Es ist lange her, dass ich hier im Führerschein für Einkaufswagen zuletzt von der Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof berichtet habe. Eigentlich zu lange, denn ich hatte ja versprochen, das große Agrarwende-Projekt der Hamfelder zu begleiten und regelmäßig davon zu erzählen. Aber als ich das zuletzt tat, begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, und seitdem ist vieles anders, wie wir alle wissen. Der Markt für Bio-Lebensmittel ist eingebrochen, die Preise fürs Bauen sind rasant gestiegen. Und genau das macht alles schwieriger, was sich die Bauerngemeinschaft vorgenommen hatte: Sie wollte mit dem Geld aus dem Verkauf ihrer Biomilch die beteiligten Höfe für mehr Tierwohl umbauen. Geht das jetzt noch?
Wie geht es weiter? Das ist für viele Menschen in der Landwirtschaft die Frage. Vor allem im Biosektor, der in der Corona-Krise boomte und seit dem Ukraine-Krieg kriselt. Seit wir Verbraucherinnen und Verbraucher vermehrt beim Discounter einkaufen, weil es dort vermeintlich preiswerter ist, haben die Bioprodukte das Nachsehen. Vor allem, wenn sie nicht beim Discounter vermarktet werden. Zu diesen gehören die Produkte der Molkerei Hamfelder Hof. Übrigens auch der neue Haferdrink aus der Bauern-Meierei. Der wäre eigentlich ein eigenes Thema, schon weil eine Molkerei hier ein veganes Produkt kreiert hat. Das natürlich eigentlich gar nicht vegan ist, weil das, was übrigbleibt, wenn man Hafer zu etwas Milchähnlichem macht, nichts anderes als Futter für die Kühe ist. Und das, was übrigbleibt, ist 95 Prozent vom Hafer.
Kalb und Kuh
Ich bin noch einmal zum Hof der Familie Tams auf der Ostsee-Halbinsel Angeln gefahren. Der liegt inmitten von Weideland beim Dörfchen Ausacker südöstlich von Flensburg. Das ist die Gegend, aus der die robusten Angler-Sattelschweine kommen, und auch die rote Angler-Kuh. Eine einstmals nur regional gezüchtete Rinderrasse, die inzwischen weiter verbreitet ist. Hier laufen an diesem Abend, wie an allen Abenden zuvor und auch an jedem Morgen, 140 Kühe nacheinander in den Melkstand. Immer sechs auf jeder Seite stellen sie sich ruhig auf und warten auf die Hände der Melkerin Anja Zaremba. Sie ist eine von zwei Angestellten des Hofes. Sie melkt immer abends, sechs Tage die Woche. Die Kühe kennen ihre Melkerin, sie warten geduldig, bis sie die Zitzen der Euter gereinigt und die Melkbecher der Maschine angesetzt hat. Dann fließt die Milch.
Die Frage ist nur: Wohin fließt sie? Kommt sie bei uns an, bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern? Wird sie am Ende gekauft? Das wäre sehr wichtig für ein ganz besonderes Projekt, das sich die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof vorgenommen hat: Die Umstellung auf die sogenannte Kuhgebundene Kälberaufzucht und die Ausweitung des Weidegangs für alle Tiere.
Wenn die Milchbäuerinnen und Milchbauern ihren Kühen deren Kinder nicht mehr direkt nach der Geburt wegnehmen, dann nennt sich das „Kuhgebundene Kälberaufzucht“, oder auch muttergebundene oder adulte Kälberaufzucht, je nachdem, ob es nur die leiblichen Mütter sind oder auch Ammen, die die Kälber aufziehen. Lauter Spezialbegriffe, die sich die Landwirtschaft ausdenken musste, weil der seit Jahrzehnten eingeübte Normalfall in der Milchviehhaltung ein unnatürlicher ist: Die Kälber werden den Müttern nach der Geburt weggenommen und mit dem Nuckeleimer großgezogen, meistens von der Bäuerin.
