Baustelle Tierwohl

Eine ganz banale Baustelle irgendwo auf dem Land? Nein – dies hier ist die Großbaustelle Tierwohl. Hier entsteht ein neuer Stall für die natürliche Art der Kälberaufzucht. Ein Spielplatz für Kalb und Kuh. | Alle Fotos: Florian Schwinn

Baustelle Tierwohl

Heute geht es hier mal wieder um das riesige Thema Tierwohl, das uns Verbraucherinnen und Verbrauchern ja ganz besonders am Herzen liegt. Sagen die Umfragen. Die alltägliche Abstimmung mit dem Einkaufswagen zeigt etwas anderes, nämlich dass wir uns mehrheitlich weiterhin für billig entscheiden und nicht aufs Tierwohl achten. Aber keine Angst: Darum soll es hier dieses Mal nicht gehen. Vielmehr geht es um die Bauern, die trotzdem weitermachen, getragen von einer Minderheit, die beim Lebensmittelkauf auf etwas anderes achten kann und will, als auf den Preis.

Vor zweieinhalb Jahren habe ich hier im Blog zum ersten Mal vom Großprojekt der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof berichtet. Dabei geht es um die selbstgemachte Agrarwende einer Genossenschaft von Bioland-Milchhöfen, die sich eine eigene Molkerei leisten.

Das Projekt

Mehr Platz für die Tiere in den Ställen, als EU-Bio und auch der Anbauverband Bioland vorschreiben. Mehr Weidegang als die Bioverordnung und Bioland für die Rinder vorsehen. Und vor allem: die sogenannte kuhgebundene Kälberaufzucht. Eigentlich ein seltsamer Begriff: Wer soll das Kalb aufziehen, wenn nicht die Kuh? Ganz einfach: Der Bauer oder meist die Bäuerin. In den meisten Milchviehbetrieben dürfen Kälber nicht bei der Mutter saufen. Sie werden ihr bald nach der Geburt weggenommen und nuckeln dann an der künstlichen Zitze eines Milcheimers. Das ist der Normalfall, deshalb braucht es für das eigentlich natürliche Verhalten von Kalb und Kuh jetzt einen künstlichen Begriff.

»Baustelle Tierwohl« habe ich diesen Beitrag überschrieben, denn das, was die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof sich vorgenommen hat, ist ein millionenschwerer Umbau der Höfe. Der soll sie zukunftsfähig machen.

Für Hauke Tams, der beim Dörfchen Ausacker auf der schleswig-holsteinischen Ostsee-Halbinsel Angeln damit begonnen hat, sukzessive den Hof von seinen Eltern zu übernehmen, bedeutet diese Zukunft zunächst einen Schuldenberg. Darauf angesprochen, lacht er allerdings nur und sagt dann, dass er durch das Projekt der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof, also der eigenen Genossenschaft, die Chance habe, den Hof für die Zukunft zu rüsten. »Und diese Chance haben die meisten meiner Kollegen gar nicht.«

Den Hof der Familie Tams habe ich mir ausgeguckt, um an seinem Beispiel den Fortgang des Projekts der Bauerngemeinschaft zu beschreiben. Wer das nachlesen möchte: Der erste Beitrag ist im März 2022 erschienen, der zweite dann im Dezember vergangenen Jahres. Es dauert, bis die große Veränderung der Tierhaltung auf den beteiligten Milchhöfen Gestalt annimmt, aber jetzt geht es sichtbar voran.

Bauer mit Bagger

Als ich zuletzt auf dem Hof der Tams war, saß Hauke auf einem Bagger und schaufelte Erdaushub auf einen Anhänger, während ein langjähriger Mitarbeiter des Hofs mit einem Motorstampfer Recyclingschutt zu einem festen Untergrund verdichtete, auf dem dann die Bodenplatte für den neuen Stall gegossen werden sollte. Und ich fragte mich – und dann auch ihn: Ein Bauernhof mit eigenem Bagger – ist das eigentlich normal? Und dass der Jungbauer selbst auf dem Bagger sitzt? »Selber machen spart natürlich«, sagt er, aber das sei es nicht allein. »Ich könnte auch sagen: Ich gebe alles ab und wäre dann der Koordinator unseres Umbauprojekts. Aber so bin ich nicht gebaut, mein Vater auch nicht. Wir machen gerne selber!« Den Bagger hat er mal mit einem anderen Bauern zusammen gekauft − und möchte ihn nun nicht mehr missen. Für das Gerät gebe es auf den Höfen immer was zu tun.

