„Erschreckend gut, dieses Huhn!“ Das sagt einer der bekanntesten Biogeflügelhalter Deutschlands, der Demeter-Landwirt Carsten Bauck. Seine Anerkennung gilt einem Huhn mit weltweiter Alleinstellung: der Legehenne Lohmann Brown. Das ist nicht die Bezeichnung einer Hühnerrasse, sondern der Name eines Markenprodukts. Lohmann Brown ist Weltmarktführerin beim Eierlegen.
„Wer würde auf die Idee kommen, eine Hühnerrasse aus Afrika oder Lateinamerika nach Europa zu bringen, und glauben, die funktioniere hier so wie dort, wo sie herkommt?«, fragt Carsten Bauck, und antwortet gleich selbst: „Niemand! Aber mit Lohmann Brown funktioniert das.“ Von Nordamerika bis Australien, von Südamerika bis Sibirien: die ubiquitäre Legehenne passt sich an alle Bedingungen an und legt und legt und legt. Das ist das Erschreckende an diesem Huhn.
Eine für alle
Lohmann Brown stammt aus Cuxhaven. Dort sitzt seit 1932 die Lohmann Tierzucht GmbH. Die hat den Namen Lohmann Brown 1983 beim Deutschen Patent- und Markenamt als „Wort-Bildmarke“ registrieren lassen.
Das Markenprodukt ist eine Hybridhenne, also eine gezielte Kreuzung aus verschiedenen Zuchtlinien, die hier nicht zu verwechseln sind mit den alten Hühnerrassen. Die Zuchtlinien sind selbst schon ein Industrieprodukt, im Grunde eines, das auf Inzucht basiert. Wenn man nun zwei Zuchtlinien kreuzt, bekommt man ein Hybridwesen mit den Eigenschaften beider Elterntiere. Die lassen sich so in der nächsten Generation zusammenbringen – mit dem Ziel der Optimierung im Sinne des Zuchtziels. Bei der Hybridhenne Lohmann Brown ist das Ziel das Legen möglichst vieler marktgerechter Eier in Normgröße und marktgängiger brauner Pigmentierung. Das Ziel ist erreicht. Die „Lohmänner“, wie die Geflügelhalter ihre Hennen nennen, können das.
Die Legehennen der Marke Lohmann Brown Classic zum Beispiel legen bis zur 72. Lebenswoche 315 Eier mit einem Gewicht von jeweils 63,5 Gramm. So steht es in der Produktbeschreibung. Wenn man weiß, dass die Hennen meist mit der 21. Lebenswoche anfangen, Eier zu legen, dann bedeutet das fast jeden Tag ein Ei. Werden die Hennen älter, werden die Eier größer, die Legefrequenz lässt allerdings auch nach. Und irgendwann ist’s vorbei. Die Hybridhennen hören nach etwa zwei Jahren mit dem Eierlegen auf, die Hennen der älteren Hühnerrassen legen oft länger, dafür aber auch weniger Eier.
Eine Henne, die nicht mehr legt, ist für Geflügelbetriebe, die Eier verkaufen wollen, nur noch Futter verschlingender Ballast. Das Lebensende der Hybridhennen ist also vorbestimmt und es kommt aus wirtschaftlichen Gründen natürlich schon lange bevor sie keine Eier mehr legt, meist nach anderthalb Jahren.
Was dann allerdings übrig bleibt von den Legehennen ist, nun ja, wenn noch ein Suppenhuhn, dann für bescheidene Ansprüche. Je nach der Haltungsart bringen die Hybridhennen zwischen ein und zwei Kilo Schlachtgewicht. Am schwersten sind die für die Freiland- und Biohaltung gezüchteten Tiere, was bei Lohmann Tierzucht übrigens immer noch „Alternative Haltung“ heißt. Man kann in Cuxhaven auch Hennen für die Käfighaltung buchen, die in Deutschland seit 2010 verboten ist. Bis 2025 sollen auch die die größeren, sogenannten „ausgestalteten Käfige“ mit Sitzstangen und Legenestern für jeweils bis zu sechzig Hennen verschwunden sein.
Eine ohne alle
Ich habe in dieser Kolumne schon einmal über das Problem geschrieben, das uns Lohmann Tierzucht mit den leistungsoptimierten Legehennenlinien beschert hat. Ich muss es hier noch einmal erwähnen: den Tod der Bruderhähne.
