Zukunft Landwirtschaft in Europa

»Achtung Überbreite« steht auf dem Trecker. Wenn es nach dem neuen EU-Agrarkommissar geht, wäre das auch das Motto für die EU-Landwirtschaft. Sie soll »wettbewebsfähig und widerstandsfähig« sein. | Foto: Florian Schwinn

Dies ist die dritte Kolumne, die mit dem raumgreifenden Begriff Zukunft überschrieben ist. Zuerst ging es im letzten Blog des vergangenen Jahres und dem zugehörigen Podcast ganz grundsätzlich darum, ob wir Menschen nicht nur einzeln, sondern auch als Kollektiv lernfähig sind, und damit zukunftsfähig. Können wir mit Krisen auch dann umgehen, wenn sie nicht unmittelbar über uns hereinbrechen, sondern – nur – absehbar kommen werden? Dann ging es im zweiten Blog und Podcast um die abgesagte Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland. Und nun geht es um die Zukunft von Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in der Europäischen Union.

Nachdem die letzten beiden deutschen Bundesregierungen Zukunftskommissionen eingesetzt hatten, um deren im gesellschaftlichen Konsens ausgearbeitete Empfehlungen dann zu ignorieren, hat sich auch die Europäische Union eine Zukunftskommission Landwirtschaft nach deutschem Vorbild geleistet. In der EU hieß das nicht Zukunftskommission, sondern »Strategischer Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft«. Der ist abgeschlossen, es gibt auch eine neue EU-Kommission und seit Ende vergangenen Jahres auch einen neuen Agrarkommissar. Es ist Zeit, zu fragen, was nun wird mit der Zukunft.

Power to the Bauer

Der neue EU-Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung hat sich im Dezember in einem kleinen Image-Filmchen vorgestellt, in dem er zwei Fragen beantwortet.

»What would you like to deliver for Europeans?«, steht da als Erstes geschrieben, während der Luxemburger Christophe Hansen durchs scheinbar unvermeidliche Musikbett und über Brüsseler Winterlaub ins Bild läuft.

Seine Antwort auf diese ganz allgemeine Frage bezieht sich dann direkt auf die Bäuerinnen und Bauern. »Die Landwirte müssen einen fairen Preis für ihre hochwertigen Lebensmittel erhalten«, sagt der neue Kommissar: »Ich werde alles daransetzen, ihre Verhandlungsposition in der Wertschöpfungskette zu verbessern, insbesondere durch eine Änderung der Gemeinsamen Marktordnung.«

Eine flächendeckende Durchsetzung der Gemeinsamen Marktordnung kündigte der neue EU-Agrarkommissar Christophe Hansen in seinem Imagefilm zum Amtsantritt an. Eine Ansage mit Sprengkraft. | Foto: Screenshot

Wer das Filmchen nachschaut, sollte sich bitte nicht von den deutschen Untertiteln irritieren lassen: Es geht nicht, wie es dort steht, um die kommunale Marktregulierung. Was sollte das auch sein? Die Übersetzungs-KI ist im EU-Sprech nicht geübt: Gemeint ist die Gemeinsame Marktordnung der Europäischen Union. Und das, was Christophe Hansen da ankündigt, hat durchaus Sprengkraft, denn seit Monaten gärt der Konflikt um die Marktmacht der Lebensmittelkonzerne und Großmolkereien und die Ohnmacht der Bäuerinnen und Bauern.

  Zuletzt hatte der scheidende Bundeslandwirtschaftsminister noch nach dem Bruch der Ampelkoalition auf nationaler Ebene den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung der EU in Kraft setzen wollen – und scheiterte am Bundesrat. »Der Artikel 148 würde vor allem den Milchbauern helfen«, sagt Ottmar Ilchmann. Der niedersächsische Vorstand und agrarpolitische Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ist selbst Milchbauer.

