Der Bundeslandwirtschaftsminister will eine verpflichtende Kennzeichnung für die Art der Tierhaltung in Deutschland. Den Auftakt sollen die Mastschweine machen. Noch in diesem Jahr soll das staatliche Label kommen. Mit dem seit Jahren diskutierten Tierwohl hat das aber noch nichts zu tun. Auch wenn Verbraucherinnen und Verbraucher das sicher glauben werden.
Plant Cem Özdemir also eine Verbrauchertäuschung? Das sicher nicht, aber es könnte dazu kommen, wenn die Tierhaltungskennzeichnung so kommt und so bleibt, wie sie jetzt geplant ist. Vor allem dann, wenn die Supermarktketten parallel zur verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung auf ihren eigenen Einstieg in ein freiwilliges Tierwohllabel wieder verzichten.
Gemengelage
Muss es eigentlich so sein, dass jedes neue Label auf unseren Lebensmitteln die Situation unübersichtlicher macht? Es scheint fast ein Marktgesetz: Mehr ist noch weniger, in diesem Fall mehr Aufkleber noch weniger Klarheit. Allerdings: Nachdem es bislang nur ein sehr löchriges Tierwohllabel der Supermarktketten gab, bei dem die Tierhalter mitmachen oder es auch lassen konnten, soll es jetzt eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung geben. Das hört sich doch gut an. Nur ist es das leider nicht, jedenfalls nicht so einfach, wie es klingt.
Nach jahrelangen Diskussionen und monatelangen Vorarbeiten verschiedener Kommissionen in der vergangenen Legislaturperiode gibt es jetzt einen Gesetzentwurf, der sich nach Eckpunkten richtet, die Cem Özdemir schon im Juni vorgestellt hatte. Der Gesetzentwurf ist noch nicht öffentlich, wird aber bereits heftig gefleddert. Und das vor allem deshalb, weil sich der Entwurf eben genau nicht an den Vorarbeiten orientiert, die zu einem staatlichen Tierwohllabel hätten führen können, sollen und müssen. Stattdessen kommt jetzt ein Stempel, der die Haltungsform kennzeichnet, aber nicht unbedingt zu mehr Tierwohl führt.
Fünf Stufen sieht der Entwurf für die Haltung von Mastschweinen vor. Das fängt an mit der Haltungsform Stall und den gesetzlichen Mindestanforderungen. Die regeln genau das, was die ganze Zeit kritisiert wurde: Drangvolle Enge auf Vollspaltenböden, die der Art unangemessenste Haltung, die sich Menschen ausdenken konnten. Aber Gesetz. Das ist die Haltungsstufe 1.
Die Haltungsstufe 2 ist dasselbe mit zwanzig Prozent mehr Platz und etwas architektonischer Gestaltung, etwa mit einer Stufe im Stall oder einer halbierten Buchtenwand. Das wars.
Dann folgt der sogenannte Frischluftstall. Da haben die Tiere „Kontakt zum Außenklima“ und 46 Prozent mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard. Wer einmal Schweine beobachtet hat, wer ihre Agilität und Neugier erlebt hat, kann das nur für die Idee eines Sadisten halten. Die Tiere sehen jetzt, dass es eine andere Welt da draußen gibt, dürfen da aber nicht hin. Aber das nur nebenbei als Einwurf eines unbedarften Autors, der wieder mal unzulässig Tiere vermenschlicht.
Dann kommt die Haltungsform Auslauf/Freiland. Und damit wären wir dann endlich bei etwas angelangt, was man wirklich mehr Tierwohl nennen könnte, wenn es da noch ein paar andere Kriterien gäbe. Gibt es aber nicht.
Als höchste und fünfte Stufe der geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung für Mastschweine kommt dann Bio. Das aber nur nach den untersten Anforderungen, nämlich denen des EU-Bio-Labels. Und das ist eigentlich ein eigener Skandal, auf den wir noch zurückkommen müssen.
Tierschutz
„Aus Sicht des Tierschutzes bietet dieses Haltungskennzeichen kaum einen Mehrwert“, sagt Anne Hamester von PROVIEH, der deutschen Nutztierschutzorganisation. Aus Gründen der Transparenz sei es schon ein Mehrwert, wenn am Ende eine grundsätzliche Information vorliege, aus der Verbraucherinnen und Verbraucher ablesen können, wie die Tiere gehalten wurden. „Für die Tiere aber, wenn es um ihr Wohlergehen, um ihre Bedürfnisse geht, bringt die verpflichtende Kennzeichnung in der jetzt vorgesehenen Form eigentlich nichts.“
Was daran liegt, dass die Kennzeichnung lediglich bereits Vorhandenes festschreibt. Das lässt sich am besten an den beiden untersten Haltungsformen zeigen: Stall und Stall+. Das sind geschlossene Ställe mit etwas mehr oder weniger Enge. Und das ist genau das, was das Bundesland Berlin mit einer 2019 eingereichten Normenkontrollklage vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen will: Ist diese Haltungsform nicht verfassungswidrig, weil sie gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Dort heißt es in § 2, Satz 1: „Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen.“ Seit 2002 hat der Tierschutz in Deutschland Verfassungsrang.
