Ampel auf Grün?

Die alte Bundesregierung musste passen, vielleicht wollte sie auch. In Sachen Landwirtschaft jedenfalls wurde nichts beschlossen bei der letzten Kabinettsitzung. Und das Thema GAP – Gemeinsame Agrarpolitik Europas – steht auch nicht mehr auf der Tagesordnung. Die scheidende Landwirtschaftsministerin hielt sich damit an ihr großes Projekt der Prokrastination, des Aufschiebens und Nichtstuns. Und die Umweltministerin verhinderte in letzter Minute ihr abermaliges Scheitern. Jetzt kann die Ampel machen.

Nur was? Ist die Agrarwende in Brüssel nicht gescheitert, unter anderem an der Blockadehaltung Deutschlands? Noch nicht ganz, sagt die sozialdemokratische Europaabgeordnete Maria Noichl, noch könne Deutschland die schlechte Vorgabe von Rat und Kommission im eigenen Land besser machen. Sie sieht die Nicht-Entscheidung der GroKo als Chance. Und weil die Bayerin Maria Noichl sich einen Namen gemacht hat als Kämpferin für die Agrarwende, belässt sie es nicht bei Zwischenrufen, sondern macht konkrete Vorschläge für die Ampel-Verhandlungen.

Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft in Deutschland aus? Keine ausgeräumten Landschaften mit
Monokultur. SPD-Agrarexpertin Maria Noichl fordert Ausgleichsmaßnahmen für mehr Biodiversität auf jedem Hof. | Foto: Erich Westendarp / Pixabay

Mehr Geld für Öko

Die scheidende Bundesregierung war sogar noch hinter den Brüsseler Vorgaben zurückgeblieben und wollte das Weiter-so auch für die nächsten Jahre festschreiben. Kommission und Parlament wollten ursprünglich dreißig Prozent der Gelder aus der sogenannten Ersten Säule der Brüsseler Agrarsubventionen, die schlicht für die landwirtschaftliche Nutzfläche zahlt, in neue Öko-Regelungen stecken. Die sollte nur bekommen, wer etwas für Umwelt und Biodiversität tut. Der Rat der Mitgliedsländer hatte daraus 25 Prozent gemacht. Und die deutsche Regierung wollte sogar nur 23 Prozent der Direktzahlungen in Öko-Regelungen umsetzen. Zudem hatte Julia Klöckners Landwirtschaftsministerium diese 23 Prozent dann auch noch so lächerlich verteilt, dass selbst der Bauernverband abwinken musste. Dreißig Euro mehr pro Hektar sollte zum Beispiel bekommen, wer eine mindestens fünfgliedrige Fruchtfolge einhält und 115 Euro sollte es für extensives Dauergrünland geben. Das ist weniger als die Hälfte der Prämie für intensiv bewirtschaftetes Ackerland, wenn dort rein gar nichts anders gemacht wird als bisher.

„Die bisherigen Vorschläge waren eigentlich eine Frechheit“, sagt Maria Noichl. „Es muss doch darum gehen, dass die Mehrarbeit durch wechselnde Fruchtfolgen und die Einsaat von Zwischenfrüchten anständig bezahlt wird. Genauso wie eine weniger intensive Nutzung. Wenn ein Landwirt nicht das Letzte herausholt aus seinen Flächen, lässt er der Natur Raum und fördert die Biodiversität. Dauergrünland ist außerdem einer der wichtigsten CO2-Speicher im Kampf gegen den Klimawandel.“ Womit sie recht hat, denn unter einer Weide, die nicht mehrfach im Jahr gemäht, sondern wirklich beweidet wird, baut das Bodenleben mehr kohlenstoffhaltigen Humus auf, als auf Ackerflächen und sogar mehr als im Waldboden. Auch wenn mediale Oberförster uns gerne mal was anderes glauben machen wollen.

