob ihrer klimaschädlichen Ernährung haben sollten, probierten diverse Fleischersatzprodukte durch. Und nach etwa zwei Minuten kam der Beitrag zum eigentlichen Thema: Dass wir Menschen nämlich die Pflanzen besser selber essen sollten, als sie zuvor durch die tierische Verdauung zu schicken, um dann Fleisch zu erhalten. Und das war der Moment, als dem Demeter-Bauern Euler aus Schlüchtern im Südosten Hessens der Hut hochging.
Was nicht zusammengehört
Zur Illustration zeigte Alles Wissen nämlich Rinder, die gerade gefüttert wurden – mit Raufutter, also mit Gras und Silage. So etwas nennt man in der Medienkritik „Bild-Text-Schere“: die Bildinformation stimmt nicht mit dem überein, was der Text sagt. Das Fernsehen braucht Bilder, und wenn es die richtigen nicht gibt, nun ja … Wobei man sich bei dem Beitrag, der Dieter Euler zu einer länglichen Korrespondenz mit dem Sender brachte, nicht so sicher sein kann, ob es sich hier um eine klassische, aus der Bildernot geborene Bild-Text-Schere handelte, denn in dem Beitrag geht noch einiges andere durcheinander. Fleischersatzprodukte werden dort vorgestellt aus Milch und Eiern. Wer isst die Kälber, ohne die eine Kuh keine Milch gibt? Wer die Hühner, ohne die es keine Eier gibt? Fleischersatzprodukte aus Insekten. Sind das keine Tiere? Leiden die, wissen wir das? Aber dies soll keine Kritik eines einzelnen Fernsehbeitrags sein, sondern die Dokumentation einer interessanten Mail-Kommunikation zu unserer Ernährung. Also überlassen wir den Rest der Unschärferelation, um es auch mal mit einem unpassenden Vergleich zu versuchen.
„Speziell von Minute 1:57 bis 2:18 kann man den Beitrag – unter wohlwollender Betrachtung – als Satire bezeichnen“, schrieb Dieter Euler an den Sender. „Es ist davon die Rede, dass der Fleischersatz aus Soja hergestellt wird und man dabei die Pflanzen direkt isst. Anschließend kommt, dass bei der Herstellung von Fleisch viele Kilo Futter gebraucht werden und das Ganze wird mit Bildern der Rindviehfütterung unterlegt und damit suggeriert, man könnte ja dieses Futter direkt in der menschlichen Ernährung verwerten.“ Das genau kann man aber nicht. Wir Menschen sind weder in der Lage, auf der Wiese zu grasen, noch können wir zum Beispiel Sojaextraktionsschrot essen, dass bei der Herstellung von Soja für die menschliche Ernährung anfällt. Dieter Euler schließt seine erste Mail an die Redaktion dann auch mit einer ironischen Bemerkung ab: „Gerade habe ich meine Kühe gefüttert. Gerne bin ich bereit, Ihnen eine Probe zuzusenden. Dann können Sie ausprobieren, wie das geht, die Kalorien und das Eiweiß der Pflanzen ohne den verlustreichen Umweg über die Tiere direkt für die menschliche Ernährung zu nutzen.“
Die Rinder, so sie vernünftig ernährt werden, fressen also einerseits Pflanzen, die wir Menschen nicht essen können, andererseits Abfälle aus der Herstellung unserer Nahrung. Natürlich werden viele Rinder, vor allem Milchkühe, nicht in diesem Sinne vernünftig ernährt. Sie bekommen, zur Steigerung der Milchleistung, tatsächlich sogenannte „pansengängige“ Futtermittel, für die sie ihren komplizierten Verdauungsapparat gar nicht erst anwerfen müssen. Das können auch Lebensmittel sein, die für den menschlichen Verbrauch geeignet sind. Aber das passiert nicht auf einem Biohof, und das führt in kurzer Zeit auch zur Erkrankung und letztlich dem Verlust der Kuh. Dass das nicht zukunftsfähig ist, begreifen inzwischen auch die Turbolandwirte mit den Turbokühen. Aber: Ganz am Schluss der Mailkommunikation zwischen dem Bauern und der Redaktion, nach weit über einem Monat, weist Alles Wissen genau darauf hin: „Sie beziehen sich in Ihrer Argumentation hauptsächlich auf Bio-Betriebe. Allerdings macht Bio bei der globalen Rinderhaltung nur einen sehr kleinen Teil aus, europaweit sind es etwa laut Statistischem Bundesamt lediglich sechs, in Deutschland sieben Prozent.“
Klimakiller Kuh
Was bleibt, ist die inzwischen zum Stereotyp gewordene Behauptung, die Kuh sei ein Klimakiller. Weil sie ungeheure Mengen Futter verbraucht, um am Ende für uns Milch und Fleisch zu produzieren, und weil sie durch ihre besondere Verdauungsprozesse, wie andere Wiederkäuer, das Treibhausgas Methan erzeugt. Das wird in dem hier diskutierten Fernsehbeitrag alles bereits als bekannt vorausgesetzt und von der Redaktion in einer der Antwortmails an Dieter Euler bestätigt: „Die Bilder der fressenden Rinder dienen der Illustration des Themas Fleischproduktion. Im Nachhinein sind wir der Ansicht, dass wir hier verschiedene Tierarten hätten zeigen sollen, zum Beispiel auch Schweine. Allerdings geht es in unserem Beitrag nicht zuletzt um den Treibhausgas-Ausstoß bei der Produktion unterschiedlicher Arten von Fleisch und Fleischersatz. Und es ist ja unbestritten, dass hier die Rinderhaltung insgesamt im Vergleich mit Schweinen und Geflügel den größten Fußabdruck hat.“