Wenn das Bundesverfassungsgericht in diesem oder im nächsten Jahr die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Schweinehaltung kippt, was die meisten Beobachter erwarten, dann ist Cem Özdemirs Tierhaltungskennzeichnung gleich mal um zwei Haltungsformen ärmer.
Dann gäbe es nur noch drei Haltungsformen und die müssten wohl auch nochmal aufgebohrt werden, erweitert nämlich um echte Tierwohlkriterien. „Eigentlich sind es nur zwei Kriterien, die die verpflichtende Haltungskennzeichnung nach dem jetzigen Entwurf einführt“, sagt Anne Hamester: „Das ist nur Platz und die Öffnung des Stalls, also Frischluft und dann in Stufe 4 Auslauf. Und noch ein bisschen Strukturelemente im Stall. Das war’s. Damit bleibt das entscheidende Kriterium in der Schweinehaltung außen vor: die Einstreu!“
Schweine sind Wühler und Suhler. Sie haben die Nase immer am Boden, ihre starken Nackenmuskeln machen es ihnen möglich, den Boden aufzureißen. Das Stroh im Stall ist ein schwacher Ersatz für das Wühlen im Boden auf der Suche nach Nahrung. Aber es ist einer. Einstreu ist aber in keiner der Haltungsformen vorgesehen, die das Bundeslandwirtschaftsministerium jetzt kennzeichnen will. Und festen Boden ohne die Spalten, durch die Kot und Urin fallen sollen, gibt es nur bei den drei oberen Haltungsformen.
Systemfrage
Wobei wir bei jenem schon angesprochenen Skandal wären. Die höchste der von Cem Özdemirs Ministerium vorgesehenen Haltungsstufen ist EU-Bio. Das schreibt vor, dass es einen Auslauf gibt und dass die Hälfte der Stallfläche festen Boden und Einstreu hat. Die Hälfte. Der Rest können Spaltenböden sein. Dass sind die Böden, durch die die äußerst geruchssensiblen Schweine die eigenen Exkremten riechen, die sie in freier Natur niemals da absetzen würden, wo sie leben.
Es gibt in Deutschland allerdings Schweinehaltungsformen, die Spaltenböden verbieten, darunter auch das konventionelle Neuland-Label. Weil das aber konventionell ist, können die Neuland-Bauern nie in die höchste Haltungsstufe gelangen. Das ist zumindest unfair, der Begriff Diskriminierung passt aber auch.
Bei der Kennzeichnung der Tierhaltung, über die inzwischen seit Jahren diskutiert und gestritten wird, liegt das Problem im System. Das ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter von der bäuerlichen zu einer industriellen Wirtschaftsweise „optimiert“ worden. Es wird heute von Konzernen bestimmt, die die Bauern ebenso von sich abhängig gemacht haben wie die Verbraucherinnen. Dabei ist das System immer intransparenter geworden, was auf beiden Seiten, bei Bäuerinnen wie Verbrauchern, zu Unbehagen und Unmut geführt hat. Das habe ich hier schon anhand des Projekts „Zukunfts-Bauer“ dargestellt.
Der Unmut bei den Verbraucherinnen und das Unbehagen bei den Erzeugern der Lebensmittel mündete schließlich in der Arbeit des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, gemeinhin nach seinem Vorsitzenden schlicht Borchert-Kommission genannt. Die Arbeitsgruppe unter Vorsitz des ehemaligen Landwirtschaftsministers Jochen Borchert hat dezidierte Vorschläge für einen Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland gemacht. Dazu gehören auch eine Kennzeichnung der Haltungsform, aus der die tierischen Lebensmittel stammen und eine dreigeteilte Aufgliederung der Haltungsformen. Dreigeteilt, nicht fünfteilig. Und Bio ist in der besten Haltungsform integriert. Das hatte gute Gründe, wie wir jetzt sehen.
Wenn man mit einer neuen Kennzeichnung eine Wirtschaftsweise umbauen möchte, dann wäre es außerdem gut, man hätte auch ein zeitliches Ziel. Bis wann möchte man denn etwas erreicht haben? Auf diese Frage hat die Berliner Politik derzeit offenbar keine Antwort. Oder sie stellt sich diese Frage gar nicht.
„Was in dem Vorschlag von Cem Özdemir komplett fehlt, ist eine Zeitschiene“, sagt Berit Thomsen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL. „Von der Borchert-Kommission wurde das so vorgeschlagen, dass man von vornherein klar macht, nach wie vielen Jahren welche Haltungsform gesetzlicher Standard wird. Und dass damit dann die Haltungsformen mit mehr Tierwohl für alle Betriebe gelten. Die Tiere können eine begrenzte Zeit noch in der heutigen gesetzlichen Stufe gehalten werden. Nach dieser Zeit wird dann die nächste Stufe gesetzlicher Standard.“
Das Ministerium denkt offenbar nicht in die Zukunft. Aber dafür hat man in Berlin ja schon traditionell Karlsruhe. Am Ende schiebt das Bundesverfassungsgericht die Politik in die Zukunft. Das wird auch bei der Schweinehaltung in Deutschland so sein. Sagen zumindest die Zuversichtlichen. Die Frage ist nur, ob wir dann für jede Tierart und deren etwas artgerechtere Haltung vors Verfassungsgericht ziehen wollen.