Das Fundament ist bereit, der Beton für die Bodenplatte kann kommen. Hauke Tams vor seiner Bustelle Zukunft. Keine Spaltenböden mehr – der neue Stall für Kälber und Kühe wird mit Stroh eingestreut.

Während sein Hofnachfolger baggert, erklärt Vater Johannes Tams, was da entstehen wird: Der neue Stall für Mutter- und Ammenkühe mit ihren Kälbern. Es wird ein Tiefstreustall, in dem Kühe und Kälber auf Stroh leben, mit einem permanenten Zugang zur Weide.

  Die Familie Tams hat sich bei der sogenannten kuhgebundenen Kälberaufzucht für ein System mit Ammenkühen entschieden, das heißt nicht jede Kuh wird mit ihrem eigenen Kalb die ersten Monate verbringen, sondern die am besten dafür geeigneten Kühe, die auch fremde Kälber an ihren Euter lassen, werden für mindestens drei Monate zu Ammen.

Amme mit Kälbern

»Eine Amme und drei Kälber«, sagt Johannes Tams, »das ist dann eine Familie, und die lassen wir dann durch den neuen Stall wandern, der gerade entsteht.« Erst sind die Kühe mit ihren Kälbern separiert. »In den ersten Wochen, wenn wir genau beobachten müssen, ob und wie das funktioniert: Liegt das Kalb, weil es satt ist, oder weil es ihm nicht gut geht? Da muss man hinschauen und ein Auge dafür haben.«

Wenn diese erste Entwicklungsphase durch ist, kommen die Kühe mit den Kälbern in größere Gruppen, und nach drei Monaten soll dann die Abstillphase beginnen, das Absetzen, wie die Bauern das nennen. »Dann kommen die Kälber in eigene Gruppen zusammen. »In die Kita«, sagt Hauke Tams.

In den Sommermonaten ist das System der Ammenaufzucht auf der Weide schon ausgetestet worden. Damit das auch im Winter klappt, braucht es den neuen Stall. Aber warum muss das eigentlich auch im Winter klappen. Manche Betriebe lassen ihre Kühe schlicht im zeitigen Frühjahr kalben, dann, wenn die Weiden das satteste eiweißreichste Grün bieten. »Das können kleinere Milchviehbetriebe machen«, sagt Johannes Tams. Von den größeren erwarte die Meierei aber schon eine kontinuierliche Milchlieferung, und die Kühe produzieren nun mal die meiste Milch direkt nach der Geburt ihres Kalbs.

»Unser Hof ist ja nicht ganz naturgesteuert«, sagt Johannes Tams: »Wir sind ja auch marktgesteuert. Und der Markt erfordert eine gleichmäßige Milchanlieferung. Das bedarf dann aber einer ziemlich kontinuierlichen Abkalbung.« Also Geburtenplanung rund ums Jahr. Wobei das ganz so unnatürlich nicht ist, dass auch außerhalb der Frühjahrszeit Kälber geboren werden. Manche Kühe haben ihren eigenen Kalender und gebären ihr Kalb dann auch schon mal im späten Herbst, wenn es draußen eher unwirtlich wird. Und bei ganzjährigen Weideprojekten standen Kälber auch schon mal im Schnee, was ihnen übrigens nicht geschadet hat. Aber auf solch eigenwillige Kuhentscheidungen kann man natürlich nicht setzen, wenn die eigene genossenschaftliche Molkerei kontinuierliche Milchlieferung braucht.

