Landwirtschaft als Naturschutz

Eine Savanne in Norddeutschland, fachlich korrekt benannt: Halboffene Weidelandschaft. Das Naturschutzgebiet Schäferhaus, ehemaliger Truppenübungsplatz bei Flensburg, beweidet und offen gehalten von Galloways. | Alle Fotos: Florian Schwinn

Gibt es das: Landwirtschaft als Naturschutz? Nicht etwas mehr Naturschutz auf ansonsten landwirtschaftlich genutzten Flächen. Auch nicht nebendran im Begleitgrün. Und auch nicht in Hecken und Agroforststreifen. Nein, auf der ganzen Fläche vereint: Naturschutz durch Landwirtschaft. Ja, das gibt es. Allerdings wird dabei kein Getreide produziert und auch kein Gemüse. Dafür aber das beste Rindfleisch.

Der landwirtschaftliche Betrieb, der auf all seinen bewirtschafteten Flächen Naturschutz umsetzt, war hier schon einmal Thema, als wir zu „Besuch im Psychotop“ waren. In einer Landschaft nämlich, in der wir uns sofort heimisch fühlen. Vielleicht, weil das die Form von Landschaft ist, aus der wir Menschen stammen.

Savanne des Nordens

In Afrika nennt man solch eine Landschaft Savanne. Das spanische Wort Sabana ist eine Entlehnung aus dem Karibischen und heißt eigentlich nur „weite Ebene“. Wobei wir natürlich wissen, dass Savannen nicht nur eben und vor allem nicht leer sind. Bei uns heißt die Savanne schnöde fachlich „Halboffene Weidelandschaft“. Das besagt zumindest, dass sie weder Wiese noch Wald ist, sondern irgendetwas dazwischen, und dass sie etwas mit Beweidung zu tun hat, mit Tieren also.

Die Tiere sind im Falle der Savannen im Nordosten Schleswig-Holsteins, um die es hier geht, robuste Rinder, die das ganze Jahr über draußen leben, zumeist Galloways. Wie der Name sagt, stammen sie ursprünglich aus dem Süden Schottlands.         Auch ein paar Koniks laufen auf den Weiden. „Konik“ ist Polnisch und heißt „Pferdchen“. Und aus Polen stammen die Wildpferde ursprünglich auch.

Bunde Wischen – hochdeutsch Bunte Wiesen – heißt der Bioland-Betrieb, der Naturschutz durch Landwirtschaft betreibt. Eine gemeinnützige Agrargenossenschaft mit zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die bewirtschaften insgesamt 1700 Hektar Weideland mit über tausend Rindern und rund sechzig Wildpferden. Und sie vermarkten das besondere Rindfleisch, das bei dieser extensiven Weidewirtschaft entsteht, und alles, was man noch so herstellen kann aus Rind: Wurst, Schinken, Ragout, Suppe.

Der Hofladen von Hof Königswill in Schleswig, Sitz der gemeinnützigen Genossenschaft Bunde Wischen. Von hier aus werden auch regionale Bioläden und Supermärkte der Ketten Edeka und Famila beliefert.

Naturschutz mit Rindern

Angefangen hat das alles 1986 mit einer Wiese, auf der Orchideen wuchsen. Gerd Kämmer, heute Vorstand der Genossenschaft Bunde Wischen, war damals Biologiestudent und hatte mit einem Kommilitonen zusammen erfahren, dass der Landkreis Schleswig-Flensburg eine Wiese kaufen wollte, um sie aufzuforsten. Just auf dieser fünf Hektar großen Wiese hatten die beiden aber Orchideen entdeckt. Kurzerhand pachteten sie die Wiese und verhinderten so die Aufforstung.

Da sie aber kein Geld hatten, um die Pacht zu bezahlen, kauften sie drei Jungrinder und ließen sie auf der Wiese weiden und wachsen. Am Jahresende verkauften sie die Rinder. Der Erlös trug die Pacht. