Im Februar 2023 wurde Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Jahr alt – und ich habe an dieser Stelle zum ersten Mal getitelt, wie damals auch viele andere: „Bio in der Krise“. Auf den Krieg folgte eine Energiekrise – hauptsächlich bei uns in Deutschland, weil wir uns abhängig gemacht hatten vom russischen Erdgas. Die steigenden Energiepreise zogen andere Preise nach. Die Menschen bangten, wie sie wohl durch den Winter kommen würden. Damals mussten wir feststellen: Ein Volk hat Angst und geht zum Discounter. Deutschland spart beim Essen.
Und wie ist es ein Jahr später, nachdem wir den zweiten Winter ohne Black-Out und kalte Füße hinter uns haben? Das war die Frage, der ich jetzt nachgegangen bin, zum Teil bei denselben Betrieben wie vor einem Jahr. Ein Update also dieser Blog und der zugehörige Podcast. Wie steht es um die Bio-Branche?
Kassenzettel ist Stimmzettel
„Jeder Kassenzettel ist ein Stimmzettel“, sagte Jasper Metzger-Petersen vor einem Jahr. Jeder Kassenzettel ist auch eine Order: „Was da draufsteht, das wird produziert.“ Und wenn da billig draufsteht, dann werden Billiglebensmittel produziert. Irgendwo, denn dann zählen weder regional, noch fair, noch Tierwohl. Der Betriebsleiter des Backensholzer Hofs, der mit der Milch von fünfhundert Kühen besten Bio-Käse herstellt, hatte diese Feststellung mit einem Appell an uns alle verbunden: „Am Ende müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder sagen: Gut, ich nehme das Heft wieder in die Hand. Wir müssen uns jetzt alle nach dieser Krise wieder schütteln und sagen: Komm, jetzt geht’s wieder nach vorne!“
Und: Haben wir uns geschüttelt und unsere Verantwortung wieder in die Hand genommen und wieder mit kühlem Kopf und Weitsicht eingekauft? Von oben betrachtet, mit dem Überblick über die gesamte Bio-Branche in Deutschland, sieht es fast so aus. Tina Andres, die Vorstandsvorsitzende des BÖLW, des Bundesverbandes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, hat den Überblick und sagt, dass der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln und deren Absatz sich stabilisiert haben: „Die Zahlen können sich sehen lassen.“
Tatsächlich zeigt das Zahlenwerk des BÖLW sogar einen Zuwachs bei der ökologisch bewirtschafteten Fläche im vergangenen Jahr. Trotz Krise wuchs die Biofläche in Deutschland um 4,3 Prozent. Die Nische ist größer geworden: 11,8 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland werden jetzt ökologisch bewirtschaftet. Diese Zahlen sagen allerdings nicht, was genau an Bio-Lebensmitteln am Ende wo gekauft wird und wer davon profitiert.
Im ersten Jahr der vom russischen Krieg ausgelösten Krise waren die Profiteure eindeutig die konventionellen Supermarktketten und die Discounter. Die Verbraucherinnen und Verbraucher kauften schon weiter Bio – aber halt woanders. Im zweiten Kriegs- und Krisenjahr erholten sich die Umsätze dann aber auch bei den reinen Bio-Supermärkten und den kleineren Läden des Naturkostfachhandels. Aber erstens bedeutet ein Plus beim Umsatz angesichts gestiegener Preise nicht unbedingt auch einen Zuwachs beim Absatz, und zweitens erlebten dieses Umsatzplus einige der kleineren Läden gar nicht mehr. Sie haben inzwischen zugemacht.
Warten auf Erholung
Und auch die großen Direktvermarkter sind weiterhin im Krisenmodus. So wie Querbeet in der hessischen Wetterau mit dem riesigen Absatzgebiet Rhein-Main. „Ich lese das auch in der Fachpresse und den Mitteilungen der Bioverbände, dass sich die Branche erholt habe“, sagt Querbeet-Gründer und Geschäftsführer Thomas Wolff, „aber ich kann das für uns nicht bestätigen und kenne auch keinen vergleichbaren Betrieb, dem es besser ginge.“
Der Betrieb hat vor über dreißig Jahren mit dem Verkauf des eigenen Gemüses über Wochenmärkte begonnen und ist inzwischen Vermarkter eines ganzen Netzwerks von regionalen Biobetrieben. Querbeet ist seit langem auch ein Lieferservice, der seine Biokiste zum Vollsortiment ausgebaut hat. Die weit über zweitausend Kundinnen und Kunden können sich also auch Biokosmetik, Putzmittel oder Toilettenpapier nach Hause liefern lassen. Ich habe Querbeet hier und im Podcast übrigens schon einmal vorgestellt – zum dreißigjährigen Jubiläum, das mitten in der Bio-Krise stattfand.
