Raus aus den Ställen!

Hier geht’s rüber – neben der Mütter-Kälber-Weide des Kattendorfer Hofs. Diese Straße wird vier Mal am Tag gesperrt, wenn die Kühe zur Ganztagsweide gehen und von ihr zum Melken auf den Hof kommen. | Foto: Florian Schwinn

Wieso denn »Raus aus den Ställen«, wo doch der Winter dräut und selbst die Tiere in die Ställe zurückmüssen, die in der wärmeren Jahreszeit überhaupt noch draußen sein durften. Aber gerade jetzt wird in Deutschland diskutiert, was uns dann im nächsten Jahr wieder mehr Weidetiere ins Grünland bringen könnte: Die bundesweite Weideprämie für Milchkühe soll kommen.

Bringt das die Kühe tatsächlich dann wieder dahin, wo wir Verbraucher und Verbraucherinnen sie nach allen Umfragen gerne sehen wollen – raus auf die Weide? Und wieso sind sie da nicht mehr, weshalb stehen die meisten Kühe auch bei bestem Wetter im Stall?

Für Weideprämie

Im Juli hat der Deutsche Bundestag im Rahmen des sogenannten Agrarpakets die bundesweite Weideprämie für Milchkühe beschlossen. Die soll wenigstens einen Teil der Mehrkosten und Mehrarbeit abgelten, die Weidetiere für die Bäuerinnen und Bauern bedeuten. Ist das eine gute Nachricht fürs Tierwohl?

Ja, hat damals die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Schleswig-Holstein in einer Videobotschaft der AbL gesagt. Das sei ein Grund zum Feiern für Milchbäuerinnen und Milchbauern, für die Kühe und für die Artenvielfalt. Eigentlich.

Kirsten Wosnitza hatte sich für das Video auf die Weide zwischen ihre Kühe gestellt. Aber nicht, um freudig die gute Botschaft zu verkünden, sondern weil sie verhindern wollte, dass der Bundesrat die Weideprämie blockiert. Das hatte nämlich dessen Agrarausschuss vorgeschlagen: Vorlage ablehnen! Es sollte auch weiterhin keine Weideprämie für Milchkühe geben.

Warum-Fragen

Ich habe Kirsten Wosnitza auf dem Hof Sophiental in Löwenstedt in Nordfriesland besucht, wo sie mit ihrem Mann Gerd Albertsen zusammen 120 Kühe hält, die vom Frühjahr bis zum Winteranfang Tag und Nacht draußen sind.

Der Hof ist eigentlich konventionell bewirtschaftet, diese Art der Weidehaltung ist aber heute schon ziemlich unkonventionell, denn gerade die sogenannten Konventionellen halten ihre Kühe meist im Stall.

Zuerst habe ich Kirsten Wosnitza mit Warum-Fragen gelöchert. Warum wollten einige Bundesländer die Weideprämie verhindern? Und warum gibt es sie nicht eigentlich längst und schon immer?

Fangen wir mit ihrer Antwort auf die zweite Warum-Frage an: Die Warum-Nicht-Frage sei eigentlich ganz typisch, sagte sie. »Das fragt sich nämlich jeder normale Bürger. Jeder, der das irgendwie gut findet, wenn er Milchkühe auf der Weide sieht, und ich kenne keinen, der das nicht gut findet. Keiner kann verstehen, dass in der Agrarförderung Milliarden ausgegeben werden und nichts ist dabei für die Milchkuh auf der Weide und die Bauern, die sie da hinbringen.«

Und warum ist das so? Weil sich die Milchviehhaltung sehr verändert hat. Kostengünstig und effizient soll sie sein. »Und kostengünstig produziert man vor allem, wenn der Teiler groß ist, wenn also die Kuh, die Kosten verursacht, möglichst viel Milch gibt.« Das ist erreicht worden über neue Stall- und Melktechnik und über den Umbau der Kuh selbst. Es sind Hochleistungskühe gezüchtet worden.