„Die Idee ist zielgerichtete Förderung für mehr Ökologie in der Landwirtschaft“, sagt Maria Noichl. Und die funktioniere nur, wenn man dafür Geld in die Hand nimmt, weil sie für die Landwirte Mehrarbeit und Mindereinnahmen bedeute. Und die müssten ausgeglichen werden. „Als erstes“, sagt sie, muss man das Budget erweitern.“ Denn Europa gebe ja nur vor, mindestens 25 Prozent der Ersten Säule in die Öko-Regelungen zu packen. Man könne aber auch 27 oder dreißig Prozent nehmen. „Ich erwarte mir von Deutschland, dass wir voran gehen und einen höheren Prozentsatz einsetzen. Das wäre sofort machbar.“

Was Deutschland in Brüssel verhindert hat, soll die neue Regierung jetzt reparieren: die Mängel an der Agrarreform durch engagierte Öko-Regelungen ausgleichen, sagt die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl. | Foto: Europabüro Maria Noichl

Kein Geld für Holdings

Was in Brüssel gescheitert war, auch am Widerstand Deutschlands, ist die sogenannte Kappungsgrenze. Kommission und Parlament wollten eigentlich kleine und mittlere landwirtschaftliche Unternehmen fördern und nicht länger die Großgrundbesitzer, die Investitionsgesellschaften, die ihr Geld in den Boden gesteckt haben. Noch profitieren die am meisten von der reinen Flächenförderung: Wer viel Land hat, den bedenkt die Geldgießkanne mit viel Förderung, ganz nach dem deftigen Motto: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Das muss aber nicht so bleiben, wenn die reine Flächensubvention einfach gedeckelt würde.

„Wir haben es leider nicht geschafft, eine verpflichtende Kappung für alle 27 Länder einzuführen“, sagt Maria Noichl. Was nicht wundert, wenn man bedenkt, dass der tschechische Regierungschef Andrej Babiš einer der Großgrundbesitzer ist, die von Brüsseler Flächensubventionen profitieren. Die Europaabgeordnete Noichl möchte das Brüsseler Versagen in dieser Frage jetzt in Berlin nachbessern. Sie schlägt vor, Subventionen generell nur noch an „aktive Landwirte“ zu zahlen. Weder Investitionsgesellschaften, noch Fonds, noch Ministerpräsidenten dürften dazu zählen. „Unsere Aufgabe ist es, zu definieren, wer für uns aktiver Landwirt ist“, sagt Maria Noichl. Die deutsche Politik könnte mit einer solchen Definition industrielle Großbetriebe und außerlandwirtschaftliche Investoren von Subventionszahlungen ausnehmen. „In der Definition des aktiven Landwirts steckt die Möglichkeit, den Einfluss von außerlandwirtschaftlichen Investoren zu begrenzen.“ Nur wenn der landwirtschaftliche Unternehmer, die Unternehmerin, auf dem eigenen Boden arbeite und entscheide, soll es Geld aus Brüssel geben. „Wir wollen kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen, nicht die großen Holdings.“ Wobei ein mittelständisches Landwirtschaftsunternehmen nach ihrer Definition durchaus auch eines mit hundert oder mehr Mitarbeitern sein kann. „Es geht darum festzustellen, ob das überhaupt ein landwirtschaftlicher Betrieb ist, der da Subventionen bekommt, oder ein Industriebetrieb, ein Konzern, der nebenher noch landwirtschaftliche Flächen hat.“

Biodiversität schützen

Und es ist auch nicht egal, was auf den Flächen geschieht. Die Landwirtschaft ist mit verantwortlich für den Artenschwund auf dem Land. Die intensive Bewirtschaftung immer größerer Flächen, das maschinengerechte Ausräumen ganzer Landschaften ist ein Treiber, der fast flächendeckende Pestizideinsatz – das sind die oft beklagten Treiber des Sterbens vieler Individuen, Insekten, Vögel, Kleinsäuger, letztlich des Sterbens der Arten. „Die deutsche Agrarpolitik muss das beenden. Wir brauchen eine Umkehr und müssen die Landwirtschaft verpflichten, das Problem auf ihrer eignen Fläche zu lösen. Was nicht geht ist, dass wir Arten auf der landwirtschaftlichen Fläche verlieren und dafür anderswo Ausgleich schaffen.“ Es habe wenig Sinn, zum Ausgleich Wald aus der Forstwirtschaft auszugliedern, denn im Wald könne die von den Äckern vertrieben Feldlerche auch nicht leben. „Jede Landschaftsform muss ihre eigenen Schutzräume schaffen. Ich erwarte, dass im landwirtschaftlichen Bereich vernetzte ökologische Trittsteine geschaffen werden, Inseln, auf denen wirklich noch etwas blühen kann. Das lässt sich nicht auslagern. Jeder Sektor muss in Sachen Biodiversität Leistung bringen und die Landwirtschaft ist hier ganz besonders gefordert!“