Mitten in der Krise hat der Betrieb sein Sortiment noch ausgebaut und vermarktet jetzt zusätzlich auch noch die Ware von vier befreundeten Gärtnereien. Was Querbeet liefert, wäre genau das, was die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher in den diversen Umfragen immer wieder fordern: bio und regional. „Ja, von Regionalität sprechen alle weiterhin,“ sagt Thomas Wolff. „Ich lese und ich höre das. Aber sie sagen es nur, sie kaufen es nicht.“ Sie gehen stattdessen zum Discounter und kaufen irgendein Bio von irgendwo. „Auch die großen Ketten und die Discounter schreiben sich ja Regionalität auf die Fahne. Sie haben auch einzelne Betriebe, deren Ware sie anbieten, aber das meiste kommt dann doch ganz woanders her.“
In der Krise, in der die Käuferinnen und Käufer wieder sehr genau auf die Preise schauen, haben einige der konventionellen Supermärkte sogar regionale Bio-Zulieferer wieder aus dem Regal geworfen. So erging es Bio-Höfen bei Lübeck. Da waren bei Edeka die teureren Eier der Zweinutzungshühner aus der Ökologische Tierzucht plötzlich nicht mehr gefragt. Man befände sich im Preiskampf mit den Discountern war die Ansage. Da muss dann wohl der EU-Bio-Standard reichen.
Das erzählt Klaus Lorenzen, wie Tina Andres Geschäftsführer von „Landwege“. Die Genossenschaft ist ein regionaler Verbund aus dreißig Öko-Höfen und fünf Bio-Supermärkten mit angeschlossenen Bistrots in Lübeck und Bad Schwartau. Dazu gehören auch eine Bäckerei und eine Großküche, die die Bistrots bekocht, aber auch die sogenannte Glasware herstellt. Das sind Suppen, Fonds, auch Fertiggerichte für die Märkte.
Genau wie Querbeet ist auch Landwege noch nicht wieder auf den grünen Zweig gekommen, von dem Mit-Geschäftsführerin Tina Andres für die gesamte Branche spricht. Klaus Lorenzen stellt fest, dass auch Landwege noch nicht wieder bei den Umsätzen ist, die vor der Pandemie erreicht wurden, schon gar nicht bei der Absatzmenge. Aber es gibt auch positive Trends: „Nach Corona gehen die Leute wieder essen, die Bistrots leben wieder auf. Die eigene Verarbeitung und die eigene Produktion der Höfe, der Bäckerei und der Küche haben uns geholfen. Aber es gab auch deutliche Kaufzurückhaltung bei hochwertigeren Lebensmitteln und verrückterweise auch Abwanderungen bei Obst und Gemüse, obwohl da die Preise weitgehend stabil geblieben sind.“
Klein ist teuer, groß ist günstig.
Das Verrückte, was Klaus Lorenzen da anspricht, ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher abgewandert sind zu den Supermarktketten und Discountern, obwohl gerade dort die Lebensmittelpreise deutlich erhöht worden waren, während der Naturkostfachhandel die Preise vergleichsweise moderat angehoben hatte. Das verrückteste Beispiel ist der Preis für Möhren, der von den Discountern im Herbst 2022 um 45 Prozent angehoben wurde, bei konventionellen Möhren sogar um sechzig Prozent. Beim Naturkosthandel waren es ganze zwei Prozent. Bei Milch und Milchprodukten war die Preisentwicklung ähnlich. Zwischenzeitlich kostete die Bio-Milch beim Discounter mehr als die Markenware im Bioladen. Trotzdem blieben bei den kleinen Bioläden die Kunden weg.
Es ist wohl gar nicht so, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich aktiv Preise vergleichen. Sie kaufen bei den großen Vier des Lebensmitteeinzelhandels, weil die für preiswerte Ware stehen und bei den Discountern, weil sie ja zu wissen glauben, dass es dort billiger ist. Das bestätigt Silja Knudten, die einen großen Bio-Supermarkt in der nordfriesischen Kreisstadt Humus betreibt und einen kleinen Bioladen im Städtchen Bredstedt hatte. „Die Preise waren in beiden Läden gleich, aber der kleine wurde als teuer, der große als preiswert empfunden.“
Nicht nur deshalb hat sie den kleinen Bioladen inzwischen – nach 23 Jahren – endgültig zugesperrt. Sie sah ihn in naher Zukunft in aussichtsloser Situation. In dem kleinen Städtchen werden gerade zwei Supermärkte neu gebaut. „Und die haben am Ende das gleiche Marken-Sortiment wie ich und können es preiswerter anbieten als ich mit meinen 75 Quadratmetern Verkaufsfläche.“ Inzwischen haben Edeka und Lidl auch die Waren der Bioanbauverbände und der Naturkostfachhandel könne, was das angeht, gar nichts Besonderes mehr bieten.
