Der fruchtbare Boden ist unsere Lebensgrundlage. Alles, was auf der festen Erde lebt, existiert nur durch das Bodenleben, durch die Arbeit von Milliarden Klein- und Kleinstlebewesen, die den Humus aufbauen und den Pflanzen die Nährstoffe bereitstellen. Das Leben im Boden aber ist gefährdet durch unsere Art der intensiven Landwirtschaft. Das stellt der erste Bodenreport des Bundesamtes für Naturschutz fest.
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Die staatlichen Naturschützer warnen davor, dass die Biodiversität nicht nur auf den Ackerflächen gefährdet ist. Auch in den Böden ist die Artenvielfalt bedroht. Früher förderten die Bäuerinnen mit ihren vielen verschieden bebauten Äckern, Obstgärten und Weiden die Artenvielfalt geradezu. Das hat sich geändert. Die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren maschinengerechten Ackerflächen in weitgehend ausgeräumten Landschaften ist das Gegenteil dessen, was die Landwirtschaft einmal war. Sie bietet keinen Raum mehr für Biodiversität. Weder auf dem Acker, noch darunter. Das Bundesamt für Naturschutz, BfN, warnt aber nicht nur vor dem Sterben der Böden, es sagt auch, was dagegen zu tun ist.
Unbekanntes Bodenleben
Auch nach hundert Jahren zoologischer Bodenforschung können wir die Vielfalt des Bodenlebens nur erahnen. Wir kennen nur einen Bruchteil der Arten, die unser Überleben auf der Erde möglich machen. „Wenn ich mich als Taxonom hervortun wollte“, also als ein Bestimmer neuer Arten, erzählte mir einmal einer der Bodenzoologen vom Senckenberg-Institut in Görlitz, brauchte ich nur jeden Morgen ein wenig Erde aus dem Profil meiner Fahrradreifen zu kratzen und unters Mikroskop legen.“ Wenn nicht in jeder Bodenprobe, so doch in jeder zweiten oder dritten, würde er ein noch nicht beschriebenes, uns unbekanntes Bodenlebewesen finden.
Es ist wie mit dem Regenwald. Durch dessen großflächige Vernichtung verlieren wir Arten, bevor wir sie überhaupt kennengelernt haben. So ist es auch beim Schwund der Biodiversität in den Ackerböden. „Sollten Arten in unseren Böden aussterben, die uns teilweise noch gar nicht bekannt sind“, sagte die Präsidentin des Bundesamtes bei der Vorstellung des Bodenreports, „so sind die Folgen für die Ökosysteme, aber auch für die Landwirtschaft in ihrer Tragweite noch gar nicht abzusehen.“
Immerhin wissen wir ungefähr, wie viele Bodenlebewesen im Boden leben. Wir wissen, dass der fruchtbare Boden das größte Biotop der festen Erde ist. Das Senckenberg-Museum für Naturkunde in Görlitz hat das in einer sehenswerten Wanderausstellung, die zurzeit niemand sehen kann, an einem Kubikmeter Boden festgemacht. Darin leben – um bei den kleinsten anzufangen – allein hundert Millionen Algen, hundert Milliarden Pilze, zehn Billionen Strahlenpilze und hundert Billionen Bakterien. Weil wir uns das schwer vorstellen können, springen wir zu den größten der Bodentiere, zur sogenannten Makrofauna des Bodens. Und das sind in dem einen Kubikmeter dann immer noch dreißig Hundertfüßer, dreißig Asseln, fünfzig Spinnen, fünfzig Schnecken, hundert Zweiflüglerlarven, ebenso viele Käfer und Käferlarven und Doppelfüßer. Und dann von den bekanntesten Bodenlebewesen, den Regenwürmern, noch einmal hundert bis vierhundert. In einer Handvoll fruchtbarer Erde sind mehr Lebewesen als Menschen auf der Erde.
Und diese ganze unvorstellbare Vielfalt ist bedroht: durch die Verdichtung der Böden mit schweren Maschinen, durch Erosion, durch Monokultur, durch Pestizideinsatz. In normalen, „konventionell“ bearbeiteten Ackerböden finden sich üblicherweise nur noch sechzig Regenwürmer pro Quadratmeter, wie die bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft in langjährigen Untersuchungsreihen festgestellt hat. Die Regenwürmer sind für die Bodenforscher die Art, die anzeigt, wie es einem Boden geht. Nicht gut, wenn nur noch sechzig von ihnen unter einem Quadratmeter Oberfläche gezählt werden. Wenn es noch weniger werden, wird es gefährlich für die Zukunft der Böden. Und es gibt in Deutschland bereits viele tausend Hektar Ackerfläche, in denen noch weniger Regenwürmer für dauerhafte Fruchtbarkeit sorgen. Was wir nicht bemerken, so lange wir die Pflanzen mit Kunstdünger päppeln.