Wie fast alle seiner Kollegen weiß er nicht, was er für die Milch seiner Kühe bekommt, wenn der Milchwagen der Molkerei kommt und sie abholt. Es gibt im Vorfeld keine Vertragsverhandlungen über Menge, Preise, Qualitäten. Liefere oder stirb ist das Motto. Der Vertragspartner einer Molkerei muss seine gesamte Milchmenge abliefern, kann sich also keinen anderen Vertragspartner für Teilmengen suchen und weiß dennoch nicht, was dafür gezahlt wird.

»Wir haben Lieferordnungen in den Genossenschaften, die das regeln«, sagt Ottmar Ilchmann. »Die besagen im Grunde nur: Ich kann und muss alle Milch, die ich erzeuge, dort abliefern und bekomme dann, nach Abnahme dieser gesamten Milch und der Verarbeitung, von der Molkerei den Preis genannt, den sie dafür erzielen konnte.«

Marktordnung

Die Landwirte können ihre Preise nicht selber machen, wie Handwerker oder Händler. Der Markt regelt da auch nicht viel, weil die Marktmacht der sogenannten »abnehmenden Hand« so groß ist, wie nirgendwo sonst. Das sei aber kein Marktversagen, sagte mir bei unserem Gespräch auf der Grünen Woche der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter: »Wir haben da ein Politikversagen«, denn wo es keinen Markt gebe, könne dem auch kein Versagen angekreidet werden. »Die Politik muss diesen Markt erst einmal schaffen!«

Entsprechend sehen vor allem Milchbäuerinnen und Milchbauern in der Ankündigung des neuen Agrarkommissars einen Lichtblick. Wenn sie in die Lage versetzt würden, vor der Lieferung mit den Molkereien zu verhandeln, wäre viel gewonnen. »Vorausgesetzt, die Betriebe tun sich dann in Erzeugergemeinschaften zusammen, um eine starke Verhandlungsposition zu haben«, sagt der Milchbauer Ottmar Ilchmann. Jedenfalls habe der neue Agrarkommissar jetzt die Chance, das Verhältnis von Milchbetrieben und Molkereien »vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen«.

Ob der neue Landwirtschaftskommissar diese Chance dann wirklich nutzt, muss man allerdings in Frage stellen. Der hessische Milchbauer Martin Häusling, seit 16 Jahren Europaabgeordneter und im Agrarausschuss des Parlaments, hat mir erzählt, dass Kommissar Hansen bei einer Sitzung sagte, dass in Deutschland ja alles in Ordnung sei, weil dort die Genossenschaften den Markt regeln. Was viele der großen Genossenschaften, die sich längst zu international agierenden Konzernen entwickelt haben, tatsächlich tun – aber längst nicht mehr im Sinne ihrer Genossen, nämlich der bäuerlichen Betriebe.

Weiß nicht, welchen Preis er für die Milch seiner Kühe bei der Molkerei erlöst. Erst nach der Verarbeitung kommt die Abrechnung. Einfluss auf die Preisgestaltung hat er nicht: Milchbauer Ottmar Ilchmann, agrarpolitischer Sprecher der AbL. | Foto: Ilchmann

Genossenschaftsproblem

»Oh«, sagt Ottmar Ilchmann zu dieser Information aus Brüssel, »da müsste man in der Kommission vielleicht mal den Zweifel säen: Sind das wirklich noch Genossenschaften im Sinne der Bäuerinnen und Bauern? Oder sind die eigentlich längst entgleist?« Die EU-Kommission, zumal der zuständige Kommissar Hansen, sollten da wohl mal genauer hinschauen und dann unterscheiden, zwischen Genossenschaften, »wie man sie sich vorgestellt hat zu Zeiten von Raiffeisen und seinen Mitstreitern.« Und global agierenden Konzernen, »die sich nur noch ein Genossenschaftsmäntelchen umhängen.«

Als Beispiel für Genossenschaften, die sich längst nicht mehr im Sinne ihrer Genossen verhalten, nennt Ottmar Ilchmann das Deutsche Milchkontor, entstanden durch die Fusion der Genossenschaften Nordmilch und Humana Milchunion – und rechtlich inzwischen eine GmbH mit über fünf Milliarden Jahresumsatz. Die »Deutsches Milchkontor Genossenschaft« ist zwar die Haupteigentümerin der GmbH, hat aber im Prinzip nichts mehr zu melden.

