Mehr Geld für Fleisch aus etwas besserer Tierhaltung. Das war bislang heraus gekommen bei den stockenden Gesprächen zwischen Abgesandten der Landwirtschaft und des Lebensmitteleinzelhandels – beim sogenannten Agrardialog. Fleisch soll teurer werden, aber nur ein bisschen. Den Tieren soll es besser gehen, ein bisschen. Im nächsten Jahr soll die Milch folgen. Dann soll es auch den Kühen ein bisschen besser gehen. Trippelschritte mit ängstlichem Blick auf die Geiz-ist-geil-Deutschen. Immerhin aber kleine Schritte in die richtige Richtung. Dann das Wahlergebnis – und plötzlich ist alles anders.
Jetzt hat sich der Agrardialog neu aufgestellt und ist plötzlich eine Bauernorganisation. Die will nicht mehr nur Ansprechpartner für den Lebensmitteleinzelhandel sein, sondern auch für die Politik. Die Bäuerinnen und Bauern wollen gehört werden von den künftigen Koalitionsparteien. Wie die von der scheidenden Regierung einberufene Zukunftskommission Landwirtschaft auch nach ihrem Abschlussbericht weitergemacht hat, so jetzt auch der Agrardialog nach dem Scheitern der Gespräche mit dem Lebensmitteleinzelhandel.
Bauern gegen Bauernverband?
Wobei – so ganz gescheitert sind die Gespräche mit den Handelskonzernen Aldi, Rewe & Co. eigentlich nicht. Sie sind eher nur ausgesetzt, weil der Bauernverband dazwischen gegrätscht ist. Während all der Bauernproteste gegen Billiglebensmittel und der Blockaden von Lagern des Lebensmittelhandels seit vergangenem Jahr stand der Deutsche Bauernverband, DBV, weitgehend unbeteiligt abseits. Auf die Trecker gerufen haben die Bäuerinnen und Bauern neue Verbände wie Land schafft Verbindung, LsV, und die alte Agraropposition, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, AbL. Als die Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel dann aber tatsächlich erfolgreich zu werden drohten, kam der Bauernverband doch noch aus dem Quark. Zusammen mit dem Handelsverband Deutschland und dem Raiffeisenverband gründete er die „Zentrale Koordination Handel Landwirtschaft“. Und der soll sich nun auch der bisherige Agrardialog anschließen.
„Das machen wir so einfach nicht“, sagt Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus dem Emsland und Vorsitzender der AbL Niedersachsen. „Wenn überhaupt, dann wollen wir dort auf Augenhöhe verhandeln, paritätisch besetzt und mit demokratischen Strukturen.“ Das aber sei bei der „Zentralen Koordination“ nicht vorgesehen. „Und wenn wir dann mit dem Handel nicht weiterkommen, dann werden wir uns natürlich verstärkt an die Öffentlichkeit und auch an die Politik wenden.“ Deshalb schließen sich die Verbände jetzt ohne Bauernverband zusammen, womit dessen Alleinvertretungsanspruch endgültig der Vergangenheit angehört. Ottmar Ilchmann spricht dann auch von „Sondierungsgesprächen“ zwischen Handel, Raiffeisen, Bauernverband und eben dem neuen Zusammenschluss Agrardialog.
Einige Bauern
Eigentlich gilt für Bäuerinnen und Bauern auch ein Spruch, den eine ganz andere Berufsgruppe gerne von sich erzählt: Drei Juristen – vier Meinungen. Dennoch kann sich auch die Landwirtschaft zusammentun. Erfolgreiche Vorlage für den Agrardialog ist der seit Jahren arbeitende „Milchdialog“, der schon viel länger Bauernproteste organisiert. Ursprünglich haben da zusammengearbeitet der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, BDM, das Milch Board der Deutschen Milcherzeugergemeinschaft und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Dazugekommen sind dann der neu gegründete Verband Land schafft Verbindung und die aus dem brandenburgischen Bauernbund entstandenen „Freien Bauern“.
Der Zusammenschluss hat mit den Molkereien und dem Handel inzwischen einen Drei-Seiten-Vertrag über kostendeckende Preisgestaltung ausgehandelt, der in dieser Woche dem Kartellamt zur Begutachtung vorgelegt wird. Das Amt muss zustimmen, weil es sich im Grunde um eine Preisabsprache handelt. Im Vertragswerk steht zwar keine konkrete Zahl, das Ziel ist aber, dass die Milch nicht länger unter dem Gestehungspreis gehandelt werden kann. Derzeit deckt der Milchpreis die Produktionskosten nicht. Die Betriebe müssen 25 bis 30 Prozent drauflegen. Das geht natürlich nicht lange, weshalb vor allem kleinere Betriebe in letzter Zeit aufgegeben haben.