»Was sich mit der steigenden Milchleistung nicht verbessert hat, ist die finanzielle Situation der Bäuerinnen und Bauern. Auch das Höfesterben ist dadurch nicht aufgehalten worden.« Was aber aufgehalten wurde, das war die Weidehaltung. Und das liege einfach daran, dass man eine Hochleistungskuh auf der Weide nicht mehr satt bekomme und auch nicht mehr gesund erhalten könne.

Wie steht das Gras, was macht die Weide? Kirsten Wosnitza beim Kontrollgang mit einer der Färsen aus der neuen Mehrrassenkreuzung, die die Hochleistungskühe ersetzen soll. | Foto: Florian Schwinn

Kranke Hochleistungskühe

Wie jetzt – die Kühe werden krank, wenn wir sie auf der Weide halten, also so artgerecht wie nur irgend möglich? Ja, leider. Im Bestreben, immer mehr Milch aus der Kuh zu pressen, haben die Züchter Hochleistungstiere geschaffen, die mit ihrem natürlichen Futter, den Pflanzen von der Weide, nicht mehr satt wird.

Eine Hochleistungskuh der Rasse Holstein-Friesian braucht, vor allem in der Phase der sogenannten Hochlaktation, wenn sie direkt nach der Geburt eines Kalbs die meiste Milch gibt, unbedingt zusätzliches Kraftfutter, also etwa Maissilage und Getreide. Und das wächst nicht auf der Weide. Die Holstein-Friesian wurden ursprünglich in den USA gezüchtet − aus den importierten Rindern der Einwanderer aus Holstein und Friesland. Heute ist diese Hochleistungsrasse weltweit verbreitet, also sehr erfolgreich − und gleichzeitig das Paradebeispiel für eine Fehlentwicklung. Sie steht für den Versuch, das Tier an die industrialisierte Landwirtschaft anzupassen.

Milchbäuerin Kirsten Wosnitza stellt fest: »Ein richtiges Weidesystem, was auf eine hohe Futteraufnahme draußen auf der Weide baut, ist mit einer hochleistenden Kuh schwer zu managen.« Deshalb stellen Kirsten Wosnitza und Gerd Albertsen ihre Herde gerade um. Sie ersetzen die Holstein-Friesian durch Mehrrassenkreuzungen, die besser mit der Weide umgehen können, zwar nicht so viel Milch geben, dafür aber auch Fleisch ansetzen. Zurück zur Mehrnutzungskuh geht ihr Weg.

Raus lassen auf die Weide kann man natürlich auch die Holstein-Friesian, für ein paar Stunden vielleicht nur, damit sie danach dann ausreichend Zeit haben, sich im Stall satt zu fressen.

Für die Milchleistung wird also in Kauf genommen, dass die Kühe mit ihrem natürlichen Futter nicht mehr satt werden, dass sie nicht mehr dauerhaft artgerecht gehalten werden, und dass sie nurmehr ein kurzes Leben haben. Nach drei, vier Kälbern ist eine Hochleistungskuh dann nämlich schon mal ausgelaugt. Sie wird also nur fünf Jahre alt, und nicht fünfzehn, wie das bei anderen Kühen der Fall sein kann.

Gegen Weideprämie

Das war die Antwort auf die eine Warum-Frage, die nach dem bisherigen Fehlen der Weideprämie für Milchkühe und vor allem nach dem generellen Fehlen der Kühe auf den Weiden.

Die andere Warum-Frage war die nach dem Widerstand der Bundesländer gegen eine bundesweite Weideprämie. Warum wehren sich die Länder gegen eine unmittelbar einleuchtende Förderung der artgerechten Tierhaltung?

Nach langem Bohren und Verhandeln im Hintergrund hatte das Bundeslandwirtschaftsministerium den Vorschlag gemacht, die Förderung der Milchviehhaltung auf der Weide als Ökoregelung in die Agrarförderung einzubauen.