Das Projekt

Der neue Stall für die Kälberaufzucht ist nur ein kleiner Teil des ganzen Umbauprojekts, das sich die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof selbst auferlegt hat. Dazu gehört auch, dass die Tiere auf die Weide kommen, mindestens 180 Tage im Jahr. Bei den Tams ist dieses Soll schon übererfüllt. Dazu gehört aber auch, dass die Kühe im Stall mehr Platz bekommen. Und das bedeutet einen weiteren Neubau. Der soll da entstehen, wo jetzt die Fahrsilos sind, also die Futtervorräte – hinter dem derzeitigen Kuhstall.

Eine Amme, drei Kälber, erst als kleine Familie, dann in Gruppen. Ein ineinandergreifendes System. Johannes Tams erklärt, wie der Kälber-Kuh-Stall einmal funktionieren soll.

Wobei an dieser Stelle die ganz große Baustelle Tierwohl ihren ersten Dämpfer erfahren hat. Sie ist kleiner geworden. Ursprünglich wollte Johannes Tams die ganzen Fahrsilos wegreißen und verlegen und an ihrer Stelle einen großen neuen Stall bauen für die inzwischen 160 Milchkühe, mit einem neuen Melkzentrum in der Mitte. Daraus wird nun aber nichts. »Das kriegen wir nicht hin«, sagt der Altbauer heute, »das ist nicht zu bezahlen.« Sohn Hauke kam dann auf die Idee, den bestehenden Stall mit derzeit 125 Liegeplätzen für Kühe so umzubauen, dass da nur noch achtzig Kühe wohnen. »Das entspricht dann unseren Hamfelder Hof Vorgaben.« Und hinter dem alten Stall wird dann ein zweiter gebaut, für weitere achtzig Kühe. Das hat den Vorteil, dass die große Herde von Kühen in zwei Gruppen aufgeteilt werden kann. Die sind dann leichter zu managen.

Ohne den ganz großen Stallneubau gibt es dann aber auch kein neues Melkzentrum. Und der alte Melkstand ist in die Jahre gekommen und inzwischen auch zu klein. Deshalb muss erst einmal der neu gebaut werden.

Ganz am Anfang des großen Tierwohl-Umbaus hatte Joannes Tams noch überlegt, den Melkstand durch Melkroboter zu ersetzen. Viele Milchviehbetriebe machen das zurzeit, auch weil sie immer schwerer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden, die noch melken wollen. Aber auch diese Idee ist vom Tisch, wie der ganz große Stallneubau. Und das auch deshalb, weil Melkroboter das Weidekonzept ebenso stören würden, wie das ganze Konzept der Tams’schen Tierhaltung – und wohl auch das der ganzen Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof.

Ohne Roboter

»Ein Melkroboter«, sagt Johannes Tams, »ist eine feine Sache für einen konventionellen Milchbetrieb. Da erreicht man mit dem Roboter einen Leistungsanstieg.« Das Dumme daran: Diesen Leistungsanstieg brauche man auch, weil der Roboter nicht unerhebliche Betriebs- und Wartungskosten verursache, und die müssten ja erstmal wieder hereingemolken werden.

Dazu kommt das Problem mit dem Weidegang. Vom Menschen im Melkstand werden die Kühe zweimal am Tag gemolken, morgens und abends. Dazwischen können sie von Frühjahr bis Herbst auf die Weide, im Sommer auch nachts. Den Melkroboter sollen die Kühe aber immer nutzen können, quasi rund um die Uhr; nur so ermelkt das Gerät die höhere Milchleistung, die es dann bezahlt. Das passt aber nicht zusammen mit dem täglichen Weidegang. Einige Höfe der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof haben im Zuge des Umbaus zu mehr Tierwohl auch und gerade durch den regelmäßigen Weidegang die Melkroboter folgerichtig wieder abgeschafft. »Ich will den Melkroboter nicht verteufeln«, sagt Johannes Tams, »aber er passt nicht zu unserem System.«