Silja Knudten ist damit gar nicht unzufrieden. Sie hat ihren Bioladen in der Kleinstadt im Jahr 2000 aufgemacht, weil es dort nichts gab. „Ich wollte mit Bio für alle die Welt besser machen. Dann kann ich mich doch jetzt zurücklehnen und sagen: Was den Handel angeht ist uns ein gutes Stück davon gelungen.“ Wenn sie jetzt als Unternehmerin mit einem kleinen Laden noch überleben wolle, müsste sie weitergehen und sich etwas Neues einfallen lassen. Sich spezialisieren auf ein bestimmtes Warensegment, was in der Kleinstadt eher nicht gelingen dürfte. „Oder soll ich etwas kochen für die Leute?“
Neue Ideen
Was kochen für die Leute wäre schon mal keine schlechte Idee. Das beweist die Strategie der Landwege-Genossenschaft in Lübeck. Dort ist vor einigen Jahren die Großküche aufgebaut worden, die heute die Bistrots mit Essen und die Märkte mit Eingemachtem versorgt. Das hat zur Folge, dass Landwege den Mitgliedsbetrieben immer das ganze Tier abnehmen kann, weil alles verarbeitet wird – from Nose to Tail, von der Nase bis zur Schwanzspitze. Und ihr Brotgetreide können die Höfe an die eigene Bäckerei liefern.
„Wenn wir nur Handel betreiben würden“, sagt Klaus Lorenzen, „hätten wir deutlich größere Schwierigkeiten.“ Durch die eigene Produktion der zur Genossenschaft zählenden Höfe und die eigene Bäckerei und Großküche liegt der Eigenanteil der verkauften Ware in den Landwege-Märkten und -Bistrots bei über vierzig Prozent. Das bedeutet einerseits, dass die Wertschöpfung deutlich höher ist als beim reinen Ein- und Verkauf. Andererseits bedeutet das, dass bei Landwege tatsächlich Regionalität gehandelt wird.
Ohne neue Ideen kommen aber auch große Genossenschaften wie Landwege nicht durch die Krise, die scheinbar nicht enden will. Die nächste Idee zur Kundenbindung ist das Beitragsmodell, das inzwischen auch kleinere Bioläden auf dem Land ausprobieren. Man zahlt monatlich einen Beitrag und kann dann vergünstigt einkaufen. „Wobei die Idee so neu gar nicht ist“, sagt Klaus Lorenzen, „wir hatten in den Neunziger-Jahren schon einmal ein genossenschaftliches Beitragsmodell, bei dem Mitglieder einen Monatsbeitrag zahlten und dann mit Rabatt einkaufen konnten.“ Das kommt jetzt wieder. Ein Umfrage bei Mitgliedern und Kunden im vergangenen Jahr bestärkt die Landwege-Crew bei diesem Vorhaben. „Wir haben festgestellt, dass Viele offenbar auf der Suche sind nach solchen Bindungsmodellen.“ Er nennt die Idee „SoLaWi light“. Man erwirbt nicht gleich einen Ernteanteil, wie bei einer Solidarischen Landwirtschaft, sondern erst einmal nur einen Rabatt.
Solidarische Qualität
Und wie steht es bei einer echten Solidarischen Landwirtschaft? Gibt es da den Trend, sich zu binden tatsächlich, sind da in der Krise neue Mitglieder in die Gemeinschaft gekommen? Eher nicht, sagt Mathias von Mirbach, der Gründer des Kattendorfer Hofes, nördlich von Hamburg. Von siebenhundert Ernteanteilen, die der Hof vergeben könnte, sind derzeit nur 615 gezeichnet.
Der Kattendorfer Hof, eine der ältesten Solidarischen Landwirtschaften im Land, besteht eigentlich aus zwei Höfen – dem Ursprungshof in Kattendorf und dem vor einigen Jahren dazugekommenen Gut Neverstaven in der Nähe von Bad Oldesloe. Zusammen bewirtschaftet der Demeter-Betrieb fast 450 Hektar. Dazu gehören auch fünf Hofläden in der Stadt, vier davon in Hamburg. Ich habe das Projekt schon einmal hier im Blog und im Podcast vorgestellt.