Im Juli hatte der Bundestag die bundesweite Weideprämie dann tatsächlich beschlossen. Im September stand sie beim Bundesrat auf der Tagesordnung. Und dessen Agrarausschuss hatte den Ländern vorgeschlagen, die Weideprämie abzulehnen. Wohl auch deshalb, weil die Bundesländer mit wenig Weidehaltung – im Osten und ganz im Süden der Republik – nicht wollten, dass die Länder im Nordwesten von Geldern profitieren, von denen die anderen nichts abbekommen. Für das sie im schlimmsten Fall womöglich sogar etwas abgeben müssten.

»Man opfert eine bundesweite Weideprämie, die dazu führen könnte, dass mehr Kühe auf der Weide laufen dem Gedanken: Unser Bundesland soll das Geld behalten. So funktioniert föderale Förderpolitik!« Solche banalen Probleme und Nickligkeiten seien es, die davon abhalten, dass die Weidehaltung für das belohnt wird, was sie leistet – für Tierwohl, Klimaschutz und Biodiversität.

Am Ende ist der Bundesrat der negativen Empfehlung seines Agrarausschusses nicht gefolgt und hat die Weideprämie passieren lassen. Warum das dann doch ging, weiß der Vorsitzender AbL, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Niedersachsen, Ottmar Ilchmann.

Es sei ganz banal, sagt er: »Das Geld, was für die Ökoregelung Weidehaltung benötigt wird, ist schlicht übrig. Die Teilnahme an den anderen Ökoregelungen ist nicht so hoch, wie man sich das vorgestellt hatte.« Unterm Strich blieben bis zu siebzig Millionen übrig, mit denen man jetzt die Weideprämie und eine zusätzliche Biodiversitätsregelung für Ackerland finanzieren kann.

In der wärmeren Jahreszeit sind seine Kühe ganztags draußen: Ottmar Ilchmann, AbL-Vorsitzender Niedersachsens und Milchbauer im Emsland. | Foto: Hof Ilchmann

Gestaltungsfragen

Nun kommt sie also, die bundesweite Weideprämie. Nur wie genau kommt sie? Das weiß noch niemand. Und es ist tatsächlich auch nicht einfach, das Beschlossene nun in die Tat umzusetzen.

Die neue Weideprämie wird eine sogenannte Ökoregelung. Das sind relativ neu eingeführte Regeln für zusätzliche Fördergelder aus der sogenannten ersten Säule. Diese stellt die Basisförderung der GAP dar, der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Die zweite Säule sind dann Sonderförderungen, die sich die Bundesländer ausdenken, um gezielt mehr für Gewässer-, Natur- oder Artenschutz zu tun.

Bei der Basisförderung der ersten Säule wurde früher einfach pro Hektar Fördergeld ausgegossen übers Land − mit der sprichwörtlichen Gießkanne. Wer viel Land hatte, bekam viel Förderung.

Das ist nun anders – die Basisförderung wurde gekürzt, und die zusätzlichen Fördergelder wurden an ökologische Sonderleistungen gebunden. Am bekanntesten wahrscheinlich die extra für die Insekten angelegten Blühstreifen am Ackerrand.

Die Blühstreifen sind auch gleich ein gutes Beispiel für die Bevorzugung der Ackerbauern bei den bisherigen Ökoregelungen. Auf der Weide blüht’s sowieso, die Weidekuh fördert die Biodiversität ohnehin − dafür gab es bislang keine Förderung.

Und wie sollte die neue bundesweite Weideprämie nun aussehen? » Die Ökoregelung müsste vom Anspruchsniveau her geringer sein, als die niedersächsische Sommerweideprämie«, sagt Ottmar Ilchmann.

Huch, weshalb will der AbL-Vorsitzende Ottmar Ilchmann ein geringes Anspruchsniveau bei der neuen Ökoregelung?