„Die Molkereien machen sich inzwischen Sorgen um ihre Rohstoffbasis“, sagt Milchbauer Ottmar Ilchmann. „Wir haben eine rückläufige Milchanlieferung, obwohl nach drei Jahren Trockenheit dieses Jahr wieder ein gutes Ernte- und Grasjahr war. Am Futter kann es also nicht liegen.“ Offenbar sehen auch die großen Milchviehbetriebe derzeit keine wirtschaftliche Basis für weiteres Wachstum. Die Milchmenge sinkt. Der Vertrag mit Molkereien und Handel soll nun einerseits die noch arbeitenden Höfe absichern, und andererseits finanzieren, was wir Verbraucherinnen und Verbraucher zumindest in Umfragen immer fordern: Mehr Tierwohl, mehr Biodiversität, mehr Klimaschutz! Bei der Milchviehhaltung sind diese drei Ziele eigentlich sehr einfach erreichbar, man muss nur die Ställe aufmachen und die Tiere rauslassen. Kühe auf der Weide sind gesünder, weil sie das tun dürfen, was sie am besten können – Gras fressen. Dabei sorgen sie gleichzeitig für mehr Artenvielfalt, weil tatsächlich beweidetes Grasland eine hohe Biodiversität fördert. Schon in einem einzelnen Kuhfladen leben tausende Insekten, die wiederum all die Bodenbrüter und Wiesenvögel ernähren, die gerade auszusterben drohen. Und Weidegräser sorgen im Verbund mit Kuhdung und dem Bodenleben dafür, dass Kohlenstoff aus der Luft im Boden gespeichert wird. Also Ställe auf und raus mit den Tieren. Dazu aber fehlen vielen Betrieben die Voraussetzungen. Das potenzielle Weideland liegt nicht direkt am Hof, die Wege dorthin sind verbaut, das Personal für den Mehraufwand fehlt.
Faire Preise
Das heißt, die Milch muss teurer werden, nicht nur, um die derzeitige Unterdeckung aufzufangen, sondern auch, um die von uns allen mehrheitlich gewünschten Verbesserungen für Tiere, Umwelt und Klima zu erreichen. Was heißt das für uns Verbraucherinnen und Verbraucher, habe ich Ottmar Ilchmann gefragt. „Nicht unbedingt, dass die Milch teurer wird“, hat er erstaunlicherweise geantwortet, denn Aldi & Co. müssten den höheren Preis nicht unbedingt an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben. Auch wenn das Kartellamt den Drei-Seiten-Vertrag zwischen Milchbetrieben, Molkereien und Lebensmittelhandel akzeptiert, sei ja die Konkurrenz der Einzelhandelsketten untereinander nicht ausgesetzt. „Da sind in der Wertschöpfungskette noch erhebliche Reserven.“ Das liegt auch daran, dass den Betrieben eben bislang kein fairer Preis gezahlt wird.
Faire Preise, die die tatsächlichen Kosten decken und Bäuerinnen und Bauern auch noch ein Einkommen zugestehen, sind über Proteste und Verhandlungen nur sehr mühsam zu erreichen, wenn die Machtverhältnisse so ungleich verteilt sind, wie im Lebensmittelmarkt. Was die Bäuerinnen und Bauern im Milchdialog jetzt ausgehandelt haben, wird, selbst bei erfolgreichem Abschluss, nicht für alle Höfe gelten. Es wird große Molkereien geben, die nicht mitmachen, und also wird es Betriebe geben, die leer ausgehen. Es sei denn, die Politik nimmt sich des Problems an und macht eine Vorgabe, die für alle gilt. Das genau könnte sie jetzt tun. Gut aufgehoben wäre ein entsprechendes Vorhaben in einem Koalitionsvertrag. Ottmar Ilchmann glaubt, dass die künftigen Koalitionäre damit bei ihren Wählerinnen und Wählern offene Türen einrennen: „Insgesamt sind Lebensmittel in Deutschland zu billig. Gerade tierische Lebensmittel wie Milch und Fleisch. Selbst diejenigen, die die billigen Lebensmittel kauen, wissen, dass das nicht nachhaltig ist.“
Echte Preise
Was ein Liter Milch wirklich kosten müsste und ob das die Verbraucherinnen und Verbraucher dann auch wirklich bezahlen, das versucht gerade die „Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof“ auszutesten. Nach dem Vorbild der „Upländer Bauernmolkerei“ in Nordhessen haben sich über dreißig Bioland-Höfe in Norddeutschland zusammengetan und eine eigene Meierei aufgebaut, die seit 2015 erfolgreich Milchprodukte vermarktet. Jetzt hat sich die Bauerngemeinschaft neue Regeln gegeben, die weit über die Vorgaben von Bioland hinausgehen. Dazu gehört unter anderem die „kuhgebundene Kälberaufzucht“. Das bedeutet, dass die Kälbchen nicht mehr von den Müttern getrennt werden oder von Ammenkühen gesäugt werden. Und es bedeutet aktive Förderung von Artenschutz und Biodiversität mit extensiver Nutzung von Weiden und Wiesen und sogar Naturschutzplänen und absoluten Schutzflächen auf jedem Hof. Und es bedeutet, dass der Milchpreis auch in den Läden um 20 Cent erhöht wurde. In meinem Bioladen kostet die Milch der Marke Hamfelder Hof jetzt 1,65 Euro. Ob genügend von uns diesen Preis bezahlen, um das Großprojekt der Bauerngemeinschaft zu finanzieren, bleibt abzuwarten. Wenn die ersten Erfahrungen mit den selbst gesetzten Vorgaben und der zugehörigen Preisgestaltung gemacht sind, werde ich hier darüber berichten.
Die neue Bauernvereinigung „Agrardialog“ hat unterdessen aufgelistet, was die künftigen Ampel-Koalitionäre in Sachen Landwirtschaft in ihren Koalitionsvertrag aufnehmen sollten. Hier der Link zu den „Forderungen der Landwirtschaft“ (die offenbar ohne den Bauernverband auskommt): https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=4304&cHash=23125a6b338dd16ea41bb9c945064c8e
Und hier macht der Agrardialog klar, dass sich die dort zusammengeschlossenen Verbände nicht vom Deutschen Bauernverband als „Juniorpartner“ in die neue „Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft“ einbinden lassen: https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=4305&cHash=2db3b02e23049b28961461f6e6a5516a