Saumäßig
Aber bleiben wir ruhig erstmal bei den Schweinen. Auch da gibt es noch genug Probleme im geplanten System. Zusätzlich zu den bereits geschilderten: Was ist eigentlich mit den Sauen und den Ferkeln, was ist mir den Vätern der Mastschweine? Die Sauenhaltung und die der Ferkel ist im derzeitigen Entwurf der Tierhaltungskennzeichnung für Schweine nicht erfasst. In den Eckpunkten des Ministers ist von ihnen nicht einmal die Rede.
„Der Entwurf zementiert eine Art der Tierhaltung, die bei uns gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert ist“ sagt Berit Thomsen von der AbL. „Von den meisten Bäuerinnen und Bauern im Übrigen auch nicht mehr. Dieser Entwurf führt nicht zu einer von der Mehrheit der Menschen akzeptierten Tierhaltung. Das wird schon dadurch klar, dass die Sauenhaltung nicht mit drin ist. Das halbe Leben lang können die Tiere irgendwie gehalten werden, und nur für die Masttiere gilt dann in der zweiten Hälfte des Lebens ein Standard, der mit Tierwohl wenig zu tun hat.“ Und selbst die Ferkel könnten die Mäster, die hierzulande höhere Haltungsstandards erfüllen, noch aus dem europäischen Ausland importieren, wo zum Beispiel betäubungsloses Kastrieren noch erlaubt sei.
Anne Hamester von PROVIEH sagt: „Wir tragen das mit, dass diese Kennzeichnung im ersten Schritt nur für die Masttiere eingeführt wird, damit sie erst einmal kommt. Wenn alle Schweinemäster, die eine Auslauf- oder Freilandhaltung haben, jetzt sofort auch die Ferkel aus Auslaufhaltung beziehen müssten, dann könnten sich die besseren Haltungsformen gar nicht durchsetzen, weil sie keinen Nachwuchs haben. Deshalb akzeptieren wir, dass es in zwei Schritten gemacht wird.“ Nur davon steht in der Absichtserklärung des Ministers gar nichts.“ Deshalb wird auch hier die Agenda eingefordert: „Es muss einen verbindlichen Zeitplan geben für den zweiten Schritt. Wenn das nicht kommt, gibt es für die Sauen- und Ferkelhalter in Deutschland gar keine Perspektive.“
Angekündigt hat das Ministerium allerdings einen anderen zweiten Schritt. In dem soll die Tierhaltungskennzeichnung auch auf verarbeitete Produkte ausgeweitet werden. Nicht nur das Fleisch der Mastschweine bekommt dann den staatlichen Stempel, auch die Wurst, der Schinken, die Konserve. Und auch alle anderen Vermarktungswege neben dem der Metzger und Supermärkte sollen erfasst werden. Also auch die Außer-Haus-Verpflegung, die Kantinen, die Gastronomie.
PROVIEH hat indes einen eigenen Vorschlag für eine Haltungskennzeichnung ausgearbeitet, der von den Bedürfnissen der Tiere her gedacht und gestaltet ist. Um so etwas umzusetzen müsste die Berliner Politik allerdings den Mut haben, die gesetzlichen Rahmenbedingungen verschieben zu wollen. Sowohl in Deutschland, als auch in der Europäischen Union. Die Zeit sollte dafür günstig sein, denn auch in der EU wird an einer Neufassung der Tierhaltungsverordnungen gearbeitet.
Geldfrage
Scheitern kann das Ganze am Ende in Deutschland so oder so – am Geld, sprich an der FDP. Die Borchert-Kommission hatte jährliche Milliardensubventionen für den Umbau der Tierhaltung veranschlagt. Und selbst wenn die Politik jetzt klein anfängt, nur mit einer Tierart und nur mit einem Segment tierischer Produkte, wird es kosten. Und das nicht nur beim Umbau der Stallungen, der Haltungssysteme, der Höfe.
„Die Ökonomen sagen uns, dass der Markt eine kurzfristige preisliche Anpassung beim Schweinefleisch nicht mitmacht“, sagt Berit Thomsen. Das bestätigt die grundsätzliche Recherche, die die Borchert-Kommission geleistet hat. Es wird nicht ohne Anschubfinanzierung gehen. Und auch wenn die Höfe umgebaut sind, fällt Mehrarbeit an, die der Preis für die Produkte nicht trägt. Zumindest eine lange Weile lang nicht.
Irgendwann werden wir Konsumentinnen und Konsumenten dann lernen müssen, dass Fleisch teurer ist, als die derzeit bei vielen wieder besonders beliebten Billigprodukte. Irgendwann werden wir lernen müssen, dass Tierwohl kostet, dass unsere Forderungen auch bezahlt werden müssen. Bis dahin müssen wohl auch die Veganer mit ihren Steuern den Umbau der Tierhaltung mitzahlen. Falls Christian Lindner noch lernt, dass richtig regieren besser ist, als das Regieren zu blockieren …