Nachher ist man immer klüger, oder zumindest betroffen, oder wenigstens tut man so. Zumal in einem Wahljahr. Also sprach Till Backhaus von der SPD, der Landwirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns, über den Brand in einer der größten Ferkelzuchtanlagen Europas, bei dem kurz vor Ostern über 55.000 Tiere umkamen: „Der verheerende Brand in Alt Tellin war ein Fanal für die gescheiterte Idee der Tierproduktion.“
Nach einer Demo von Tierschützern vor dem Schweriner Schloss sagte der Minister: „Ich habe Verständnis für die Emotionen der Menschen, die gegen große Tierhaltungsanlagen demonstrieren.“ Seit Karfreitag wird nun neu über die „Tierproduktion“ diskutiert, auf der Straße, im Landtag, in den Medien, in Internetforen. Auch Patrick Müller, Hauptstadtreferent der Tierschutzorganisation PROVIEH hofft, dass der Brand in der riesigen Stallanlage der LFD Holding ein Fanal war: „Wir haben jetzt die Chance, in der Tierhaltung etwas Grundsätzliches zu ändern!“
Eine Frage der Haltung
Direkt nach dem Brand hatte Till Backhaus noch jede Verantwortung abgelehnt. Nicht er habe die riesige Tierproduktionsanlage im Landkreis Vorpommern-Greifswald genehmigt, sondern ein Wirtschaftsminister von der CDU, der längst nicht mehr im Amt ist. Es geht bei solchen Tierfabriken tatsächlich auch nicht um Land-Wirtschaft, sondern um Wirtschaft ohne Land. Das Futter für die Tiere wird von der LFD Holding größtenteils nicht angebaut, sondern zugekauft. Das Schweinefutter für die ehemals 57.000 Tiere in Alt Tellin musste also anderswo angebaut werden, zum Beispiel in Südamerika, wo dafür Regenwald gerodet wurde. „Deswegen habe ich auch nochmals deutlich gemacht, dass ich schon immer für eine bodengebundene Landwirtschaft geworben habe“, sagte Minister Backhaus. Wenn es die gäbe, dürften nur so viele Tiere gehalten werden, wie auch Futter vor Ort angebaut werden kann. Das Kürzel LFD im Namen der Betreiberfirma der Stallanlagen von Alt Tellin suggeriert genau das, was der Minister wünscht, es steht nämlich für Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland. Namen sind Schall – und in diesem Fall vor allem Rauch.
Am 6. April, eine Woche nach dem Brand in Alt Tellin, brannte es auch in einer Schweinezuchtanlage der LFD Holding in Binde im Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt. Sieben Freiwillige Feuerwehren aus dem Dorf und umliegenden Ortschaften brachten diesen Brand aber unter Kontrolle. Die Anlage in Binde ist allerdings auch deutlich kleiner als die in Alt Tellin. Dort sind nur 7000 Schweine eingepfercht.
Generell brennt es immer wieder in den industriellen Großställen. Patrick Müller von PROVIEH, der Tierschutzorganisation, die sich um das Wohl der Nutztiere kümmert, möchte den Brandschutz zum Hebel gegen die übergroßen Stallanlagen und die dort praktizierte Tierhaltung machen: „Dieser Brand hat jetzt allen unwiderlegbar gezeigt, dass die Brandschutzkonzepte nicht funktionieren und dass Anlagen dieser Größenordnung nicht beherrschbar sind.“ Angesprochen auf BER, den Berliner Großflughafen, der auch am Brandschutz zu scheitern drohte, dann aber doch eröffnet wurde, weist Patrick Müller auf den grundsätzlichen Unterschied hin. Im Flughafen haben die Menschen viel Platz und viele Fluchtwege. Im industriellen Großstall haben die Schweine keinen Platz und keine Fluchtmöglichkeit. Sie sind gefangen in den Mastboxen, oder auch noch zusätzlich in Kastenständen zum Ferkelschutz fixiert, wie in der Sauenhaltung von Alt Tellin.
„Die industrielle Intensivhaltung ist das Problem“, sagt Patrick Müller. „Wir müssen uns doch nur mal vorstellen, wie eine Schweinezuchtanlage aussähe, in der man 57.000 Schweine in Freilandhaltung aufziehen wollte.“ Wenn dann die Muttersauen auch noch ausreichend große Buchten zum Abferkeln und Säugen hätten und viel Stroh, auf dass sie sich legen können, ohne ihre eigenen Ferkel zu erdrücken. Wenn dann auch noch das Futter für all diese Schweine um die Stallanlagen herum angebaut würde … Vor meinem inneren Auge entsteht gerade eine Schweinestadt, wie sie sich nicht einmal Johann Strauss‘ Zigeunerbaron hätte träumen lassen, obwohl dessen ganzer Lebenszweck bekanntlich Borstenvieh und Schweinespeck war. „Anlagen dieser Größenordnung sind nicht realistisch zu bauen“, sagt Patrick Müller.
