Am 24. Februar 2022 überfiel Putins Russland die Ukraine. Der Krieg in Europa hatte viele Folgen. In Deutschland mehr als in anderen Ländern der Europäischen Union, denn Deutschland hatte sich von russischem Gas abhängig gemacht. Entsprechend stark stiegen die Energiepreise und die Inflation, entsprechend heftig trieb uns die Angst vor dem Winter um.
Die Folge ist bekannt: Die Menschen kauften weniger. Und wenn doch, dann billiger – beim Discounter. Am Urlaub wurde nach den Corona-Jahren nicht gespart, aber bei den Lebensmitteln. Das traf am härtesten die Biobranche, deren Lebensmittel als die teureren gelten, was sie in der aktuellen Krise bisweilen gar nicht waren. Für diesen Blog und den zugehörigen Podcast habe ich nach einem Jahr Krieg in Europa drei der Betriebe besucht, die am meisten gelitten haben: Direktvermarkter mit Hofläden und regionalen Strukturen, und Produzenten von handwerklich hochwertiger Ware.
Woanders Bio
In der Krise wurde gar nicht so viel weniger Bio gekauft. Vor allem wurde Bio aber woanders gekauft und auch anderes Bio: Statt im Hofladen oder im Bioladen bei den konventionellen Supermarktketten oder beim Discounter.
Im Juni 2022 titelte die Agrar-Fachpresse „Aldi erhöht Milchpreise drastisch – Biomilch kostet 50 Cent mehr.“ Was nicht in dieser Überschrift und auch nicht im zugehörigen Artikel von agrarheute stand: Die Biomilch war im Einkauf gar nicht teurer geworden. Dennoch stieg der Preis mit dem der konventionellen Milch. Aldi machte also Reibach, weil die Kunden ja annehmen, dass Bio eben teurer ist.
Nachdem ich diese Meldung gelesen hatte, ging ich im lokalen Bioladen einkaufen. Und staunte nicht schlecht: die Biomilch wurde bei diesem kleinen Fachhändler zum gleichen Preis verkauft wie beim Discounter.
Hat das jemand gemerkt? Offenbar nicht, denn die Umsätze der kleinen Läden sind eingebrochen, zum Teil um zwanzig Prozent und mehr. Selbst Bio-Supermarktketten haben Insolvenz angemeldet. Wenn Bio gekauft wurde im Krisenjahr 2022, dann eben beim Discounter. Man weiß ja, dass es dort billiger ist. So genau, dass man das gar nicht mehr überprüfen muss …
Ich war kurz mal erinnert an eine Schlagzeile aus 1989, als die Mauer fiel und viele damalige DDR-Bürger in den Westen kamen. Da titelte, ich weiß nicht mehr wer, hört sich aber nach taz an: „Ein Volk bricht auf – und geht zum Aldi.“
Kompost oder Kunden
Am Anfang dieses europäischen Kriegsjahres habe ich schon einmal einige Produzenten von Bio-Lebensmitteln gefragt, wie sie mit der Krise umgehen und was sie erwarten. Thomas Wolff von „Querbeet“ in der Wetterau bei Frankfurt sagte damals: „Mir graut vor den Sommerferien.“
Jetzt habe ich nachgefragt: Wie war der Sommer dann tatsächlich, haben sich die düsteren Erwartungen bestätigt?
„Ja,“ sagt er, „haben sie“. Just als die Menschen aus seiner Region Rhein-Main sich zum ersten Mal seit Corona wieder in den Urlaub aufmachten, stand bei Querbeet eine große Tomatenernte an. Die aber niemanden von den Urlaubern mehr erreichen konnte.
Bei den Gemüsekisten, die Thomas Wolff vor dreißig Jahren mit erfunden hat, blieben die Bestellungen aus. Und auch auf den Wochenmärkten, die der Betrieb mit seinen damals über hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestückt, blieben die Kundinnen und Kunden weg. Dann machte auch noch ein regionaler Biohändler Pleite – und plötzlich standen Tomaten, Auberginen und anderes hochwertiges Gemüse zum Kompostieren an.
