„Systemwechsel“ hat die Bundeslandwirtschaftsministerin die Neuregelung der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP in Brüssel genannt. Eine dreiste Lüge. Es geht schlicht um Greenwashing: Neue Etiketten für faule Kompromisse.
Der Start war vielversprechend. Die Landwirtschaft sollte ein gewichtiger Teil des Green Deals der EU-Kommission werden. Sie sollte vom Klimatäter zum Klimaretter werden und die Biodiversität nicht vernichten, sondern vermehren. Kommission und Parlament wollten die Agrarwende einläuten. Zumindest klang das so in der Kommissionsvorlage und auch in den Beschlüssen des EU-Parlaments. Dann kam der Rat der EU-Regierungen und das Ende der Wende.
Hätte, hätte …
Das Europaparlament hatte einen ambitionierten Vorschlag vorgelegt, der tatsächlich einen Systemwechsel hätte einläuten können. Wenn der Europäische Rat dem gefolgt wäre, hätte sich die Landwirtschaft tatsächlich in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln können. Und wir hätten das sehen können bei jeder Landpartie. Keine Maisäcker mehr, die abgeerntet und kahl durch den Winter gehen, die bloße Erde Wind und Wetter und damit der Erosion ausgesetzt. Dafür die Felder das ganze Jahr über bepflanzt und auch nach der Ernte noch grün. Weniger Grassilage in Plastikrollen an den Rändern der Wiesen. Dafür wieder mehr Tiere auf den Weiden. Das Land hätte wieder etwas mehr dem Bild entsprochen, was wir – na gut, wenigstens die Älteren unter uns – im Inneren als das einer intakten Kulturlandschaft gespeichert haben. Und auch die Berichte von eingepferchten und unterbezahlten Saisonarbeitern hätten wir wohl weniger häufig zu hören und zu lesen bekommen, denn die GAP-Zahlungen sollten an Mindestlöhne für Saisonarbeiter geknüpft werden.
Eine breitere Fruchtfolge, eine ganzjährige grüne Bedeckung und Durchwurzelung, die Förderung von Weidewirtschaft und Grünland. Die Landwirtschaft hätte uns allen helfen können beim Kampf gegen den Klimawandel, denn der fruchtbare Boden ist der größte Kohlenstoffspeicher der festen Erdhülle. Der Humus, den die Abermilliarden von Bodenlebewesen in die obere Erdschicht einbauen, besteht zu sechzig Prozent aus Kohlenstoff. Den haben die Pflanzen aus dem Kohlendioxid der Luft gefiltert und der wird von Regenwurm, Springschwanz, Bärtierchen & Co. im Boden gelagert. Wenn eine bodenverträgliche Landwirtschaft den Humusaufbau fördert, dann bleibt der Kohlenstoff auch dauerhaft im Boden gespeichert. Eine solche Landwirtschaft hätte die EU initiieren können, wenn der Rat den Vorschlägen des Parlaments gefolgt wäre.
Ist aber nicht
Der Agraretat ist der größte Etatposten, den die Mitgliedsstaaten an die EU abgetreten haben. Es geht um die Verteilung von rund 387 Milliarden Euro bis 2027. Bislang funktioniert der größte Teil der Agrarsubventionen in der Europäischen Union, die sogenannte „Erste Säule“, nach dem Gießkannenprinzip. Es regnet Geld auf jeden landwirtschaftlich genutzten Hektar, derzeit durchschnittlich rund 280 Euro pro Jahr. Wer viel Land besitzt, bekommt also viel Geld. Wer sein Land verpachtet, kann gute Preise verlangen, weil ja das Geld aus Brüssel kommt. Tun musste man dafür bislang nicht viel, einfach nur das Land bewirtschaften oder bewirtschaften lassen.
Das wollte das EU-Parlament ändern, indem es dreißig Prozent der „Ersten Säule“ für Öko-Regelungen reservieren wollte. Der erste Gegenvorschlag des Europäischen Rats: zwanzig Prozent. Es sollte also mehr Geld für die Direktzahlungen bleiben, obwohl genau die seit langem schon als der Webfehler des ganzen Systems gelten. Die Direktzahlungen sind aber die Pfründe der Agrarlobby. Und zu der gehören auch Landwirtschaftsministerinnen und -minister.