Ein Bock wird Gärtner
Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus schlingerte nach dem verheerenden Brand in Alt Tellin, um es mal mit einem Küstenbild zu sagen, wie ein Kutter ohne Stützsegel in schwerer See. Als er nach Ostern endlich überhaupt einmal Stellung nahm, sagte er, dass er einen Wiederaufbau der Ferkelfabrik nicht unterstütze: „Diese überdimensionierten Anlagen sind ad absurdum geführt!“ Eine Woche später dann verkündete der Minister: „Es soll dort eine Modellanlage der Zukunft entstehen – ein Stall 4.0. Mein Anspruch ist eine bodengebundene Landwirtschaft mit zwei Großvieheinheiten je Hektar, Stallungen, die den neuesten wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen entsprechen, für mehr Tierwohl und das Ganze im Paket mit guten Arbeitsplätzen.“ Darauf habe er sich mit den Betreibern geeinigt: „Ich habe mit dem Eigentümer und den Geschäftsführern der abgebrannten Zuchtanlage gesprochen und bin froh, dass auch sie erkennen, dass solche Betriebe nicht in die Zeit und nicht nach Mecklenburg-Vorpommern passen.“ Tatsächlich gibt es mehrere Ansprechpartner, wenn es um die abgebrannte Anlage geht. Die Betreiberfirma ist die LFD Holding, die Eigentümerin aber seit vergangenem Jahr die Schweizer Terra Grundwerte AG, eine Investmentgesellschaft im Bereich Land- und Forstwirtschaft.
Einerseits steckt hinter dem Tod von 55.000 Schweinen also anonymes Geld, andererseits eine Betreiberfirma, die schon vielfach mit dem Tierschutz in Konflikt kam. Was bei den Anlagen der LFD Holding gewissermaßen Tradition hat, denn sie sind übernommen worden vom berüchtigten niederländischen Schweinebaron Adrianus Straathof, der wegen fortgesetzter Verstöße gegen den Tierschutz 2015 zu einem Tierhaltungsverbot in Deutschland verurteilt wurde, das letztinstanzlich 2019 bestätigt wurde. Auch die LFD Holding ist mehrfach wegen Verstößen gegen Brand- und Tierschutz mit den Behörden in Konflikt geraten. In Alt Tellin sind schon einmal tausend Schweine erstickt, als 2019 eine Lüftungsanlage nicht funktionierte. Auch auf den neuerlichen Brand in der LFD-Anlage in Sachsen-Anhalt weist PROVIEH-Sprecher Patrick Müller hin: „Ausgerechnet mit denen will der Minister nun etwas Neues, etwas Zukunftsfähiges entwickeln. Das ist aus unserer Sicht völlig unmöglich. Da macht er den Bock zum Gärtner!“
Ein Neuanfang?
Selbst wenn sich die Betreiberfirma so grundsätzlich wandelt, wie es der Minister getan zu haben scheint, lässt die von ihm geforderte Bindung einer zukünftigen und zukunftsfähigen Schweinezucht in Alt Tellin an Ackerland für den Futteranbau wieder das Bild von der Schweinestadt aufkommen. Der Minister sprach von zwei Großvieheinheiten pro Hektar Land. Das ist ein in der Landwirtschaft übliches Flächenmaß. Eine Großvieheinheit (GV) ist ein erwachsenes Rind. Der Bioanbauverband Demeter zum Beispiel schreibt seinen Bauern vor, mindestens 0,2 Großvieheinheiten pro Hektar Land zu halten, also zehn Prozent der Menge, die der Minister dem Schweinebetrieb vorschreiben möchte. Bei der Berechnung werden kleinere Tiere zu virtuellen Großviechern zusammengefasst. Ein Mastschwein sind 0,16 Großvieheinheiten und eine Sau mit Ferkeln wird als 0,2 GV gerechnet. Bei einer Flächenbindung von zwei Großvieheinheiten ergäbe sich für einen Betrieb mit zehntausend Sauen eine Größe von zweitausend Hektar Ackerfläche. Sich so viel Land zusammenzukaufen, dürfte selbst in Mecklenburg-Vorpommern nicht so einfach sein. Fraglich auch, ob sich auf solcher Grundlage eine industrielle Tierhaltung zur Produktion von Billigfleisch noch lohnt.
Im Schweriner Landtag waren sich die Abgeordneten bei der Diskussion zu dem Großbrand in Alt Tellin immerhin einig, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfe. Das war’s dann aber auch schon. Von der Koalitionspartei CDU war zu hören, dass Tierschutzstandards die Wirtschaftlichkeit der „im internationalen Wettbewerb stehenden Betriebe“ nicht gefährden dürften. „Heimische Fleischproduzenten müssen bis zum Anschlag an der Kostenschraube drehen, um die große Nachfrage nach billigem Fleisch, auch gegen die Konkurrenz aus dem Ausland decken zu können», sagte die Abgeordnete Beate Schlupp. Und die AfD warnte davor, dass verschärfte Regelungen zur Abwanderung der Betriebe ins Ausland führen würden. In das Ausland wahrscheinlich, in das deutsche Schweinebetriebe mit EU-Subventionen ihr Billigfleisch exportieren. So wird selbst das Inferno von Alt Tellin immer noch mit den Argumenten abgetan, die schon vor dem qualvollen Tod der Schweine falsch waren.
Till Backhaus allerdings will eine Bundesratsinitiative starten, die Obergrenzen für Tierhaltungsbetriebe gesetzlich festlegen soll. Am Ende meint es der gewendete Minister doch ernst. Till Backhaus ist der dienstälteste Minister Deutschlands; seit 1998 ist er in inzwischen sieben Regierungen Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister. Die Wende wäre spät gekommen, aber spät ist ja bekanntlich besser als nie. „Ich bin gespannt,“ sagt auch Patrick Müller von PROVIEH.
PROVIEH – Organisation für Nutztierschutz: https://www.provieh.de