So weit kam es dann aber doch nicht. In zwei schnellen Aktionen hat Querbeet seinen riesigen Verteiler genutzt und den Menschen eine Tomaten-Selbsternteaktion angeboten. Also rein ins Gewächshaus und selbst pflücken, wie sonst nur vom Erdbeerfeld bekannt.
Was Thomas Wolff befürchtet hat, traf nicht ein: die Pflückerinnen und Pflücker haben seinen Tomatenpflanzen die jungen Triebe nicht abgebrochen. Sie sind sehr sorgfältig unterwegs gewesen in den Gewächshäusern.
Auch eine zweite Aktion, bei der ganze Tomatenkisten verkauft wurden, war durchaus erfolgreich. Wir lernen offenbar in der Krise wieder, Gemüse auch einzumachen.: Tomatensoße für die Zukunft.
Jedenfalls mussten die Tomaten bei Querbeet nicht auf den Kompost. Aber ist das die Zukunft von Bio? Von der Branche, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, umweltverträglich Lebensmittel zu produzieren: Rabattaktionen, um die Ware nicht kompostieren zu müssen. Was ja bei Gemüse im Notfall noch angehen mag. Aber auch bei Eiern, oder gar Hühnern, Schweinen oder Rindern? Wohl eher nicht.
Thomas Wolff von Querbeet in der hessischen Wetterau hat mir an dieser Stelle etwas erzählt, was mich ebenso erstaunt hat wie ihn: Es kamen bei seinen Tomatenaktionen und auch bei einer Möhrenaktion bis zu hundert Menschen auf die beiden Hofstellen, um für sich zu ernten. Er nutzte die Gelegenheit, um über die prekäre Situation der Biobranche zu berichten. Und seine Kundinnen und Kunden fielen aus allen Wolken. Sie wussten nicht, dass Bio in der Krise ist. Sie hatten nicht gedacht, dass das etwas ausmacht, wenn sie mal eine Weile woanders kaufen und die Gemüsekiste abbestellen.
Selbst für die lokale Presse war das offenbar neu und sie berichtete auch ganz ohne durch eine Pressemitteilung darauf aufmerksam gemacht zu werden. Am Ende schaffte es Thomas Wolff bis ins heute journal. Was aber auch nicht dazu führte, dass mehr Menschen wieder Gemüsekisten bestellten oder zu den Marktständen kamen.
Querbeet beschäftigt am Ende des Krisenjahres 2022 über zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger. Einer von sehr vielen Betrieben, denen es so geht. Und wir, die Verbraucherinnen und Verbraucher, wir haben nichts gemerkt …
SoLa Wie?
Jahrelang, eigentlich schon Jahrzehnte lang, wurde verkündet, dass die Konsumentinnen und Konsumenten mit ihrem Einkaufsverhalten mitbestimmen, wie was wo produziert wird. Das haben sowohl die verkündet, die für billig plädierten, weil ja die meisten billig kaufen. Als auch diejenigen, die für Bio plädierten, weil dessen Marktanteil ja stetig wuchs.
Das war und ist quasi das Heilsversprechen des Kapitalismus: Du kannst mit deinem Einkaufsverhalten die Wirtschaftsweise und also auch deren Umweltschädlichkeit oder Umweltverträglichkeit mitbestimmen. Stimmt natürlich nur bedingt, ist aber was dran. Deshalb heißt dieser Blog und der zugehörige Podcast im Übertitel auch „Führerschein für Einkaufswagen“. So heißt er allerdings auch, weil es diesen Führerschein nicht gibt. Und wie nötig der wäre, erfahren wir gerade mal wieder als Lehre aus der Krise.
Beispiel Kattendorfer Hof. Gut fünfhundert Kilometer nördlich von der Wetterau, in Schleswig-Holstein, nahe an der Metropole Hamburg.
Die Kattendorfer sind einer der ältesten SoLaWi-Höfe in Deutschland, also eine Solidarische Landwirtschaft. Die funktioniert so, dass einzelne Menschen, Familien, Haushalte, Mitglieder werden und monatlich sogenannte Ernteanteile für Lebensmittel zahlen, die sie dann abholen können. Oder die sie, im Fall Kattendorf, in die diversen Food Coops in Hamburg und Umgebung geliefert bekommen.
