Die Honigbiene ist ein Sonderfall unter den Nutztieren, denn sie hat ihr Verhalten in der Obhut der Menschen nicht verändert. Sie ist wild geblieben, und doch bei uns zuhause. Ein aufwendig gemachtes Buch, das Kunst und Wissenschaft vereint, zeigt jetzt neue Blicke auf das Tier, dessen Produkte Menschen seit tausenden von Jahren nutzen.
Wenn sich eine Forscherin und eine Künstlerin zusammentun und ihre Sichtweisen und Zugänge zu einem Thema verschmelzen, kann etwas Neues entstehen. Das ist hier gelungen. „Einblicke aus Kunst & Wissenschaft in die Welt der Honigbienen“ verspricht das Buch „Bienengedanken“ von Bettina Thierig und Dorothea Brückner.
Superorganismus Bienenvolk
Angefangen hat es mit einem Stipendium für die Bildhauerin Bettina Thierig beim Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst. Dort hat sie sich im Sommer 2018 mit der Honigbiene beschäftigt und nicht geahnt, dass daraus ein Projekt für Jahre werden sollte.
Dass eine Bildhauerin von einem Tier fasziniert ist, das Hohlräume mit exakten geometrischen Strukturen füllt, leuchtet unmittelbar ein. Die Bildhauerin schafft neue Strukturen meist, indem sie vom Ausgangsmaterial, etwa Stein oder Holz, etwas wegnimmt. Die Honigbiene schafft neue Strukturen, indem sie das Material dazu selbst herstellt. Sie produziert das Wachs für die Waben in winzigen Plättchen, die dann zusammengefügt werden.
Wobei eine Honigbiene nichts von dem alleine kann, was die Bienen zusammen schaffen. Deshalb gibt es auch ein Kapitel im Buch, das sich dem „Superorganismus“ des Bienenvolkes widmet. Darin lernen wir, wie die Bienen die Temperatur im Innenraum des Bienenstocks auf den für die Brut idealen 35 Grad Celsius halten. Wie also ein wechselwarmes Tier, das den eigenen Körper nicht temperieren kann, in enger Zusammenarbeit der Gemeinschaft den ganzen Brutraum heizt oder auch kühlt.
Irgendwie wissen wir wahrscheinlich alle Einiges über die Honigbienen, auch die unter uns, die keine Imker oder Hobbyimker sind. Vom Schwänzeltanz, mit dem die Bienen ihren Kolleginnen im Stock die Lage von Nahrungspflanzen anzeigen, haben wir alle schon gehört. Irgendwo gelesen, vielleicht in einem Artikel über den Trend zur Stadtimkerei oder gesehen in einem der vielen Filmbeiträge.
Das Besondere an dem Buch „Bienengedanken“ ist, dass hier eine Künstlerin aufgeschrieben hat, was ihr eine Bienenforscherin erzählt hat. Es ist dadurch einerseits locker erzählt, andererseits wissenschaftlich exakt. Und es erzählt auch Geschichten aus der Forschung. Dorothea Brückner ist die Gründerin und langjährige Leiterin der Forschungsstelle für Bienenkunde der Universität Bremen. Sie hat in München zur Genetik der Honigbiene promoviert, dann in den USA zum Lernverhalten von Bienen geforscht und schließlich ihr ganzes wissenschaftliches Leben der Honigbiene gewidmet. Da kamen einige Geschichten und auch Erkenntnisse zusammen, die nicht zum Allgemeinwissen über Honigbienen gehören.
Imker und Honigjäger
Eine der Geschichten aus dem Forscherinnenleben von Dorothea Brückner ist die zur Kommunikation ägyptischer Imker mit ihren Bienen. Sie ahmen die Geräusche schlupfbereiter Nachwuchsköniginnen nach und animieren damit die alteingesessene Königin, mit ihrem Volk zu schwärmen. So können sie den Zeitpunkt bestimmen und den ausschwärmenden Teil des Volkes einfangen und ihm ein neues betreutes Zuhause bereiten.
Wenn ein Bienenvolk im Stock neue Königinnen herangezogen hat, in den speziell dafür gebauten Weiselzellen mit speziellem Futter großgezogen, und wenn diese jungen Königinnen dann bereit sind zu schlüpfen, dann teilen sie das mit. Sie produzieren Geräusche, die von der alteingesessenen Königin beantwortet werden. Dadurch weiß der Nachwuchs, dass die Alte noch da ist und es zu gefährlich für ihn ist, jetzt schon die schützende Zelle zu verlassen. Gleichzeitig wird die alte Königin durch die Kommunikation mit dem Nachwuchs animiert, mit einem Teil ihres Volkes auszuziehen.
Hiesige Imker können die Beuten öffnen, also die Gehäuse, in denen sie die Bienen halten. Sie können nachschauen, wie weit der königliche Nachwuchs ist. Ägyptische Bienenbeuten haben keine Klappen. Sie sind bis auf das Flugloch mit Lehm verschlossen, weshalb sich die Imker auf ihr Gehör verlassen müssen.
Afrikanische Honigsammler in den Wald- und Buschlandschaften südlich der Sahara verlassen sich auf einen Vogel, der ihnen die Verstecke der Bienen zeigt. Der Vogel mit dem sprechenden Namen Honiganzeiger ist eigentlich ein Specht, der seine Eier aber wie unser Kuckuck in fremde Nester legt. Honiganzeiger ernähren sich von Insekten, fressen aber auch Bienenwachs. Das ist dann auch die Belohnung für die Vögel, die mit menschlichen Honigjägern zusammenarbeiten.