Weil es im Bundesland Niedersachsen seit dem vergangenen Jahr eine Förderung für die sommerliche Weidehaltung von Milchkühen gibt. Dafür müssen die Kühe zwischen Mitte Mai und Mitte September täglich sechs Stunden auf die Weide können. Für den kleinen Milchbauern Ottmar Ilchmann im Emsland leicht zu erfüllen, da seine Kühe von Mitte März bis Mitte September draußen sind, und das möglichst auch nachts.

Und warum muss nun aber die bundesweite Ökoregelung schlechter sein als die niedersächsische Weideprämie? Weil die EU sehr genau darauf achtet, dass es keine Doppelförderung gibt, dass also ein Landwirt nicht für die gleiche Leistung aus zwei Fördertöpfen Geld bekommt. Das Land Niedersachsen könnte seine Sommerweideregelung als zusätzliche Förderung also nur beibehalten, wenn die bundesweite Regelung im Anspruch schwächer wäre.

Im Rhythmus der Rinder

Auf dem Weg zur Weide schon mal etwas naschen: die Kattendorfer Milchkühe unterwegs. Zwei Mal täglich zum Melken heißt vier Mal täglich zur Weide und zurück. | Foto: Kattendorfer Hof

Besuch beim Kattendorfer Hof nördlich von Hamburg. Der Hof ist ein Demeter-Betrieb, den ich schon einmal ausführlich vorgestellt habe, auch im Podcast. Hier müssen Menschen und Tiere den Weg zur Weide und zurück täglich vier Mal laufen. Viele Milchviehbetriebe mit Weidegang machen sich das einfacher. Da bleiben die Kühe nachts im Stall und kommen nur tagsüber hinaus. In Kattendorf sind sie auch nachts auf der Weide, wie bei den konventionellen Betrieben von Ottmar Ilchmann und Kirsten Wosnitza auch.

Dennoch ist in Kattendorf alles anders. Der Hof ist eine Solidarische Landwirtschaft, die ihren Mitgliedern und den Menschen, die in den Hofläden in Hamburg einkaufen, ein möglichst breites Angebot macht. Entsprechend breit ist der Kattendorfer Hof aufgestellt – mit Gemüse- und Ackerbau, mit Schweinen und Rindern und mit eigener Milchverarbeitung bis zur Käserei.

Die Kuhherde ist allerdings der Nukleus des ganzen Betriebes. Um sie und den von ihr vorgegebenen Tagesverlauf gruppiert sich alles, sagt Hofgründer Mathias von Mirbach. »Es ist nicht egal, wann wir sie melken, das geschieht morgens und abends. Die Kühe haben einen sehr klaren Rhythmus, und das färbt auf den ganzen Betrieb ab, auch was die Pausenzeiten für uns angeht und die Mahlzeiten. Im Grunde bestimmt die Kuh den Rhythmus vom Tag und vom Jahr.«

»Und das macht sie in ihrer ganz eigenen Geschwindigkeit«, sagt die für die Herde verantwortliche Kattendorferin Juliane Tantau. Eilig haben sollte man es nicht, wenn man mit den Kühen zur Weide geht.

Der von der Kuh bestimmte Tagesablauf auf dem Kattendorfer Hof ist ein aufwendiger. Auch deshalb, weil die Weiden nicht direkt am Hof liegen, sondern die ganze Herde dafür über eine Straße muss. Das bedeutet Arbeit für mindestens zwei, weil beim Treiben über die Straße auf jeder Seite des Übergangs ein Mensch mit Flatterband absperren muss. Außerdem ist auch der restliche Weg zur Weide nicht eben kurz. Menschen und Kühe müssen ein gutes Stück laufen.

Robuste Milchkühe

Schon deshalb braucht es robuste Kühe mit gesunden Klauen. Juliane Tantau schwört auf ihre Schwarzbunten Niederungsrinder, eine alte norddeutsche Rasse, die bestens mit dem Weidegang zurechtkommt und die auch viel Milch aus dem sogenannten Grundfutter produzieren kann, also aus dem, was die Weide hergibt.