Auch Mathias von Mirbach stellt fest, dass die Umsatzzahlen aus der Zeit vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht sind. Wobei die Entwicklungen sehr unterschiedlich sind. Bei einem der älteren und gut eingeführten Hofläden im eigentlich florierenden Hamburger Bezirk Eimsbüttel liegen die Wochenumsätze noch deutlich unter denen des Jahres 2019. Ähnliches gilt für den später dazugekommenen Hofladen in der Kleinstadt Bad Oldesloe. Der winzige Laden mit nur dreißig Quadratmetern Verkaufsfläche im gut situierten Hamburger Stadtteil Othmarschen dagegen, aufgemacht mitten in der Pandemie, „hyperventiliert“, wie es Mathias von Mirbach nennt.
Und noch eine Entwicklung hebt er positiv hervor: den Markt. „Sobald wir genügend Gemüse haben gehen wir da an einem Markttag mit über 3000 Euro vom Platz.“ Gemüse, Molkereiprodukte und Fleisch aus eigener Produktion bietet der Marktstand der Kattendorfer. Nur Eier und Brot werden von befreundeten Produzenten dazu genommen. „Wir haben eine große Stammklientel, die zuerst zu uns kommt. Und erst, wenn sie bei uns das Gesuchte nicht finden, gehen die Leute zu anderen Ständen“, sagt Lukas Fröhlich, der für den Feldgemüseanbau zuständig ist.
Der Markt in Hamburg, den die Kattendorfer beschicken, ist eigentlich als Erzeugermarkt gedacht gewesen. Die Idee aber hat sich in den letzten Jahren ein wenig aufgelöst, so dass nun an vielen Ständen auch gehandelte Ware ausliegt. „Und das ist unser Vorteil“, sagt Lukas Fröhlich, „denn der Unterschied ist sicht- und vor allem schmeckbar.“ Alles, was gehandelt wird, müsse erst einmal sortiert und kommissioniert und verteilt werden und habe am Ende ordentlich Kilometer gemacht.
„Wir haben durch die reine Eigenvermarktung dagegen maximal kurze Ernte- und Transportwege. Außerdem achten wir im Anbau schon bei der Sortenwahl auf Geschmack. Da verzichten wir im Zweifel auch auf Ertrag, weil die besseren Sorten nicht unbedingt die ertragreichen sind.“ Durch den Rückhalt der Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft können es sich die Kattendorfer leisten, auf Geschmack zu achten und samenfestes Saatgut einzusetzen. Und das macht am Ende den Erfolg am Marktstand aus, weil da die Kundinnen und Kunden tatsächlich vergleichen. „Viele Kollegen sind halt auf das letzte Gramm Zuwachs angewiesen und haben dadurch gar nicht die Möglichkeit, ihre Gemüsesorten nach Geschmack zu wählen.“
Strukturfragen
Wie sagen die Kollegen aus den Wirtschaftsredaktionen bei solch gemischten Nachrichten immer gerne: Die Branche ist vorsichtig optimistisch. Wobei eine Sache in ihren Auswirkungen noch nicht wirklich klar ist: Was wird aus den von den Direktvermarktern und dem Naturkosthandel aufgebauten regionalen Strukturen des Bioanbaus in Deutschland? Was bleibt davon übrig, wenn die großen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels übernehmen?
Thomas Wolff von Querbeet sieht die regionalen Strukturen gefährdet und konstatiert eine Industrialisierung auch der Produktion von Biolebensmitteln. Auch im Bioanbau finde eine Konzentration statt, eine Form der Industrialisierung mit immer mehr Arbeitsteilung. Immer mehr Betriebe konzentrieren sich im Anbau auf wenige Kulturen. Die Vielfalt auf den Äckern schwinde. „Das kann nicht im Sinne einer breit aufgestellten Kreislauf-Biolandwirtschaft sein. Und es kann letztlich auch nicht im Sinne von uns allen sein, dass all das verloren geht, was Bio an Klimaschutz und Artenvielfalt aufgebaut hat.“
Die Leute müssten sich bewusst sein, was sie anrichten, wenn sie ihr Bio von sonst woher dauerhaft woanders kaufen. „Da steht eine ganze Struktur, die Bio in den letzten dreißig, vierzig Jahren aufgebaut hat, auf der Kippe.“ Auch im Biobereich könnten die kleinen Betriebe in Zukunft untergepflügt werden.