Wenn den Böden die natürliche Fruchtbarkeit verloren geht, wenn das Bodenleben immer mehr fehlt, lässt sich das eine Weile ausgleichen mit Mineralien und Chemie. Es geht aber auch die Resilienz der Böden verloren, ihre Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit, ihre Aufnahmefähigkeit von Starkregen, ihre Pufferkraft gegen Schadstoffe, ihre Filterung des Grundwassers. Und das bemerken wir dann schon, wenn gleichzeitig das Klima extremer wird. Dann zahlen wir den Bäuerinnen Ausgleich für Trockenschäden und Ernteausfälle, wie in den letzten Jahren. Geld, das es in vielen Fällen nicht gebraucht hätte, wenn die Ackerböden lebendiger wären.
BfN-Chefin Beate Jessel jedenfalls sieht dringenden Handlungsbedarf und fordert, dass bei den Verhandlungen zur künftigen Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union der Bodenschutz gefördert wird. Und da diese GAP-Verhandlungen schon weit fortgeschritten sind, soll es der nationale Umsetzungsplan für Deutschland richten.
Paradigmenwechsel
Schon wieder fordert jemand einen Paradigmen- oder gar Systemwechsel. Die meisten „konventionell“ wirtschaftenden Landwirtinnen dürften es nicht mehr hören können und wollen. Obwohl sie gerade bei der sehr verbindlichen und niemals lauten Beate Jessel vielleicht doch mal hinhören sollten. Denn sie hat mit ihrem Team im Bodenreport konkrete Vorschläge vorgelegt, die sich gerade auch an die „Konventionellen“ richten. Es geht in eine ähnliche Richtung, wie unlängst auch die Grünen, die eine Ökologisierung der „konventionellen“ Landwirtschaft fördern möchten. Der Bodenreport des Bundesamtes für Naturschutz lässt auch nicht unerwähnt, dass der im ökologischen Landbau als Pflanzenschutzmittel erlaubte Kupfer das Bodenleben schädigt, nachweislich bei Pilzen und Regenwürmern. Ebenso die auch im Ökolandbau erlaubten BT-Präparate, also Spritzmittel mit dem Bacillus thuringiensis.
Das Bundesamt für Naturschutz schlägt vor, auf konservierende Bodenbearbeitungsformen umzusteigen und Landwirte dafür zu bezahlen. Also weniger pflügen, den Boden niemals bloß liegen lassen, sondern immer für Bedeckung und Durchwurzelung sorgen. Das bedeutet das Einsähen von Zwischenfrüchten, eine vielfältige Fruchtfolge, Futter für das Bodenleben. Außerdem sollten die großen Schläge verschwinden, durch dauerhafte Hecken oder Baumreihen getrennt werden, um der Erosion vorzubeugen und das Bodenleben durch mehr Vielfalt über der Erde zu fördern. Dann plädiert das BfN dafür, bei der Düngung wieder auf Festmist umzusteigen, weil der das Bodenleben mit viel mehr organischer Substanz versorge. Alles Ansätze, die zum Beispiel aus der „Regenerativen Landwirtschaft“ bekannt sind. Allerdings nicht vielen Landwirtinnen. Weshalb Beate Jessel auch fordert, dass „das Wissen um den Wert des Bodenlebens in Zukunft noch umfassender in die Praxis vermittelt wird“.
Kleiner Hinweis an die Wissenschaft, die viel geforscht hat über das Bodenleben in den letzten Jahrzehnten, aber wenig davon an die Menschen weitergegeben hat, die den Boden bearbeiten. Das könnte sich ändern, wenn das Wissen um das billionenfache Leben im Boden auch in die landwirtschaftliche Aus- und Fortbildung einfließt und das funktioniert, was Beate Jessel mit ihrem Bodenreport will, nämlich „einen gemeinsamen Weg von Naturschutz und Landwirtschaft aufzeigen“. Eine angenehm ruhige, sachliche Stimme in einer längst überhitzten Debatte.
Der Bodenreport des Bundesamtes für Naturschutz: https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/210108_BodenBioDiv-Report.pdf