»Das ist ein international aufgestellter Konzern, der auch einen erheblichen Teil seiner Milch zum Beispiel aus den Niederlanden bezieht und weltweit Handel treibt. Das gesamte operative Geschäft ist aus der Genossenschaft ausgelagert. Da haben die ehrenamtlichen Vertreter der Bauern gar nichts mehr zu sagen. Die kommen nachher wieder ins Spiel, wenn die Produkte verkauft sind und das Geld wieder in die Genossenschaft zurückgeht und verteilt wird.«

Mit dem ursprünglichen Genossenschaftsgedanken hat das nichts mehr zu tun, bindet allerdings die Vertreter des Bauernverbandes immer noch gut ein. Sie besetzen die Ämter in den Rumpfgenossenschaften und sind deshalb in breiter Phalanx auch gegen die flächendeckende Durchsetzung des Artikels 148 der Gemeinsamen Marktordnung der EU.

Vision Landwirtschaft

Vielleicht kommt der neue Agrarkommissar Christophe Hansen dieser Sache ja auf die Spur, wenn er seine zweite Ankündigung aus dem Image-Filmchen wahr macht. Da läuft er vor dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel auf und im Bild steht die Frage: »What is the first thing you will do in the new job?«

»Ich werde vor Ort sein, um viel mit den Bauern zu reden, um mit ihnen Lösungen zu finden für die nachhaltige Produktion von Lebensmittel in der Europäischen Union. Das geht nur im Dialog und dieser Dialog findet vor Ort statt. Das werde ich machen.«

 Sagt es, dreht sich um und verschwindet im Kommissionsgebäude. Irgendwie sagt die Bildregie etwas anderes, als der Kommissar.

Vor Ort findet Milchbauer Ottmar Ilchmann zumindest einige positive Aspekte an der »Vision«, die der Landwirtschaftskommissar und der für seinen Bereich zuständige Vizepräsident Raffaele Fitto — Abgesandter der postfaschistischen Fratelli d‘Italia — für die europäische Landwirtschaft der Zukunft vorgestellt haben. Für das also, was im nächsten Fünfjahresplan der EU stehen soll.

» Positiv an der Vision ist, dass der gesellschaftliche Konsens, der in Deutschland durch die Zukunftskommission Landwirtschaft und durch den parallelen europäischen Prozess in der EU erarbeitet worden sind, in gewisser Weise Aufnahme gefunden haben.«

Da sind sie wieder, die deutsche ZKL und ihr Pendant auf EU-Ebene, der sogenannte Strategische Dialog. Aber sind die Ergebnisse dieser beiden Dialogprozesse tatsächlich in die Vision zur europäischen Landwirtschaft eingeflossen? Der Europaabgeordnete Martin Häusling sieht das nicht so. Er sei da sehr skeptisch, sagt er.

»Ich fürchte, dass genau dasselbe passiert wie in Deutschland: Man findet schöne Worte und unterzeichnet gemeinsam Papiere. Aber wenn dann die Realität vor der Tür steht, fehlt leider die konkrete Umsetzung.« Genau das, was letztlich in Deutschland mit der Zukunftskommission geschehen ist, sieht er auch in der Europäischen Union kommen. Die einzige konkrete Ankündigung in der »Vision« von Hansen und Fitto sei einmal mehr der Bürokratieabbau. »Und wenn ich mir anschaue, was rausgekommen ist beim letzten Mal, dann fürchte ich, dass Bürokratieabbau bedeutet, noch mehr Umweltambitionen werden hintangestellt.»