Tina Andres fordert, dass sich die Politik endlich um den Mittelstand kümmert, ohne den bäuerliche Familienbetriebe aufgeschmissen sind. Wenn es wegen überbordender und vor allem nur auf die Industrie zugeschnittener Bürokratie keinen Schlachter mehr gibt auf dem Land und keinen handwerklich arbeitenden Bäcker, brauchen die kleineren Biobetriebe nämlich erst gar nichts zu produzieren.
Sie macht das am Beispiel zweier Mitgliedsbetrieben der Genossenschaft Landwege fest, die die Märkte mit Joghurt und Quark versorgen. „Zwei Qualitäten, die komplett unterschiedlich schmecken.“ Was ja gerade ihre besondere Qualität ausmache. Aber mit den Mengen, die da zur Verfügung stehen, könne man ja nicht mal eine Woche lang ein Lidl-Regal in Lübeck füllen. „Das sind keine Mengen, mit denen Discounter arbeiten können. Das passt nicht in deren Bestellstrukturen.“
Noch ein Beispiel: „Eine Getreideart, die unüblich ist in der industrialisierten Lebensmittelproduktion. Damit kann unser Bäcker arbeiten, aber doch keine der digitalisierten Backstraßen.“ Die Biobetriebe fänden für ihre besonderen Getreideernten oft nicht einmal mehr eine Mühle, die sie ihnen abnehmen wolle oder könne, weil sie auch da nicht in die industrialisierten Abläufe passen. Der Biobäcker von Landwege dagegen komme am Ende auch mit den stark schwankenden Roggenqualitäten des vergangenen Jahres zurecht.
Fokus Mittelstand
Eine bäuerliche Landwirtschaft, die viele unterschiedliche Kulturen anbaut, brauche als mittelständische Struktur auch ein solches Gegenüber in der Verarbeitung der Lebensmittel. Und die Industrialisierung nun auch der Biobranche, um sie hineinzuquetschen in die Industriestrukturen, würde bedeuten, dass wir alles verlieren, was der kleine Biosektor in den letzten Jahrzehnten gut gemacht hat – bei der Bekämpfung der Klimakrise und der Bewahrung von Kulturlandschaft, Biodiversität und der lebendigen Böden.
„Wenn man sich anschaut, was wir für Verordnungen zu erfüllen haben, was für Gesetze erlassen werden, Hygienemaßstäbe, Berichtspflichten – man kann nehmen, was man will: Alle Vorgaben sind immer ausgerichtet auf industrialisierte Strukturen. Daraus entstehen Belastungen für Mittelständler, die kaum mehr zu wuppen sind.“ Tina Andres sagt, aus ihrer Perspektive als Geschäftsführerin von Landwege habe sich der Verwaltungsaufwand allein in den letzten fünf Jahren mindestens verdreifacht. „Was wir brauchen sind echte Förderprogramm für ländliche Räume und mittelständische Unternehmen. Und da brauchen wir kein Klein-Klein, sondern der Fokus der Wirtschaftspolitik muss mal wieder tatsächlich auf den Mittelstand gerichtet werden.
In den Sonntagsreden ist das ja immer zu hören, dass der Mittelstand die Stütze der deutschen Wirtschaft sei. In der Realität des politischen Alltags aber werden allein industrielle Strukturen gefördert. Die hätten ja auch die stärkere Lobby. „Da brauchen wir tatsächlich nochmal ein großes Umdenken!“
Verbrauchermacht
Mit einem Umdenken der Wirtschaftspolitik wird es aber nicht getan sein, wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher nicht auch umdenken und vor allem umschwenken. Auch wir müssten mal nicht nur sonntags sagen, wir wollen mit unserem Einkauf regionale Biostrukturen stützen und die Bauern und Verarbeiter vor Ort. Wir müssten das dann werktags auch umsetzen. Wie hatte es Jasper Metzger-Petersen gesagt: „Jeder Kassenzettel ist ein Stimmzettel. Das ist ein ganz einfacher Zusammenhang: Alles, was wir kaufen, wird produziert. Wenn wir darauf achten, dass es fair und nachhaltig produziert ist, dann wird auch weiter fair und nachhaltig produziert. Und wenn wir darauf achten, dass es von hier kommt, dann wird es auch hier produziert. Und wenn wir darauf achten, dass diejenigen, die das produzieren, ihre Mitarbeiter und ihre Tiere gut behandeln, dann wird auch das geschehen.“