Die Kattendorfer sind allerdings noch mal besonderer als diese solidarische Wirtschaftsweise es schon ist: Sie betreiben sieben Hofläden für den Direktvertrieb, einen im Dorf selber, die anderen aber in Hamburg und Bad Oldesloe. Diese Hofläden sind einerseits Abholstationen für die Mitglieder in der Stadt. Sie nehmen sich dort ihr Kontingent an Lebensmitteln. Andererseits sind sie ganz normale kleine Bioläden. Und gerade die haben in der Krise am meisten gelitten. Durchschnittlich fünfzehn Prozent Umsatzeinbuße verzeichnen die Kattendorfer in ihren Läden.
Aber bringt das einen großen Biohof ins Wanken? Vierhundert Hektar Land, Milchkühe, Rinder, Schweine, Ackerbau und Gemüse. Gut achtzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, über sechshundert von den Mitgliedern gezeichnete Ernteanteile, die regelmäßiges Einkommen bedeuten: Das muss doch krisenfest sein.
Ja, das war es am Ende auch, bis jetzt zumindest. Aber, selbst der Kattendorfer Hof hat gelitten. Die fünfzehn Prozent weniger Umsatz in den Hofläden, zwischenzeitlich dreißig Ernteanteile, die weniger gezeichnet wurden. In den Hofläden mussten Arbeitsstunden eingespart werden, doppelt besetzte Verkaufsschichten wurden gestrichen.
Bioproduktion krisenfest
Katja Dungworth, die sich bei den Kattendorfern um das Personal kümmert, gerne aber auch um die Kühe, sagt, sie müsse jetzt wohl mal ihre Zurückhaltung aufgeben und deutlich mehr für den Hof und das Konzept werben. Marketing sei nötig.
Das gab es bis zu dieser jüngsten Krise eigentlich nicht. Der Hof und seine Mitgliedschaft sind gewachsen, langsam aber stetig, über Jahre. Jetzt zum ersten Mal der Einbruch. Mitglieder haben ihre Erntekontingente gekündigt, direkt nach dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Panik machte sich breit auch in Bio-Deutschland. Die bis dato überzeugten Bio-Käuferinnen und -Käufer begaben sich zu den Discountern.
Kann man verstehen, sagt Katja Dungworth und überlegt, wie die Menschen wieder zurückgeholt werden könnten. Muss man nicht verstehen wollen, sagt Mathias von Mirbach, einer der Gründer des Kattendorfer Hofes. Muss man nicht verstehen, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher, wir alle, eigentlich wissen, worum es geht.
Gerade in der Krise habe die biologische Landwirtschaft gezeigt, dass sie der sicherere Weg ist, sagt Mathias von Mirbach. Tatsächlich haben die Bio-Lebensmittel die Preis-Rallye der konventionellen nicht mitgemacht. Zeitweise war Biomilch sogar preiswerter als konventionelle.
Die Bio-Lebensmittel erwiesen sich als Inflationsbremse. Weil die Biobetriebe auf all die Futterimporte und die fossilen Preistreiber verzichten, vor allem auf Kunstdünger, der mit Hilfe von Erdgas erzeugt wird, erwies sich ihre Produktionsweise als die stabilere.
Leider hat der Handel den Preisvorteil von Bio nicht an uns weitergegeben, sondern einfach die Preise auch für Bio erhöht. Wir sind ja daran gewöhnt, dass Bio teurer ist. Das soll offenbar so bleiben. Da nehmen dann Aldi & Co. gerne auch mal die höheren Margen mit.
Alles Käse
Das ist jetzt der richtige Moment, um den dritten Beitrieb vorzustellen, den ich für diese Geschichte besucht habe: den Backensholzer Hof.
Backensholz – das ist Käse. Sicher eine der besten Hofkäsereien Deutschlands. Um diesen Käse zu produzieren, hält Jasper Metzger-Petersen fünfhundert Milchkühe und bewirtschaftet achthundert Hektar Land in Nordfriesland. Sein Bruder Thilo macht die Käserei.