Aus jedem zweiten Ei, das die Hähne der Hybridelternlinien befruchten und die Hennen legen, schlüpft nach 21 Tagen in den Wärmeschränken der Brütereien ein männliches Küken, also keine künftige Legehenne. Direkt nach dem Schlupf greifen sich deshalb die sogenannten „Sexer“ jedes einzelne Küken und bestimmen das Geschlecht. Die „Kükensexer“ sind meist Männer und stammen häufig aus Japan oder Korea. Dort scheint es besonders talentierte Menschen für diese seltsame Tätigkeit zu geben. Ein japanischer Experte soll bei einer Demonstration in den USA das Geschlecht von 1400 Küken in einer Stunde bestimmt haben, bei einer Genauigkeit von 98 Prozent. Der Berufstand soll in Deutschland allerdings aussterben, da das Töten der männlichen Küken aus den Legehennenlinien direkt nach dem Schlupf ab 2022 verboten ist. Damit stirbt aber das „Sexen“ selbst nicht aus, es wird nur anders gemacht. Man könnte das Wort also auch später noch zum Unwort küren.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2019 festgestellt, dass das Töten aus wirtschaftlichen Gründen nicht fortgesetzt werden darf. Mit der Begründung, die Aufzucht der Bruderhähne sei wirtschaftlich nicht zumutbar, weil die Tiere kein Fleisch ansetzen, haben die Behörden jahrzehntelang das Tierschutzgesetz gebeugt. In dem steht, dass kein Tier ohne Grund getötet werden darf. Es essen zu wollen, gilt als Tötungsgrund, nicht aber die reine Entsorgung von Leben.
Das Gerichtsurteil war der letzte Anstoß, das Kükentöten in Deutschland zu beenden. Der Ausweg, den die Bundeslandwirtschaftsministerin nun aber mit staatlicher Förderung von der Industrie erarbeiten ließ, heißt in anderen Zusammenhängen schlicht Abtreibung. Hier heißt er In-Ovo-Geschlechtsbestimmung. Will sagen: wr haben eine Technik erfunden, mit der wir das Geschlecht eines Kükens schon im Ei bestimmen können – und werfen es nun weg, bevor es schlüpft.
Die Bioverbände wollen das nicht mitmachen und spätestens ab 2022 alle Brüder ihrer Legehennen auch aufziehen; und langfristig ganz aus der Haltung der industriellen Hybridhennen aussteigen. Wer mehr dazu lesen will, kann dies hier tun: Das Ende des Kükentötens? vom 28. Januar 2021.
Hühnerimperium
Ohne die Lohmänner gäbe es das Problem der Wegwerfhähne gar nicht. Sie haben es geschafft, ein Tier auf den Markt zu bringen, das konsequent auf rein weibliche Eigenschaften gezüchtet ist. Wer nur Eier von einem Tier will, versucht ihm abzugewöhnen, für sich selbst zu sorgen. Die Legehenne soll möglichst viel Energie aus dem Futter in die Eierproduktion legen. Die „Broiler“, also die Masthühner, sollen dagegen in möglichst kurzer Zeit sehr viel Energie aus dem Futter in den Zuwachs an Fleisch investieren.
Das Erstaunlichste an der „Mastleistung“ und der „Legeleistung“ der heutigen Hybridhühner ist tatsächlich die jeweilige Futterverwertung. Die Broiler nehmen zwischen fünfzig und sechzig Gramm täglich zu und haben am Ende nach kaum fünf Wochen aus rund zweieinhalb Kilogramm Futter über anderthalb Kilo Hähnchen gemacht. Eine Hochleistungshenne der Linie „Lohmann Selected Leghorn Ultra Lite“ frisst täglich höchstens 110 Gramm Futter und legt dafür ein 60 Gramm schweres Ei. Solche Tiere eignen sich allerdings nicht für die Freilandhaltung. Die Lohmann Brown Classic brauchen doch etwas mehr Futter für sich. Aber auch die werden bei Lohmann Tierzucht ja noch weiter „optimiert“.
Lohmann Tierzucht in Cuxhaven gehört zur weltweit agierenden EW Group. EW steht für Erich Wesjohann. Zum Konzern gehört auch die Marke Aviagen, die weltweite Nummer zwei bei Mastgeflügel. Erichs Bruder heißt Paul-Heinz und sein Geflügelkonzern entsprechend PHW Group. Die ist Marktführerin bei Geflügelfleisch in Deutschland mit der Marke Wiesenhof, die rund 700 Mäster als Zulieferer hält und in ihren Schlachthöfen jede Woche durchschnittlich 4,5 Millionen Hähnchen schlachtet. Erich Wesjohann liefert die Elterntiere der Hähnchen, die sein Bruder Paul-Heinz aufziehen und schlachten lässt.
Was den Hühnerindustriellen die Tiere aber wirklich wert sind, zeigte der als „Lohmann-Skandal“ in die Geschichte der Tierquälerei eingegangene Fall, der 2011 mit dem höchsten Strafbefehl zu Ende ging, der bislang nach dem deutschen Tierschutzgesetz erlassen wurde. Lohmann zahlte 100.000 Euro, weil in der Hühnerzucht jahrelang Hähnen Kämme und Zehen amputiert wurden, ohne Betäubung und nur zum Zweck der Markierung. Der damalige Geschäftsführer entging wohl nur deshalb einer Haftstrafe, weil die niedersächsischen Behörden die Tierquälerei mitwissend geduldet hatten.