All die konkreten Ziele, die die EU-Kommission noch in der letzten Legislaturperiode gesetzt hatte, werden jetzt nicht einmal mehr erwähnt. »Beispiel Pestizidreduktion: Das war ja mal ein sehr konkretes Ziel — fünfzig Prozent weniger Pestizideinsatz. Und fünfundzwanzig Prozent Ökolandbau. Von dem ist nicht mehr die Rede.«

Das Schicksal der Zukunftsvisionen für die Landwirtschaft wird in Brüssel genauso sein wie in Deutschland – ohne Zukunft. Das erwartet der Europaabgeordnete Martin Häusling, hier im Umweltausschuss des Parlaments. | Foto: Annette Schultetus

Fördergießkanne

Stattdessen hat der neue Kommissar Christophe Hansen den Landwirten versichert, dass er an den sogenannten Direktzahlungen für die Flächen festhalten will. Das genaue Gegenteil war auch hier einmal die Absicht der vorherigen EU-Kommission, und der Umbau der Förderung war bereits im Gange — in Richtung Bezahlung der Bäuerinnen und Bauern für Ökosystemleistungen, für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, für Biodiversität und Klimaschutz. Das scheint jetzt auf einmal gar nicht mehr Ziel zu sein.

Ganz generell sagt der Europaabgeordnete Häusling zu der »Vision« zur Zukunft der Landwirtschaft in Europa: »Es ist nicht das, was wir eigentlich erwartet hatten!« Die beiden Zukunftskommissionen in Berlin und in Brüssel, übrigens beide geleitet von dem verhandlungserprobten Peter Strohschneider, dem ehemaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates und Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, kamen zu einer Grundaussage: Wir müssen weg von der Flächenzahlung! Die Fördergießkanne, die einfach pro Hektar Fläche Geld verteilt, sollte ausgetrocknet werden.

Generell ist der Fördertopf der Europäischen Union für die Landwirtschaft zweigeteilt. Da gibt es die sogenannte erste Säule, das sind die Zahlungen für die Fläche pro Hektar. Und die sogenannte zweite Säule stützt die ökologischen Maßnahmen. Das, was die Betriebe für die Umwelt, den Klimaschutz, die Biodiversität tun. Und aus diesem zweiten Topf wird auch die ländliche Entwicklung gefördert. Jetzt scheint diese zweite Säule nicht mehr aufgestockt zu werden, wie das die ganzen Zukunftskommissionen vorgeschlagen und gefordert haben. Sie scheint sogar gefährdet.

» Man hört aus der Finanzplanung, dass die zweite Säule, also die tragende Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik, die Umweltmaßnahmen, ländliche Entwicklung, dass die radikal gekürzt wird«, sagt Martin Häusling. »Und was dann übrigbleibt, sind tatsächlich nur noch die Direktzahlungen. Und das wäre ein großer Rückschritt!«

Rollback

Bei genauerem Hinsehen und Hinhören sieht es genau danach aus — nach einem Rückschritt. In der Vision zur EU-Landwirtschaft kommt der prägende Begriff der vergangenen Legislaturperiode gar nicht mehr vor: der Green Deal. Der soll ja angeblich weiterverfolgt werden, wird aber hier nicht einmal mehr erwähnt.