Auch deshalb, weil der Melkroboter ganz offensichtlich auf Hochleistungskühe ausgelegt ist, die ihre Milchleistung nur bringen können, wenn sie mit viel Kraftfutter gepäppelt werden. Das sind energiereiche aber rohstoffarme Futtermittel, meist auf Getreidebasis. Nicht das, was die Kuh natürlicherweise zu sich nimmt, und deshalb in hoher Dosierung auch nicht gesund für das Tier. Hochleistungskühe werden nicht alt, die Kühe bei den Tams aber schon. »Das liegt daran, dass wir die Herde nicht optimiert haben«, sagt Johannes Tams. So würde das der Berater nennen, wenn er dem Bauern erzählt, wie er seine Kühe zu höherer Milchleistung treiben kann. »Wir liegen bei 6700 Litern pro Kuh und Jahr. Das ist für einen normalen Milchviehhalter eine schlechte Leistung. Für uns passt das aber, weil wir so mit ganz wenig Kraftfutter auskommen und unsere Kühe auf der Weide satt werden und gesund bleiben.«

Ganz normal, oder? Kühe auf der Weide vor dem Hof in Ausacker. Nein – leider nicht mehr so normal. Die meisten Milchkühe stehen in den Ställen. Weidegang ist aufwendig für die Höfe, bei der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof aber Programm.

Die roten Anglerkühe der Tams, benannt nach der Halbinsel, auf der der Hof liegt, sind per se keine Hochleistungsrasse, auch wenn die Angler der neuen Zuchtlinie etwas größer geworden sind und mehr Milch geben als die alte, inzwischen vom Aussterben bedrohte Ursprungsrasse.

»Wir haben uns vor Jahren ganz bewusst für die Angler entschieden«, sagt Hauke Tams. Ab und an sei in der Herde auch nochmal eine Kreuzung von schwarzbunten Holsteinkühen und Angler zu sehen, und ein paar Nachkommen von ehemals eingekreuzten Rotbunten. Er will aber jetzt nur noch mit Anglerkühen weiterzüchten, weil die für die Weidehaltung optimal seien. Nicht zu groß, nicht zu schwer, genügsam, und auch mit den im Norden üblichen Wetterschwankungen können die Angler umgehen. Kein Wunder, sie stammen ja von dort. Hauke Tams fasst es so zusammen: »Die Anglerkuh kann sich selbst!«

Alte Kühe

Will sagen: die Kuh ist noch ein eigenständiges Lebewesen und nicht nur der lebendige Teil eines Milchproduktionssystems. Das im Übrigen nur dann bestehen kann, wenn immer neues Leben nachgeliefert wird, weil die Hochleistungskühe ihren Stoffwechselstress ja nicht lange durchhalten kann. Deshalb müssen solche Herden ständig aufgefüllt, die Züchter sagen remontiert werden.

Das, erzählt Johannes Tams aus eigener Erfahrung, sei nicht nur für die Tiere schlecht. »Ich habe mit einer optimierten Herde gearbeitet, bevor ich umgestellt habe auf Bio. Und das hat mich unzufrieden und ganz wuschig gemacht, weil ich ja nie ein Tier kennenlernen konnte. Nach zwei, drei Kälbern waren die ja schon wieder weg.« Beim Schlachter nämlich. In der heutigen Herde der Tams werden die Kühe gerne mal vierzehn, fünfzehn Jahre alt. »Da laufen die Omas neben ihren Enkelinnen. Ich kenne die seit Jahren und ich sehe, wie sich Mutter und Tochter entwickeln.« Für ihn gebe es nichts Beruhigenderes als eine Kuhherde, in der die Tiere alt werden können und dürfen.

Johannes Tams erklärt den Unterschied zwischen einer Hochleistungskuh wie der schwarzbunten Holstein-Friesian und seinen Kühen am Beispiel einer Euterentzündung. Die gebe es auch in seiner Herde mal, aber es sei dann nicht ganz so wichtig, dass die Herdenmanager oder Melker sie auch sofort und am selben Tag erkennen. »Wenn ich die erst morgen sehe, ist’s auch noch gut.« Und es müsse dann auch nicht sofort der Tierarzt mit dem Antibiotikum kommen, die Behandlung mit einer Eutersalbe oder einem homöopathischen Mittel sei meistens ausreichend. »Bei der Hochleistungskuh kannst du damit gar nichts mehr anfangen.« Deren Stoffwechsel sei schon genetisch so hochgepusht, dass die Erreger einer Entzündung sich so schnell vermehren können, »dass die dir nach vier Stunden schon umfällt. Leberschaden – fertig.« Deshalb auch die lückenlose Überwachung mit dem Computerchip im Halsband.

