Was war zuerst – die Henne oder das Ei? Wie kam der Mensch auf das Huhn, wie das Huhn zum Menschen? Wieso legen heutige Legehennen fast jeden Tag ein Ei? Ostern naht, das Eierfest. Wieso ist Ostern eigentlich ein Eierfest? Viele Eierfragen, viele Hühnerfragen. Noch ein paar Wochen Zeit für Antworten. Also fangen wir an …
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Ostern liegt recht früh dieses Jahr, da das Fest bei uns, angelehnt an das jüdische Pessach, immer auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühjahr fällt. Dass unser Ostern heute mit Eiern einher geht, hat einerseits durchaus christliche Wurzeln, andererseits aber auch ganz und gar nordisch-heidnische. Denn es waren wohl die Wikinger im heutigen Schleswig-Holstein, die die Legehenne „erfanden“. Insofern ist es nur konsequent, dass fast alle Legehennen der Welt heute aus dem Norden Deutschlands stammen. Huch, wie hängt das denn alles zusammen? Das klären wir am besten der Reihe nach. Fangen wir mit dem Anfang an: Wie kam das Huhn zum Menschen?
Huhn asiatisch
Es kommt nicht von ungefähr, dass es in der asiatischen Küche so viele Gerichte mit Hühnerfleisch gibt, denn von dort kommt es, unser Huhn: aus Asien. Unsere Haushühner, Gallus gallus domestica, stammen – ob industriell gezüchtete Hybriden oder das sogenannte Rassegeflügel, ja, da lebt dieses Wort noch, – sämtlich aus den Regen- und Mangrovenwäldern Südasiens und Südostasiens. Wobei es eine Ausnahme gibt: die Perlhühner. Die gehören nicht zu den Haushühnern, auch wenn sie aussehen, als seien sie nur eine besondere Zuchtform, und obwohl es getupfte Haushühner gibt, die die Zeichnung der Perlhühner quasi nachahmen. Perlhühner sind aber eine eigene Hühnervogelfamilie aus Afrika, die Numididae. Eine der sechs Arten dieser biologischen Familie wurde domestiziert: das Helmperlhuhn, Numida meleagris. Portugiesische Seefahrer sollen es im 15. Jahrhundert an der Guineaküste entdeckt haben, vielleicht bereits domestiziert.
Die Ahnen der eigentlichen Haushühner gehören dagegen zur Familie der Fasanenvögel und dort zur Gattung Gallus, zu den Kammhühnern. Lange dachten die Zoologen, dass alle unsere Haushühner von nur einer der vier Kammhuhnarten abstammen; allein das Bankivahuhn, Gallus gallus, galt als die Stammform. Die Annahme ist verständlich, denn die Bankivahähne haben sehr viel Ähnlichkeit mit einigen unserer alten Haushuhnrassen. Die Hähne der Sulmtaler, Altsteirer, Italiener zum Beispiel tragen die für die Bankivahähne typischen großen, blutroten, gezahnten Kämme und Kehllappen, die goldfarbenen Halsfedern, die blaugrün schimmernden Schwingen und die metallisch glänzenden, schwarzgrünen Schwanzfedern. Die Hennen der Bankivahühner sind dagegen noch schlichter gefärbt als die meisten Hennen unserer alten Hühnerrassen. Da scheinen die Züchterinnen im Laufe der vergangenen acht Jahrtausende – so lange ungefähr ist das Huhn bei den Menschen – einigen Gestaltungswillen investiert zu haben. Die Bankivahühner, wegen des auffälligen Kopfschmucks der Hähne und der goldenen Halsfedern auch Rote Dschungelhühner genannt, bewohnen in ihrer Heimat Südostasien die Waldränder und lichteren Baumbestände. Von Indien über Kaschmir und China bis zu den Philippinen leben bis heute fünf Unterarten.
Zwei Urahnen
Allerdings überschneidet sich der Lebensraum der Bankivahühner an manchen Stellen mit dem anderer Kammhühner. Und natürlich gingen den Menschen vor 8000 Jahren auch andere Hühner in die Netze. Gefunden wurde der zweite Urahn unserer heutigen Haushühner aber erst, als sich Genforscherinnen für die Ursache der verschiedenartigen Färbung der Füße und bisweilen auch der Schnäbel der Hühner interessierten. Bei der Untersuchung der entsprechenden Gensequenzen erkannten sie als zweite Stammart das Sonnerathuhn, Gallus sonneratii. Der Lebensraum des Sonnerathuhns ist der Südwesten Indiens. In einigen Gebieten leben dort auch Bankivahühner, und es gibt auch Kreuzungen beider Arten in freier Natur, ohne dass sie sich deshalb dauerhaft vermischt hätten.