Nein, es ist eben nicht unbestritten! „Es ist bestritten“, schreibt dann auch Dieter Euler zurück: „Ich verweise hier auf das Buch von Frau Idel: Die Kuh ist kein Klimakiller.“ Die geschätzte Kollegin Anita Idel ist von Hause aus Tierärztin und hat in einer minutiösen weltweiten Recherche nachgewiesen, dass die eifrigen Klimaschützer den Rindviechern Unrecht tun. Rund sechzig Prozent der weltweit landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Weiden. Und die lassen sich auch nicht zu Acker umwandeln, weil das weder klimatisch noch von den Böden her funktioniert. Also was tun, wenn man mit diesen Flächen Menschen ernähren will und muss: Die Mägen der Wiederkäuer nutzen! Das unterscheidet Rinder, Schafe und Ziegen von anderen Nutztieren: Sie verwerten Futter, das wir nicht verwerten können. Jedenfalls ist es deutlich einfacher, die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen zu vergleichen, als das Futter von Geflügel, Schweinen und Rindern. Hühner und Schweine sind Omnivoren, Allesfresser wie wir, und können sich – zumindest theoretisch – ähnlich ernähren wie wir. Wir sind also potenzielle Nahrungskonkurrenten. Wiederkäuer ernähren sich komplett anders, mit Nahrungsmitteln, die für uns völlig ungeeignet sind. Aber in den Medien wird das alles seit Jahren zusammengemischt wie das Kraftfutter. Es ist, wie gesagt, zu einem Stereotyp geworden, dass Rinder das Klima schädigen und Fleischkonsum klimaschädlich sei. Das kommt inzwischen einer medialen Gehirnwäsche gleich. Zumal da, wo überhaupt nicht mehr differenziert wird und die Form der Tierhaltung nicht in die Statistiken einfließt.
Das vegane Huhn
Um wütenden Mails und Kommentaren vorzubeugen: Ja, wir müssen weniger Fleisch konsumieren! Ja, die Fleischindustrie ist ein globaler Klimakiller. Sie verbrennt Regenwald, um Soja für Schweine und Hühner zu gewinnen. Nur zum Beispiel. Ja, es wäre besser, wir Menschen würden die Soja direkt essen und ja, wir brauchen die Sojaschweine und Sojahühner nicht für unsere Ernährung.
Aber lasst doch die Rindviecher aus diesem Spiel! Holt sie aus den Ställen und lasst sie auf die Weiden, haltet nur so viele, wie ihr mit eurem eigenen Land ernähren könnt, kauft kein Futter mehr von nebenan und schon gar nicht von Übersee. Und schon gibt es weniger Fleisch auf dem Markt. Es wird teurer – und besser.
Mit einer immer neuen und inzwischen alten Diskussion über die Kühe als Klimakiller werden wir uns nicht vor dem Klimawandel retten, weil wir die Wiederkäuer einfach brauchen, sowohl für die Kreislaufwirtschaft auf den Höfen, als auch für die Ernährung der Menschheit. Demeter schreibt seinen Bauern die Viehhaltung sogar vor. Was wir weniger brauchen, sind mediale Verbiegungen. Kürzlich schrieb eine Kollegin in der Zeit, dass wir, um das Klima zu retten, weniger Fleisch essen müssten, und stattdessen mehr Gemüse und Geflügel. Neue Innovation: das vegane Huhn!
Ganz am Schluss der Auseinandersetzung des Demeter-Bauern Dieter Euler mit der Redaktion von Alles Wissen hat er noch eine FAO-Studie hinterhergeschickt. Darin stellt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen fest, „dass 86 Prozent des Nutztierfutters für die menschliche Ernährung nicht geeignet ist.“ Und ganz am Schluss der Mailkommunikation zwischen Bauer und Redaktion schreibt Alles Wissen: „Ihre Ausführungen können für unsere künftige Berichterstattung durchaus interessant sein. Wie bereits angedeutet, planen wir eine Sendung zum Thema Kühe, in der wir vielen der angesprochenen Punkte nachgehen wollen.“ Vielleicht wird dann nicht nur zwischen Sachbuchdeckeln klar, dass die Kuh per se eben kein Klimakiller ist.
Es ist doch schön, was eine Zuschauer-Mail so alles auslösen kann.
Ach so, ja – Disclaimer: Ich bin befangen, ich war lange Freier Mitarbeiter beim Öffentlich-Rechtlichen, und ausgerechnet auch noch beim hr.
FAO Studie: http://www.fao.org/ag/againfo/home/en/news_archive/2017_More_Fuel_for_the_Food_Feed.html