Das bis 2022 erreichte Ziel der beiden Backensholzer Brüder war immer, alle auf dem Hof erzeugte Milch zu veredeln. Sie sollte nicht als Milch den Betrieb verlassen, sondern als Käse. Das hat gut geklappt. Der Hof ist gewachsen. Der Käse ist gut vermarket worden. In vielen Bioläden und auch bei den Bio-Supermärkten gibt es den Deichkäse aus Nordfriesland.
Nur – den Käse der Backensholzer gibt es nicht beim Discounter. Das, sagt Jasper Metzger-Petersen, der Landwirt unter den beiden Brüdern, hätte auch keinen Sinn. „Da gehören wir nicht hin.“ Der Käse aus Backensholz ist ein handwerkliches Produkt. Beim Discounter gibt es Industrieware.
Das bedeutet: Wer sich in der Inflations-, Energie-, Ukrainekrise – wie immer man das nennen möchte – von den Bioläden und Direktvermarktern abgewendet hat, und „sein Bio“ bei den Discountern kaufte, hat die Käse aus Backensholz gar nicht mehr wahrnehmen können. Und das bedeutete, dass die nachhaltige Lebensmittelproduktion von vor Ort ins Hintertreffen geriet.
Die Backensholzer hatten dann plötzlich zu viel Käse. Also stapelten sie die Käselaibe. Sie setzten mehr Käse an, der lange altern kann. „Das ist schön beim Käse“, sagt Landwirt Jasper, „man kann Käse machen, der bis zu zwei Jahre altert und dabei an Qualität zulegt.“ Nur man kann diesen Käse dann nicht gleichzeitig verkaufen – und man muss ihn die ganze Zeit pflegen.
Und auch mit dem älter werdenden Käse waren die Lagerflächen von Bruder Thilo dann irgendwann voll. Dann musste Jasper Metzger-Petersen Milch verkaufen, aus der kein Käse mehr werden konnte. Und – oh Wunder – in diesem Moment war der Preis der konventionellen Milch höher, als der von Biomilch. Rohstoffspekulation macht‘s möglich. Und also verkaufte er seine Biomilch auf dem konventionellen Spotmarkt.
Kassenzettel sind Stimmzettel
Einmal mehr haben wir Verbraucherinnen und Verbraucher unsere eigenen Aussagen durch unser Verhalten widerlegt. In allen Meinungsumfragen sagen wir, dass wir gerne nachhaltig einkaufen wollen, regional und fair und möglichst bio. Nur die Scanner der Supermarktkassen erzählen etwas ganz anderes. Sie belegen, dass wir im Zweifel billig kaufen.
„Jeder Kassenzettel ist ein Stimmzettel“, sagt Jasper Metzger-Petersen. Jeder Kassenzettel ist auch eine Order: „Was da draufsteht, das wird produziert.“ Und wenn da billig draufsteht, dann werden Billiglebensmittel produziert. Irgendwo, denn dann zählen weder regional, noch fair, noch Tierwohl.
„Ich kann das verstehen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in der Krise zum Discounter gegangen sind“, sagt Jasper Metzger-Petersen. Nur jetzt, wo der Winter durchgestanden, der Gasmangel ausgeblieben ist, die Krise doch nicht so schlimm war, jetzt müssten sie bitte wieder zurückkommen.
„Am Ende müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder sagen: Gut, ich nehme das Heft wieder in die Hand. Denn sie haben es in der Hand, sie entscheiden, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Das ist ein ganz einfacher Zusammenhang: Alles, was wir kaufen, wird produziert. Wenn wir darauf achten, dass es fair und nachhaltig produziert ist, dann wird auch weiter fair und nachhaltig produziert. Und wenn wir darauf achten, dass es von hier kommt, dann wird es auch hier produziert. Und wenn wir darauf achten, dass diejenigen, die das produzieren, ihre Mitarbeiter und ihre Tiere gut behandeln, dann wird auch das geschehen.“
Deshalb enden seine Rede und dieser Blogbeitrag mit seinem Appell: „Wir müssen uns jetzt alle nach dieser Krise wieder schütteln und sagen: Komm, jetzt geht’s wieder nach vorne!“