            Schon läuft über die verschiedenen Plattformen wie Change.org oder We Move Europe eine groß angelegte Petition mit dem Titel »Rettet den Green Deal!«

»Ich bin ziemlich enttäuscht, auch nach Gesprächen mit dem Hansen«, sagt Martin Häusling. Er beschreibt Christophe Hansen als »offenen Typ«, mit dem man reden könne. Aber die Agenda des Christsozialen aus Luxemburg sei erkennbar die der konservativen Europäischen Volkspartei. »Die geben die Agenda vor und nicht mehr Frau von der Leyen.« Der Green Deal werde abgewickelt. »Der steht zwar noch auf dem Papier, aber im Kernbereich setzen wir jetzt auf Wirtschaft und internationale Wettbewerbsfähigkeit.«

 Rollback ist gerade in, nicht nur in Deutschland, mehr noch in Europa. Vor drei Jahren schon, als der zweite russische Krieg gegen die Ukraine zu Preisexplosion und Versorgungsproblemen auf dem Lebensmittelmarkt gesorgt hat, wurden die ersten Umweltauflagen für die europäische Landwirtschaft abgeräumt, andere gar nicht erst flächendeckend eingeführt. Das zarte Pflänzchen Agrarwende welkte in der folgenden politischen Dürre weiter vor sich hin.

  Das muss nicht so bleiben, es geht ja bei dem jetzt zu verhandeln-den Etat für die Europäische Union um das Geld, das ab 2028 ausgegeben werden soll. Da ist noch viel Zeit, allerdings auch viel drin. Sogar über eine Abschaffung des eigenen Budgets für die Landwirtschaft ist in der EU schon laut nachgedacht worden. Das größte Budget der Europäischen Union könnte aufgelöst und in andere Töpfe verteilt werden.

Greenwashing

Vor noch etwas anderem warnt der Europaabgeordnete Martin Häusling Es könnte sein, sagt er, dass wir uns — quasi als Ersatz für den Green Deal — eine besondere Art landwirtschaftliches Greenwashing einhandeln.

Es geht dabei um Carbon Farming, also darum, dass die Landwirte dafür bezahlt werden, dass sie Kohlendioxid in ihren Böden speichern.

»Moment mal«, habe ich spontan auf diese Warnung geantwortet, »was soll daran schlecht sein?« Dass Landwirte dafür bezahlt werden, dass sie in ihren Böden Humus aufbauen und damit Kohlenstoff im Boden einlagern, ist doch eine gute Sache. In der österreichischen Ökoregion Kaindorf wird das seit Jahren praktiziert. Mit Erfolg! Ja, sagt Martin Häusling. Mit Ökolandbau in der Ökoregion. Da geht das. Aber nicht mit konventionellem Ackerbau in Fünfjahresplänen. Und um die ginge es schließlich in der Europäischen Union, so sei die EU organisiert.

Wenn jetzt also ein Programm zum Carbon Farming käme, dann sei das auf die nächsten fünf Jahre ausgerichtet. Und wenn man sich nun anschaut, was das bedeutet für einen ganz normalen landwirtschaftlichen Betrieb: »Ich kann fünf Jahre tatsächlich in meinem Betrieb Humus aufbauen. Auch konventionelle Betriebe können ja Klee und Luzerne anbauen. Das wäre eine entsprechende Maßnahme«, sagt Martin Häusling. Um dann sofort den Haken an der Sache zu sehen: In vielen Regionen der EU dominiert inzwischen der Maisanbau. Und der sei eben humuszehrend. Die Humusbilanz in Europa ist deshalb auch negativ. Wir verlieren Humus aus unseren Böden, statt ihn aufzubauen.

Umso wichtiger wäre dann doch eigentlich eine Förderung des Humusaufbaus in den Böden. Funktioniert aber nicht mit konventionellem Landbau in Maisregionen, sagt Martin Häusling. Wenn auf die fünf Jahre geförderten Humusaufbau zwei Jahre Mais folgen, sei der ganze Humus wieder fort. »Wenn ich den Humusaufbau in den Böden nicht mit einer Methode wie zum Beispiel dem ökologischen Landbau langfristig absichere, dann verdiene ich vier, fünf Jahre gutes Geld. Wunderbar. Dann läuft die Förderung aus und ich baue den Humus wieder ab. Muss ich dann das Geld zurückzahlen, oder wie?«