Die Kühe sind also nicht auf Kraftfutter angewiesen, von dem sie aber doch beim Melken etwas bekommen. Erstens weil sie dann ruhiger sind, weil beschäftigt, und zweitens, weil dieses Futter beim Ackerbau auf dem Hof anfällt. Nicht alles Getreide taugt schließlich zum Backen.

Lieber füttert Juliane Tantau ihre Kühe aber auch in den Übergangszeiten im Stall, wenn sie warten, bis alle gemolken sind, mit Kleegras. Das fällt bei dem Biobetrieb sowieso als Zwischenfrucht von den Äckern an. »Und die Kühe mögen das sehr. Außerdem kann die Käserei dann aus der Milch Käse herstellen, der länger lagert. Das wäre bei Silage eher nicht so.«

Und was ändert sich jetzt beim Kattendorfer Hof, wenn die bundesweite Weideprämie für Milchkühe kommt? Nichts, sagt Mathias von Mirbach, außer dass vielleicht ein Teil der zusätzlichen Arbeit für den täglichen Weidegang vergütet wird. »Das kommt natürlich darauf na, wie die Weideprämie gestaltet wird.« Bis jetzt sei das ja noch »die Kuh im Sack«.

Im Prinzip sei er aber sehr für die Weideprämie, »weil es viele Landwirte zum Nachdenken bringen könnte, wie sie Lösungen schaffen können, die artgerechteste Form der Rinderhaltung zu erhalten oder neu zu schaffen.«

Die Preisfrage

Ja, wie hoch wird sie wohl, wie wird sie gestaltet? Was verlangt die Förderung des Weidegangs für Milchkühe am Ende von den Bauern? Und was bringt sie ihm?

Ottmar Ilchmann rechnet das am Beispiel der niedersächsischen Sommerweideprämie vor. Die Förderung beträgt dort 75 Euro pro Kuh im Jahr. Als in Niedersachsen vor Jahren das Label Pro Weideland aus der Taufe gehoben wurde, rechneten die beteiligten Milchhöfe vor, dass sie für den Liter Weidemilch eigentlich mindestens fünf Cent mehr bekommen müssten. Selbst da, wo dezidiert Weidemilch vermarktet wird, können die beteiligten Betriebe von diesem Mehrpreis nur träumen. Und was bringt die Sommerweideprämie in Niedersachsen?

Es ist eine ganz einfache Rechnung, die er aufmacht: 75 Euro gibt es pro Kuh und Jahr. Das bedeutet bei einer Kuh mittlerer Milchleistung, die 7500 Liter im Jahr gibt, einen Cent pro Liter. »Dafür stellt keiner wieder auf Weidehaltung um, der seine Kühe aufgestallt hat.« Aber wenn das zusammenkomme mit ein paar Cent mehr von der Molkerei für die Vermarktung von Weidemilch, dann blieben vielleicht einige bei der Weidehaltung. »Und dann wäre schon viel erreicht!«

Man kann die Rechnung auch anders aufmachen. Am Beispiel der Weidehaltung des Kattendorfer Hofes. Wenn die bundesweite Weideprämie für Milchvieh genauso ausgestattet wäre wie die niedersächsische, dann würden bei siebzig Kühen für die tägliche Mehrarbeit an rund 240 Weidetagen 10,94 Euro pro Stunde anfallen. Das ist nicht einmal der Mindestlohn.

Um es mit Ottmar Ilchmann zu sagen: Dafür fängt niemand die Weidehaltung wieder an. Aber vielleicht lässt sich seine Hoffnung umsetzen, dass nicht noch mehr ihre Kühe aufstallen und nicht mehr hinauslassen auf die Weide.

Sie grasen nicht nur und geben Milch, sie sorgen auch für Klimaschutz, Bodengesundheit und Biodiversität. Und die Weidekühe gestalten die Landschaft. Artgerechte Rinderhaltung ist auch Erholung für Natur- und Menschen. | Foto: Florian Schwinn

Weide für Klima und Biodiversität

Es geht bei der Weidehaltung übrigens längst nicht nur um das Wohlergehen der Kühe. Es geht um unser aller Wohlergehen und letztlich um die Zukunft.