Dass die Bankiva- und Sonnerathühner in ihrer Heimat die lichten Waldränder bewohnen, wäre bis heute ein guter Hinweis für artgerechte Hühnerhaltung, der allerdings selten berücksichtigt wird. Hühner sind eher scheue, vorsichtige Vögel, die Deckung brauchen. Sie begeben sich nicht gerne auf große Freiflächen, weshalb die sogenannte Freilandhaltung nur hühnertauglich ist, wenn die Tiere Schutz finden gegen die Feinde aus der Luft. Wenn Sie also eine „Freilandhaltung“ mit großen Wiesenflächen ohne Bäume oder Unterschlupf sehen, wundern Sie sich nicht, dass die Hühner alle dicht beim Stall bleiben. Außerdem brauchen die Hühner in den Ställen erhöhte Sitzgelegenheiten, damit sie geschützt gegen die Feinde am Boden schlafen können. Wenn Sie also eine „Bodenhaltung“ sehen, die tatsächlich nur Boden bietet, dann wissen Sie: artgerecht geht anders. Aber davon später mehr …
Handelsware Huhn
Schweine und Rinder sind in mehreren Gebieten der Welt von den Menschen eingefangen und domestiziert worden. Im Fall der Haushühner gibt es zwar mehrere Ahnen, aber – abgesehen vom Perlhuhn – keine zweite Domestikationsregion auf der Welt. Das ist sowohl zoologisch als auch genetisch geklärt. Von Indien und China aus wurde das Huhn um die Welt getragen. Was wahrscheinlich wörtlich zu nehmen ist, denn gewandert sind die Hühner nicht mit den Menschen. Ein Tier, das fliegen kann und von Natur aus ängstlich und scheu ist, taugt weniger zur Begleitung wandernder Nomaden. Die Hühner dürften also schon sehr früh Handelsware gewesen und entsprechend entlang der Handelswege verbreitet worden sein.
Soweit alte Hühnerhaltungsformen belegt sind, dürften die Haushühner außerdem, wiewohl sie sich schon bald deutlich von den Wildformen unterschieden, im Verhalten lange den wilden Bankiva- und Sonnerathhühnern ähnlich geblieben sein. Selbst in der Eisenzeit – 5000 Jahre nach der Domestizierung – wurden die Haushühner in Mitteleuropa noch in geschlossenen Ställen und Gehegen gehalten, waren also wahrscheinlich nicht besonders häuslich. Unser Bild vom Hahn auf dem Mist und der friedlich im offenen Hof scharrenden Hühnerschar, die freiwillig beim Haus bleibt, ist offenbar jüngeren Datums. Und gehört doch schon wieder der Vergangenheit an, denn das Huhn ist heute das industrialisierte Nutztier überhaupt. Auch dazu demnächst mehr …
Henne und Ei
Die listige Frage nach dem Zuerst von Henne oder Ei lässt sich für die menschliche Nutzung des Haushuhns übrigens eindeutig klären: zuerst war die Henne. Die Menschen früherer Kulturen entlang der Handelsrouten von Asien nach Afrika und Europa interessierte am Huhn fast ausschließlich das Fleisch. Noch die Anweisungen in römischen Landwirtschaftslehrbüchern zeigen eine Ausrichtung auf allein diesen „Nutzen“. Entsprechend wurden die Hähne und Hennen in römischer Obhut immer größer und schwerer gezüchtet.
Ganz im Norden allerdings, im heutigen Schleswig-Holstein, gingen ein paar Sonderlinge einen anderen Weg der Hühnerzucht: die Wikinger. Funde aus dem frühmittelalterlichen Haithabu an der Schlei lassen erste Unterschiede zwischen Lege- und Fleischhühnern erkennen. Dort fanden sich auch vermehrt Eierschalen in den Speiseabfällen. Aber das bleibt zunächst ein regionales Phänomen, und es könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Nutzung der lebenden Tiere eine nordische Idee war. Auch die züchterische Differenzierung in Fleischrinder und Milchviehrassen stammt aus dem Norden. Den Römern und ihren Nachfolgern im Süden Europas war die lebende Henne nicht so wichtig, außer als Muttertier. Wobei die organisierte Zucht auf Fleischansatz mit dem Ende des Römischen Reiches einbrach. Wie die Rinder, so wurden auch die Hühner im Süden Europas bei den Nachfolgern der Römer wieder kleiner.
Mehr zu Hahn, Henne und Ei: Anmerkungen zum Haushuhn / Teil 2