Wie gehen wir mit unseren Böden um? Hier ein von schweren Erntemaschinen zusammengefahrener Acker in der Marsch. Da stirbt das Bodenleben, der Humus wird ausgeschwemmt – und da wächst dann im nächsten Jahr auch nicht mehr viel. | Foto: Florian Schwinn

CO2-Senke Böden

Es ist eigentlich eine gute Idee, mehr Humus in unsere Böden zu bringen. Humus besteht zu rund sechzig Prozent aus Kohlenstoff, den die Pflanzen zuvor aus der Luft gefiltert haben. Es geht also um das C aus dem Treibhausgas CO2. 2016 bei der Klimakonferenz in Paris, als das neue Klimaabkommen unterzeichnet wurde, um dessen Umsetzung seitdem gestritten wird, da haben die Franzosen die sogenannte Vier-Promille-Initiative gegründet.

Die beruht auf der Idee, dass es ausreicht, in allen landwirtschaftlich genutzten Böden weltweit jährlich nur vier Promille mehr Humus einzulagern, um den gesamten Treibhausgasausstoß der Menschheit für das Jahr, in dem das gelingt, im Boden zu versenken. Das könnten wir in Deutschland viele Jahre machen, denn unsere Böden sind durch Raubbau vielfach sehr humusarm geworden. Die damalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatte das bundeseigene Thünen-Institut beauftragt, wissenschaftlich zu bewerten, ob das bei uns funktionieren würde. Die Antwort war: Ja, es würde. Thünen legte ein »Working Paper« mit einer Bewertung vor. Weiter ist dann allerdings nichts passiert.

Die Landwirtschaft könnte also viel tun für den Klimaschutz, vor allem da, wo sie durch die Pervertierung einer anderen guten Idee, nämlich der Biogasanlage, viel Humus verloren hat in den letzten Jahren; eben durch den angesprochenen flächendeckenden Maisanbau. Wenn die Landwirtschaft aber dieses Mehr für den Klimaschutz tun soll, dann müsste der Maisanbau dauerhaft gestoppt werden. Davon ist aber nicht die Rede bei der in der EU diskutierten Förderung des sogenannten Carbon Farming.

Carbon Farming sei deshalb keine Maßnahme, um langfristig mehr Kohlenstoff in die Böden zu bringen, sagt Martin Häusling. Das ginge nur durch andere Produktionsmethoden, zum Beispiel den ökologischen Landbau, der ja zum Ziel hat, mehr Humus in den Boden zu bringen. »Wenn die Kommission im Carbon Farming jetzt tatsächlich eine neue Einkommensquelle für alle Landwirte sieht, habe ich das Gefühl, das geht im konventionellen Bereich eher in Richtung Greenwashing.«

Generationswechsel

Die Vision der EU-Kommission für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft nennt vier Ziele:

Sie will die Attraktivität des Agrarsektors erhöhen, um zukünftige Generationen anzuziehen. Die europäischen Bäuerinnen und Bauern sind im Durchschnitt 57 Jahre alt. Wenn da nicht die nächste Generation übernimmt, war’s das mit der Landwirtschaft.

Das gilt übrigens auch für den einstigen Wachstumsbereich der Biolandwirtschaft. Ja, die Umsätze steigen, der Biosektor wächst noch, haben wir gerade auf der Grünen Woche in Berlin und von der Biofach in Nürnberg gehört. Aber nur in den Supermärkten und bei den Discountern, nicht auf dem Land, bei den Bauern. Ökolandwirt Martin Häusling hat Hofnachfolger, seine beiden Söhne machen weiter in Nordhessen. Für viele andere Höfe sieht er aber schwarz.