Na gut, was macht man in solch einem Fall: Man einigt sich auf die Mitte. Also 25 Prozent für das, was bislang Greenings hieß und in Zukunft Eco-Schemes heißen soll. Zusätzlich zur sogenannten „Zweiten Säule“ von Umweltmaßnahmen, die finanziell viel schlechter ausgestattet ist. Darauf hätte sich das Parlament wohl eingelassen. Dann aber rollte die Verhandlungsmaschinerie des Rates an und fabrizierte Protokollnotizen und Ausnahmeregelungen am laufenden Band.
„Wir haben gefordert, dass die Bauern eine breitere Fruchtfolge pflanzen müssen“, erzählt der grüne Biobauer Martin Häusling, der für das Parlament mitverhandelt. Das heißt, auf Mais darf nicht Mais folgen und auch zwei oder drei sich abwechselnde Feldfrüchte wären zu wenig, um die EU-Subventionen überhaupt zu bekommen. „Da wird jetzt wieder dran geschraubt“, sagt Martin Häusling. Das macht der Rat der Landwirtschaftsministerinnen und -minister nicht etwa so, dass er die Bedingung ablehnt; das wäre zu offensichtlich und fachlich auch nicht begründbar. Also werden Ausnahmeregelungen in das Vertragswerk hineinverhandelt. Darin ist der Rat erfahren, so hat er schon die Regeln des Greenings ausgehebelt und damit bereits die „Agrarreform“ der Vergangenheit zunichte gemacht.
„Für mich ist die Frage: Was wird jetzt eigentlich aus den Eco-Schemes“, sagt Martin Häusling. Die Befürchtung ist, dass die künftigen Eco-Schemes das gleiche Schicksal erleiden wie die Greenings der Vergangenheit. Sie wären dann wirkungslos. Auch deshalb, weil die landwirtschaftlichen Betriebe sich um die ökologischen Maßnahmen gar nicht kümmern müssen; die sind nämlich freiwillig.
Grünwaschen
Das Parlament fordert zu allen Eco-Schemes auch noch eine Umverteilung bei den Direktzahlungen. Damit nicht nur die Großen profitieren von den Direktzahlungen aus Brüssel, sollen die ersten Hektare besser bezahlt werden und die Direktzahlungen pro Betrieb generell gedeckelt werden. Bei der Besserstellung der ersten Hektare sieht der Kompromiss jetzt zehn Prozent mehr vor, bei der Deckelung der Direktzahlungen gibt es keine Einigung. Das Geld für die Großen fließt also weiter.
Auch eine andere Umverteilung scheint nicht in Sicht: die in Richtung Klimaschutz. Nach dem Green Deal der EU, der alle Gesetze und Verordnungen dem Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens unterstellt, müsste die Landwirtschaft in den nächsten Jahren wenigstens vierzig Prozent der ihr zugestandenen Subventionen für den Klimaschutz ausgeben. Das ist aber nicht in Sicht. Der Europäische Rechnungshof hat rechtzeitig zu den Abschlussverhandlungen über die Gemeinsame Agrarpolitik in einem Sondergutachten festgestellt, „dass die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft seit 2010 nicht zurückgegangen sind, obwohl von 2014 bis 2020 über ein Viertel aller EU-Agrarausgaben – mehr als 100 Milliarden Euro – in den Klimaschutz geflossen sind.“ Offenbar auch in der Vergangenheit schon Greenwashing.
Genau so soll das nun weitergehen. „Wie man das jetzt noch hinrechnen will, ist eine spannende Frage“, sagt Martin Häusling. „Da wird jetzt ohne Ende getrickst.“ Zum Beispiel sollen Zahlungen für benachteiligte Regionen, etwa die Unterstützung der Bergbauern, neuerdings Klimaschutzmaßnahmen sein. Damit wird auch ein Teil der Direktzahlungen zum Klimaschutz umgewidmet. „Man stellt da eine kreative Überschrift drüber und dann bleibt alles, wie es ist“, sagt der Biobauer aus Hessen. „Die Agrarpolitik bleibt weiter weltmarktorientiert. Das heißt, man zwingt die Bauern dazu, möglichst billig zu produzieren und hält sie mit Subventionen künstlich am Leben.“ Und die Verbraucherinnen und Verbraucher, hofft die Agrarlobby wohl, lassen sich von ein paar extra subventionierten Blühstreifen schon noch ein Weilchen täuschen.
Der Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes: https://op.europa.eu/webpub/eca/special-reports/cap-and-climate-16-2021/en/
Der Nabu zu den EU-Agrarsubventionen: https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/agrarpolitik/eu-agrarreform/25173.html
Die Daten der Empfänger der Direktzahlungen 2020 beim BMEL: https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/direktzahlung/veroeffentlichung-eu-zahlungen.html