Helfen könnte dabei auch das Ziel, zwanzig Prozent Ökolandbau in Deutschland zu erreichen. Dazu wünscht sich Maria Noichl auch eine Steigerung der Nachfrage. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung Bio in Gemeinschaftsverpflegungen voranbringt!“ Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten, Schulen möchte sie verpflichten, mit einem steigenden Anteil von Biolebensmitteln zu kochen. Und wenn dann die Nachfrage da ist, dann müsste auch das Geld da sein, um die Betriebe beim Umstellen zu unterstützen. „Das ist ein europaweites Versprechen, die Bio-Schiene nicht mehr als Nische, sondern als potente große Kraft bei der Lebensmittelproduktion zu unterstützen!“ Bei Bio sei auch nicht alles zum Besten bestellt, aber es sei eben derzeit die Art der Lebensmittelerzeugung mit dem geringsten ökologischen Fußabdruck. Bis 2030 soll das europaweit so sein, dass 20 Prozent der Landwirtschaft Bio ist. Im vergangenen Jahr waren weniger als zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland biologisch bewirtschaftet. Andere Länder haben die zwanzig Prozent Biofläche schon überschritten, allen voran Österreich mit über 25 Prozent, gefolgt von Estland mit 22 und Schweden mit knapp über zwanzig Prozent.

Nicht nur der angekündigte Mindestlohn von zwölf Euro soll künftig für die Erntehelfer gelten, sondern auch soziale Standards bei Sozialversicherung, Unterkunft und Arbeitszeiten. Die Ampel soll diese Regeln früher einführen als die EU verlangt. | Foto: SkyF / Getty Images

Saisonarbeiter schützen

Umgesetzt sehen möchte Maria Noichl in Deutschland auch etwas, wofür sie in Brüssel gekämpft hat: die sogenannte Konditionalität bei Arbeitnehmerrechten in der Landwirtschaft. Konditionalität nennt man Vorgaben von Geldgebern, also mit den Zahlungen verbundene Auflagen. Und solche Auflagen kommen nun aus Brüssel zum ersten Mal auch für den Einsatz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Landwirtschaft. Corona hat uns ja mehrfach deutlich gemacht, wie die Saisonarbeiter leben und schuften. „Seit über fünfzig Jahren gibt es die EU-Förderungen und zum ersten Mal koppeln wir jetzt die Gelder aus Brüssel nicht nur an Umweltauflagen, sondern auch an soziale Vorgaben. Brüssel macht diese soziale Konditionalität verpflichtend ab 2025. Aber wir können und wir sollten das auch schon 2023 machen.“ Dann nämlich, wenn die nächste Subventionsperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik startet. „Und ich erwarte von der nächsten Bundesregierung, dass wir Betriebe, die sich als Menschenschinder und Lohndrücker betätigen, von den Zahlungen ausschließen.“ Der ohnehin von der Ampel beschlossene Mindestlohn sei ein guter Schritt, genüge aber nicht. Dass Saisonarbeiterinnen und -arbeiter sogenannte Vermittlungsgebühren von bis zu zweitausend Euro zahlen müssten, um dann drei Monate lang in Zehnbettzimmern eingepfercht zu werden und ohne richtige Arbeitsverträge Stunden zu schrubben. „Das entspricht nicht unseren Sozialstandards. So will niemand von uns arbeiten müssen. Und dann sollten wir das auch niemandem zumuten.“