Das wollen die Bauern ändern, die sich zur norddeutschen Gemeinschaft Hamfelder Hof zusammengeschlossen haben und ihre eigene Meierei gebaut haben. Damals, noch während der Corona-Pandemie, verlangten sie zwanzig Cent mehr für den Liter Milch und druckten ihr Programm auf die Milchtüte, die ja eigentlich ein Karton ist: „Es ist riskant,“ stand dort, und: „Wir wagen es trotzdem.“
Krieg nach Krise
„Das ging auch alles sehr gut“, erzählt Johannes Tams, der Altbauer auf dem Hof beim Dörfchen Ausacker und einer der Bauern im Beirat der Molkerei Hamfelder Hof. Angefangen hatte die Bauerngemeinschaft ihr großes Projekt in einer Zeit, als Bio boomte. Corona hatte die Menschen nach Hause gebracht. Es wurde gekocht und die Lebensmittel, die in der Küche landeten, hatten plötzlich einen eigenen Wert. „Wir waren ganz erstaunt und sehr erfreut“, sagt Johannes Tams. Vielleicht wäre das Projekt der Hamfelder auch ohne Corona gut gestartet, aber so fulminant wahrscheinlich nicht. Jedenfalls hatte die Molkerei keinerlei Umsatzeinbruch, nachdem sie den Milchpreis erhöht hatte.
Dann kam der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Und plötzlich war alles anders, die neue Krise setzte neue Maßstäbe. Und wie alle anderen im Biobereich hatten auch die Hamfelder einen Einbruch. Der lag bei gut zwanzig Prozent. Aber Johannes Tams, der ein unverbesserlicher Optimist ist, sagt auch gleich dazu: „Das ist überwunden. Inzwischen läuft es wieder.“
Als wir zum ersten Mal über das millionenschwere Projekt des Umbaus der Betriebe der Bauerngemeinschaft sprachen, hat er im Prinzip den berühmten Satz Erich Kästners zitiert: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Er sagte es etwas anders: „Wenn du auf die Politik wartest, dann stehst du vor der roten Ampel!“
Nicht mehr warten wollen die Bäuerinnen und Bauern der Gemeinschaft Hamfelder Hof. Die besteht zurzeit aus vierzig Familienbetrieben in Norddeutschland, die sich 2015 eine eigene Meierei gebaut hat. Die Höfe und die Molkerei sind Bioland-zertifiziert. Dann hat sich die Bauerngemeinschaft nach langer Diskussion eigene Regeln auferlegt und ihr eigenes Agrarwende-Projekt gestartet. Dazu gehört, dass die Kälber in Zukunft nicht mehr von den Müttern getrennt werden, dass die Nachzucht nicht mehr abgegeben, sondern möglichst am Hof aufgezogen wird, und dass jeder Hof ein eigenes Naturschutzkonzept erarbeitet und dafür zehn Prozent seiner Fläche zur Verfügung stellt. Zusammengefasst ist das genau das, was die Politik seit Jahren verspricht und nicht macht: Mehr Tierwohl und mehr Biodiversität. Während die Hamfelder vorangehen, hat die Borchert-Kommission, das sogenannte „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die Arbeit eingestellt, weil keinerlei Umsetzung der in Jahren erarbeiteten Vorschläge in Sicht ist.
Und wie sieht das nun in Zeiten des Krieges mit der Umsetzung der selbst erarbeiteten Vorschläge der Bauerngemeinschaft aus? Was lässt sich heute noch finanzieren mit den zwanzig Cent mehr pro Liter Milch, die die Käuferinnen und Käufer inzwischen wieder bereit sind zu zahlen?
Kälber Kosten
Der Hof der Familie Tams bei Ausacker ist einer der großen in der Bauerngemeinschaft – seit anderthalb Jahren eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, seit Sohn Hauke mit eingestiegen ist und Betriebsleiter wurde. 140 Anglerkühe und Rotbunte werden gemolken, dazu kommen immer nochmal zwanzig, die gerade keine Milch geben. Dazu die Nachzucht, die inzwischen auf einer zweiten Hofstelle ausgelagert ist. 220 Hektar Land werden bewirtschaftet. Davon sind 60 Hektar Dauergrünland und 60 Hektar Kleegras. Dazu kommen noch einmal 40 Hektar Kleegras bei drei benachbarten Biobetrieben, die keine eigenen Tiere halten und mit denen die Tams deshalb eine Futter-Mist-Kooperation pflegen.