Viele der älteren Ökobetriebe wurden nach dem Schock des Supergaus im Atomkraftwerk Tschernobyl umgestellt, also in den 1980er- und 1990er-Jahren. Bei diesen Betrieben muss jetzt der Generationswechsel erfolgen. »Das sind ja oft kleinere Betriebe, sehr intensive Direktvermarktungsbetriebe, und die haben Schwierigkeiten, Hofnachfolger zu finden«, sagt Martin Häusling. »Gerade im Milchviehbereich haben wir eine eklatante Lücke. In dem Bereich wird gar nicht mehr investiert.«

Was nicht besonders verwunderlich ist, wenn ein neuer Stallplatz für eine Kuh um die 20.000 Euro kostet, der Preisabstand zwischen konventioneller und der sehr viel aufwendiger und mit viel mehr Platz produzierten Biomilch aber gerade mal fünf Cent pro Liter beträgt. Wer investiert dann noch? Klar gibt es die Gegenbeispiele auch. Die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof zum Beispiel, die ich hier schon mehrfach beim Umbau der Höfe begleitet habe. Zuletzt im Blog und im Podcast, als gerade auf einem der Höfe ein neuer Stall für die kuhgebundene Kälberaufzucht gebaut wurde.

Das ist aber die Ausnahme, weshalb Biomilch wohl demnächst knapp werden wird. Das sei schon absehbar, sagt Martin Häusling. Und das zugehörige Paradox in Sachen Markt- und Politikversagen, dass das Problem noch verschärft: »Trotzdem steigt der Preis nicht dementsprechend, um Anreize zu geben für Umstellungswillige. Das ist ein echtes Dilemma!«

Da geht er ab, der neue EU-Agrarkommissar. Eben hat er im Imagefilm noch gesagt, er werde viel vor Ort sein, um mit den Bauern zu reden. Jetzt verschwindet er im Kommissionsgebäude. So will es die Bildregie. | Foto: Screenshot

Weltmarkt lokal

Das zweite Ziel der EU-Kommission in ihrer »Vision«: Der Agrarsektor soll »wettbewerbsfähig und widerstandsfähig« sein. Der erste Begriff zielt in Richtung Weltmarkt, der zweite widerspricht dem eigentlich, zielt er doch in Richtung Selbstständigkeit, Resilienz und Ernährungssicherheit. »Das passt nicht zusammen«, sagt Milchbauer Ottmar Ilchmann.

Ernährungssicherheit sei nicht gleichzusetzen mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit. »Ganz im Gegenteil sogar: Wenn wir uns auf internationale Märkte ausrichten, dann produzieren wir natürlich die Produkte, mit denen wir auf dem Weltmarkt am besten punkten können. Das waren für Deutschland lange Jahre Schweinefleisch und Milchprodukte. Und wir vernachlässigen genau die Produkte, die man für eine lokale Ernährungssicherung unbedingt braucht.« Eklatant sichtbar ist das bei Obst und Gemüse. Da führen wir siebzig Prozent des Bedarfs aus anderen Ländern ein. Auch immer mehr Biolebensmittel werden eingeführt.

Es ist zwar von Ernährungssouveränität die Rede in den Papieren und Verlautbarungen des neuen Agrarkommissars, er will »kritische Abhängigkeiten reduzieren«. Gleichzeitig will er aber »neue Exportmöglichkeiten schaffen». Was denn jetzt: Weltmarkt oder lokale Ernährungssicherung? Die Ziele widersprechen sich.

»Wir machen weiter wie gehabt«, sagt Martin Häusling, »das ist die Form der Politik, die wir in den letzten zwanzig Jahren betrieben haben.«  Die Kommission sucht neue Absatzmärkte und freut sich auf das Mercosur-Abkommen mit Südamerika. Von dort würde dann zwar billiges Rindfleisch aus fragwürdiger Haltungsform kommen, dorthin könnte dann aber Milchpulver exportiert werden.

Wir bleiben also beim eingespielten System. Wir kaufen Futtermittel ein, zum Teil auch in Südamerika. Dann »veredeln« wir das hier zu Fleisch und exportieren dies wieder. »Angesichts des Klimawandels und des notwendigen Ausbaus der regionalen Versorgung machen wir genau das Gegenteil«, sagt Martin Häusling: »Und diese Kette des Wahnsinns wird einfach nicht durchbrochen!«

Umweltschutz hilf!