Das heißt, die Hochleistungskühe werden nicht nur schneller krank, sie sind es eigentlich schon von der genetischen Anlage her. Eine Holstein-Friesian wird auf der Weide gar nicht mehr satt. Die Zucht hat die Kuh auf das Euter reduziert. So sieht sie übrigens auch aus. Oben stehen die Beckenknochen heraus und die Rippen lassen sich abzählen, und unten hängt ein riesiges Euter, mit Blut versorgt durch armdicke Adern. »Kleiderständer mit Euter«, sagen manche Bauern dazu.

Ich würde das schlicht Qualzucht nennen, denn die Kühe verzehren sich selbst, in der sogenannten Hochlaktationsphase, wenn sie nach der Geburt eines Kalbs die meiste Milch geben, können sie gar nicht so viel fressen, wie sie brauchen würden. Das macht solch ein genetisch getriebener Körper natürlich nicht lange mit. Nach dem dritten Kalb ist für die meisten Hochleistungskühe dann spätestens Schluss. »Auch deshalb haben wir uns für die Angler entschieden«, sagt Hauke Tams.

Bullenkälber werden Ochsen

Auch die Bullenkälber sehen die Tams in Angeln jetzt älter werden. Zum Konzept der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof gehört auch, dass die Milchviehbetriebe die Bullenkälber nicht mehr abgeben, sondern selbst aufziehen. Es gibt nämlich gar nicht genügend Betriebe, die die männliche Nachzucht von Milchviehrassen mästen wollen, schon gar nicht im Biobereich. Mit den Bullenkälbern der Milchrassen ist es ähnlich wie mit den Bruderhähnen der Legehennen: Die will keiner haben. Also wurden sie bislang auch von Biobetrieben notgedrungen an konventionelle Mastbetriebe abgegeben, und landeten damit im engen Stall. Das sollte den Tieren, die auf den Höfen der Bauerngemeinschaft geboren werden, in Zukunft nicht mehr passieren.

Der Preis, den die Tiere dafür zahlen, ist allerdings ihre Unfruchtbarkeit. Die Bullenkälber werden »geklemmt«, wie das in der Bauernsprache heißt. Tatsächlich geschieht die Kastration unblutig durch das kurzzeitige Einklemmen des Samenstrangs mit einer Zange; das aber schon bei Vollnarkose. Danach verkümmert der Hoden und aus dem testosterongesteuerten Bullen ist ein friedlicher Ochse geworden. »Das sind die Großen mit dem Blümchen im Maul«, sagt Hauke Tams.

Und seine Begründung für diesen Schritt: »Wir machen Weidehaltung! Und eine Weide voller Bullen wollen wir uns und unseren Nachbarn nicht zumuten. Mit Ochsen geht das, die sind umgänglich.« Eine Herde testosterongetriebener Bullen ist alles andere als umgänglich. Wenn die auf der Weide gehalten werden soll, ist mit einfachen Elektrozäunen nichts mehr abzusichern. Da müssen schon massive Bauteile verarbeitet werden, und auch die werden bisweilen zerlegt. Deshalb Ochsen, das sind dann eben die netten Kerle mit dem Blümchen im Maul, groß aber friedlich.

Um die nicht mehr abzugeben, sondern aufzuziehen und auch ihre Schwestern, die keine Milchkühe werden sollen, musste sich der Tams’sche Hof aber deutlich erweitern. Da passte es gut, dass Johannes Tams Bruder die Tierhaltung aufgab und eine Hofstelle ganz in der Nähe frei wurde. Dort wurde renoviert und umgebaut und dahin kommen jetzt die Jungtiere. Auch dort mit Weidehaltung, versteht sich.