Vielfache Zusammenarbeit
Wir bemerken schon: Es ist eben auch ein unterhaltsam lehrreiches Buch, nicht nur ein schönes. Mit eindrucksvoll plastischen Fotos von Honig verschiedenster Provenienzen, beigesteuert vom Food-Fotografen Michael Haydn. Mit Bildern der Skulpturen, zu denen die Bienen Bettina Thierig angeregt haben, zum Teil auch mit dem von Bienen geschaffenen Material Wachs modelliert. Dazu kommen Linolschnitte von Bienenstrukturen, den Flügeln etwa, und Aufnahmen von Details des Bienenkörpers, mit dem Rasterelektronenmikroskop im Institut für Anatomie der Universität Lübeck gemacht von Harry Manfeldt.
Insgesamt ein Dokument vielfältiger Zusammenarbeit. Wobei die Zusammenarbeit der Autorinnen von beiden unabhängig voneinander gelobt wird. Bettina Thierig sagt über Dorothea Brückner: „Sie hat es mir so einfach gemacht, ich konnte alle, auch ganz laienhafte Fragen stellen, und sie hatte immer auch Interesse an meinem, ja doch so anderen Blick auf ihr Forschungsgebiet.“ Und Dorothea Brückner sagt, dass sie genau diesen anderen Blick auf ihr Forschungsobjekt sehr schätzt. Und sie erzählt, dass auch ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Forschung das interdisziplinäre Ergebnis, das eben einmal keine rein wissenschaftliche Arbeit ist, zu schätzen wissen.
Schubladenfragen
Dass die „Bienengedanken“ am Ende wirklich ein Buch geworden sind und nicht ein Gedankenexperiment blieben, ist ebenso ungewöhnlich wie die Zusammenarbeit der Autorinnen aus Kunst und Wissenschaft. Denn solch ein Buch passt natürlich in keine Schublade. Wer soll das herausbringen? Ein Verlag, der Kunstbücher macht? Ist es ein Kunstbuch, nicht eher eines für viel breiter gestreutes Publikum? Die Biodiversität, das Überleben der Insekten, der Bienen speziell, ist ein großes Thema. Aber ist dieses Buch ein Sachbuch?
Es will in keine der üblichen Schubladen passen, und mit dem quadratischen Format von 27 Zentimetern Seitenlänge übrigens auch nicht in jedes Bücherregal. Es ist aber auch nichts, was man sich in diesen Zeiten als Verleger mal eben nebenbei leisten kann, denn die Druckkosten für das aufwendige Buch sind immens. Entsprechend musste dafür erst einmal eine Crowdfunding-Kampagne gestartet werden. So hat das Buch dann auch viele Helfer
Herausgeberin ist nun die Schweisfurth-Stiftung, deren Ziel eine zukunftsfähige Land- und Lebensmittelwirtschaft ist. Es trifft sich gut, dass deren Gründer, der vormalige Fleischunternehmer und spätere Ökopionier Karl Ludwig Schweisfurth, auch ein Buch im Frankfurter Westend-Verlag hat. Jetzt ist seine Stiftung dort also auch gelandet. Was den Fokus wieder etwas mehr auf die für uns Menschen wichtige ökologische Funktion des Nutztiers Honigbiene legt: ihre Bestäubungsleistung.
Und allein deren Erwähnung führt das Buch in ein weiteres Konfliktfeld. Die Honigbiene nämlich gilt vielen Naturschützern als Konkurrentin der vielen Arten von Wildbienen. Mit der Begründung hat der Naturschutzbund es übrigens abgelehnt, sich um das Buch Bienengedanken zu machen: die Honigbiene sei ein Nutz- und kein Wildtier.
Das ist Unsinn, sagt dazu die Bienenforscherin Dorothea Brückner. Und es sei im Übrigen auch keinerlei Konkurrenz zwischen Honig- und anderen Bienen wissenschaftlich nachweisbar. Es gibt im Gegenteil hinreichend viele Studien, die belegen, dass sich die verschiedenen Bienenarten, Hummeln, Honigbienen und Solitärbienen, beim Bestäuben der Pflanzen bestens ergänzen. Und wenn in der Landwirtschaft weniger oder am besten gar keine bienengiftigen Stoffe mehr ausgebracht werden, ist allen geholfen. Übrigens uns Menschen auch, denn wir sind auf die Bestäubung vieler Pflanzen durch Bienen angewiesen. Sonst wird es schwierig mit unserer Ernährung.
Äpfel, Mandeln, Orangen, Zucchini, Möhren, Zwiebeln, Tomaten, das würde eine sehr lange Liste, wenn ich alles aufzählen würde, was es ohne Bienen nicht mehr gäbe, oder nicht in der gleichen Menge und Qualität. Achtzig Prozent aller Blütenpflanzen warten alljährlich auf die Bestäubung durch Insekten. Und unter den bestäubenden Insekten sind die Bienen die wichtigsten. Um ihre Gunst kämpfen die Pflanzen jedes Jahr aufs Neue mit aufwendig gestalteten und gefärbten Blüten. Und übrigens auch mit Düften. Bienen kennen diese Düfte und können sie sich merken. Auch eines der Ergebnisse der Forschung von Dorothea Brückner. Uns wollen die Blüten nicht gefallen, für uns duften sie nicht, umso mehr für „unsere“ Bienen.
Hinweis in eigener Sache: Ich bin als Autor dieser Buchvorstellung etwas vorbelastet. Ich kenne Bettina Thierig und ihre Arbeiten seit Jahren und habe mich auch ein wenig für das Erscheinen dieses Buches eingesetzt.