Die EU-Landwirtschaft der Zukunft, das wäre Ziel Nummer drei der Vision, soll »zukunftssicher« sein, innerhalb der planetaren Grenzen funktionieren und zu den Klimazielen der EU beitragen. Indem sie »gesunde Böden, sauberes Wasser und saubere Luft erhält, sowie die biologische Vielfalt Europas schützt und wieder-herstellt«. Das ist das Umweltthema, das wir eigentlich gerade schon in Rückabwicklung gesehen haben.

            Und die EU-Kommission will — Ziel Nummer vier — faire Arbeits- und Lebensbedingungen und lebendige und gut vernetzte ländliche Räume sicherstellen. Wofür ihr höchstwahrscheinlich das Geld fehlt, wenn sie an der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik festhält.

            Ottmar Ilchmann wünscht sich in dieser Situation — eher ungewöhnlich für einen Landwirt — Hilfe von den großen Umweltverbänden, von den europaweit agierenden NGOs. Sie sollen helfen, das Rollback in der Landwirtschaft aufzuhalten. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die zwar Teil der europäischen Agraropposition ist, könne das alleine nicht stemmen.

Wobei er die Umweltpolitik nicht etwa anderen überlassen will, denn natürlich sei gerade auch für Landwirte nicht unwichtig, ob mit der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU noch Umweltziele erreicht werden sollen und können. »Denn die Probleme, die wir haben, die ja mal zu diesen ganzen Auflagen für die Landwirtschaft geführt haben, die gehen ja nicht dadurch weg, dass man die Auflagen zurückfährt.«

Wir haben auch ohne Förderung von Biodiversitätsmaßnahmen auf den Äckern weiterhin eine Biodiversitätskrise. Die Probleme mit dem Grundwasser in manchen Regionen bleiben, die Bodenkrise verschärft sich, die Klimakrise trifft die Landwirte zuerst. »All das müssen wir anpacken«, sagt Ottmar Ilchmann, »und wenn das nicht über Auflagen und Konditionalitäten sein soll, dann soll Kommissar Hansen bitteschön sagen, wie er es vielleicht über Anreizprogramme hinbekommen will. Das ist seine Aufgabe.» Die AbL und andere lieferten da gerne Ideen zu, »aber regeln muss das die EU-Politik!«

Vorwärts zurück!

Das war die Sache mit der Zukunftsvision für die Landwirtschaft in Europa. Eher ein Blick zurück, scheint mir. Vielleicht hätte ich an den Titel des Blogs und des Podcasts doch ein Fragezeichen hängen sollen, oder gleich eine Frage daraus formulieren: »Hat Europas Landwirtschaft eine Zukunft?«

Aber die journalistische Regel besagt: Wenn im Titel eines Beitrags eine Frage gestellt wird, lautet die Antwort üblicherweise Nein. Und das wollte ich nicht und das können wir nicht wollen. Schließlich reden wir Verbraucherinnen und Lebensmittelkäufer doch immer von gesunder, fairer, regionaler und saisonaler Ernährung, wenn wir dazu befragt werden. Dann wissen wir natürlich auch, dass wir den Weg zurück in die Vergangenheit, die all die gegenwärtigen Krisen ausgelöst hat, nicht mitgehen wollen. Dann wissen wir auch, dass wir uns der EU-Kommission bei ihrem Rollback in den Weg stellen müssten.

Ob das Unterzeichnen von Petitionen dafür ausreicht? Oder die Abstimmung mit dem Einkaufswagen beim Kauf regionaler Ware? Vielleicht die Unterstützung anderer Vertriebswege, die mit dem Weltmarkt tatsächlich nichts zu tun haben? Davon wird die Rede sein müssen – auch an dieser Stelle immer wieder.