Das Grünland, die Weide, ist eine Kohlenstoffsenke. Unter einer Weide baut das Bodenleben deutlich mehr Humus auf, als in Ackerland oder im Waldboden. Leider hat das bundeseigene Thünen-Institut bei seiner Bodenerhebung nicht differenziert zwischen Mähwiese und Weide, weshalb wir nur einen Durchschnittswert für Grünland haben. Der liegt bei 135 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar. Das ist das von den Pflanzen aus der Luft geholte Kohlendioxid, das in der Atmosphäre sonst als Treibhausgas tätig wäre. Im Ackerboden sind es noch 96 Tonnen pro Hektar, im Waldboden nur 88 Tonnen.

Um das Thema mit dem Wald als Kohlenstoffspeicher gleich hier abzuschließen: Ja, auch in den Bäumen ist CO2 gespeichert, aber nur bis zum nächsten Sturm, bis zur nächsten Borkenkäferplage oder dem nächsten Waldbrand. Dann gibt der Wald mehr Kohlen-dioxid ab, als er speichern kann. Und genau das tut der viel gerühmte Deutsche Wald derzeit, wie die jüngste Bundeswaldinventur gerade festgestellt hat.

Das wäre die Sache mit dem Klimaschutz durch Weiden. Ebenso wichtig, aber bei den meisten Menschen, auch in der Politik, nicht auf dem Radar, ist die Biodiversitätskrise, sagt Kirsten Wosnitza.

Ihre intensive Milchviehbeweidung sei zwar nicht der große Bringer bei der Vielfalt der Pflanzen auf der Weide. Das sei immer noch viel mehr als auf einer Mähwiese. Aber was die Insekten und die von ihnen lebenden Tiere angeht, sei auch eine intensive Weidehaltung vorbildlich. Leider gebe es dazu viel zu wenig Forschung. »Viel Wissen über die Weidehaltung ist in den letzten Jahren auch verloren gegangen. Wir haben hier in Schleswig-Holstein eine Art Selbsthilfegruppe zum Lernen und Diskutieren von Weidemanagement gegründet.« Unterstützung gebe es dafür keine.

Ein wenig Forschung gibt es schon, zum Beispiel die über Dungkäfer und Dungfliegen. In einem einzelnen Kuhfladen wurden schon über 4000 Insekten-Individuen gezählt. Nur in dem Dung-haufen selbst, die weggeflogen sind, als die Forscher sich näherten, sind natürlich nicht mitgezählt.

Jedes Weiderind produziert mit seinem Dung Insekten, die zusammen in jedem Jahr ein Fünftel des Gewichts des Rindviehs auf die Waage bringen. Und Insekten sind sehr leicht – das sind also sehr viele Leben, die eine Kuh da in die Landschaft scheißt. Und dazu ist es noch sehr vielfältiges Leben.

Am Ende sieht die Bilanz dann so aus: Eine einzelne Weidekuh produziert jedes Jahr allein mit ihrem Dung Insekten mit einem Lebendgewicht von 120 Kilogramm. Diese wiederum ernähren Wirbeltiere wie Frosch, Wiesenvogel oder Storch mit einem Lebendgewicht von zwölf Kilo. Das sind dann zum Beispiel 200 Grasfrösche, 25 Stare, Bachstelzen oder Rotschwänzchen und dreizehn Reiher oder Störche. Wenn die Kuh im Stall steht, gibt es all dieses Leben nicht.

Und was heißt das jetzt für uns und für diese Kolumne, die ja schließlich »Führerschein für Einkaufswagen« heißt?

Das heißt, dass wir mit dem Einkaufswagen mitentscheiden können und unbedingt auch sollten, dass wieder mehr Kühe auf die Weide kommen. Einfach Weidemilch kaufen zum Beispiel, oder Fleisch vom Weiderind. Auch das gibt es zum Teil schon so gelabelt.