»Für eine Landwirtschaft, die zu einer lebenswerten Zukunft beiträgt.« Auf ihren Milchpackungen beschreibt die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof, wie sie ihre Höfe für diese Zukmunft umbaut.

Hamfelder Umbau

Der Hof ist also stark gewachsen. Johannes Tams hatte in den 1990er Jahren mit fünfundfünfzig Kühen und fünfundfünfzig Hektar Land übernommen, sein Sohn übernimmt jetzt einen Hof mit hundertsechzig Kühen und dreihundert Hektar Land − und mit der zweiten Hofstelle mit noch einmal gut zweihundert Tieren und bald auch noch mehr Land.

Das geht natürlich nicht mit nur einem Mitarbeiter und einer zusätzlichen Teilzeitkraft, wie früher. Also mussten auch neue Leute gefunden werden. Das ist gelungen. Zum Beispiel mit Anna Lang, wie Hauke Tams Absolventin der Höheren Landbauschule und versiert im Umgang mit Kühen. »Anna kann Herdenmanagement und kuhgebundene Kälberaufzucht. Genau das, was wir brauchen«, sagt Hauke Tams. Wenn es dann hier im Blog um die Erfahrungen mit eben dieser kuhgebundenen Kälberaufzucht geht, werde ich wohl Anna dazu überreden müssen, auch mal in ein Mikrofon zu sprechen.

Jetzt aber geht’s erstmal noch um die ganzen Baumaßnahmen. Und um den Schuldenberg, der dabei einsteht, oder »den Fremdkapitalteil«, wie es Hauke Tams ausgedrückt hat. Und die noch nicht beantwortete Frage ist, wie groß der wohl werden wird.

»Wenn wir alle geplanten Baumaßnahmen durchführen, müssen wir wohl zwei bis zweieinhalb Millionen aufnehmen«, sagt Hauke Tams. Er lächelt dabei. Er hat keine Angst vor der großen Summe. Ja, es sei eine Last, aber eben auch die Zukunft. »Ich bin dankbar dafür, dass ich das mit der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof im Rücken anpacken kann. Und mit der Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbraucher, die unsere Produkte kaufen.« Durch die Gemeinschaft der Hamfelder fühlt er sich auch nicht so anonym wie ein Milchbauer, der an irgendeinen der großen Molkereikonzerne liefert. In seiner abgelegenen Region würde Direktvermarktung nicht funktionieren, »aber durch den Hamfelder Hof bin ich ja dennoch sichtbar − und ansprechbar für alle Interessierten.«

Zweieinhalb Millionen also. Das ist der Preis für den Umbau eines einzelnen Milchviehbetriebs in Richtung Tierwohl. Und mehr Klimaschutz und Biodiversität übrigens auch, denn wo Weidetiere leben, lebt auch die Artenvielfalt auf, und unter der Weide speichert das Bodenleben das Kohlendioxid aus der Luft als Humus ein.

Die Summe, die die Familie Tams investiert, darf man getrost mal 35 nehmen, dann hat man ungefähr das, was die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof in die Agrarwende steckt.

Und das alles finanziert mit einer Anhebung des Milchpreises um zwanzig Cent, die die Verbraucherinnen und Verbraucher bis jetzt akzeptiert haben. Selbst der anderswo massive Einbruch des Bioabsatzes in der Energiekrise nach dem Beginn des Ukrainekriegs hat die Genossenschaft nicht ins Wanken gebracht. Auf den Milchkartons und auf ihrer Netzseite berichtet die Bauerngemeinschaft regelmäßig von den Fortschritten ihres Projekts.

  Und ich werde damit wohl auch weitermachen. Wenn es schon mal etwas gibt, was wir mit unserem Einkaufsverhalten in Bewegung bringen, dann muss man auch darüber reden.

  Auf die staatliche Tierwohlabgabe zu warten, ist wohl ohnehin müßig. »Wenn du auf die Politik wartest«, hatte Johannes Tams zu Beginn des Projektes gesagt, »dann stehst du vor der roten Ampel.« Wobei dieses Wort inzwischen ja noch ganz anders aufgeladen ist.