Trotz dieser Größe muss für die Kuhgebundene Kälberaufzucht neu gebaut werden – eine Mutter-Kind-Station sozusagen. Johannes Tams nennt das einen Strohspielplatz. Geplant war ein Teilabriss des alten Laufstalls der Kühe und ein neuer großer Stall mit Platz für Kühe und Kälber. Das sollte 120.000 Euro kosten. Inzwischen ist das kein eigens für diesen Zweck konstruierter Stall mehr, sondern eine Holzständerhalle „von der Stange“, wie Johannes Tams das nennt. Kosten jetzt: 300.000 Euro. Baubeginn im Frühjahr.
Froh sind die Tams, dass sie einen großen Klotz des gesamten Investitionsprogramms schon vom Bein haben: der neue Gülletank ist schon lange fertig. Das große Lager für den Rinderdung war nötig, weil in Zukunft an die neuen Stallungen auch Laufflächen draußen angeschlossen sein sollen, so dass die Tiere raus können, auch wenn die Witterung gerade keinen Weidegang möglich macht. Und diese Flächen müssen an die hofeigene Entwässerung angeschlossen sein. So ist die Vorschrift.
Was dann noch fehlt, ist ein ganz neuer Kuhstall, der dann auch den Vorgaben entspricht, die sich die Bauerngemeinschaft selbst auferlegt hat: mit noch mehr Platz, als das die Biostandards und die strengeren Regeln des Anbauverbandes Bioland vorsehen.
Kälber Aufzucht
Schon bevor der ganz große Umbau fertig ist, verändert sich die Arbeit auf dem Hof. Dann nämlich, wenn die Kälber im neuen Stall auch im Winter mindestens drei Monate lang bei den Müttern oder Ammen bleiben können. Dann fällt das Schleppen von Milcheimern fort. Die Arbeit verlagert sich in Richtung Beobachtung: Wie geht es den Neugeborenen? Kommen sie mit ihrer Mutter zurecht, oder muss vielleicht eine andere Mutter ein zweites Kalb mit übernehmen, dann als Amme. Wann können die Kleinen mit ihren Müttern oder Ammen dann im Frühjahr hinaus auf die Weiden?
Die ersten Erfahrungen damit sind durchweg positiv, sagt Johannes Tams. Die Kälber, die von den Kühen aufgezogen werden, sind viel robuster als die am Nuckeleimer. Also können die Kälber mit den Kühen auch früher hinaus auf die Weide. „Dann machen uns die Kälber schon mal weniger Arbeit“, sagt Johannes Tams. „Wir geben die Arbeit der Aufzucht ab an die Kuh.“ Und er ist sich sicher, dass die so aufgezogenen Kälber sich auch als erwachsene Kühe anders verhalten werden. „Wir bekommen da ein sozial ganz anders eingebundenes Tier, mit dem wir nochmal besser umgehen können.“
Bekommen wir mit dem Projekt der Hamfelder aber auch eine sozial anders eingebundene Landwirtschaft? Honorieren wir Verbraucherinnen und Verbraucher das, was da investiert wird in Tierwohl im Stall und auf der Weide? Zahlen wir den erhöhten Milchpreis für die nächsten dreißig Jahre? So lange dauert es nämlich, bis sich die Investitionen amortisiert haben.
Johannes Tams sieht das Problem weniger bei uns. Er nimmt das auf sich: „Wir dürfen nicht resignieren. Wir müssen Perspektiven aufzeigen. Wir müssen Antworten bieten.“ Auf die Fragen der Verbraucherinnen und Verbraucher. „Die Gesellschaft will doch mehr Tierwohl, sie will doch, dass die Tiere auf die Weide können.“ Hier kann sie die Mehrkosten dafür bezahlen. Mit einem vergleichsweise kleinen Obolus.
Das Budget für Lebensmittel ist ein eher kleines in unser aller Haushalt. Auch wenn viele das in Zeiten des Krieges erst einmal nicht so sehen wollten, weshalb den Umsatz plötzlich die Discounter machten. „Man kann bei den Energiekosten sparen, beim Heizen, beim Autofahren“, sagt Johannes Tams, „aber doch nicht bei der Milch!“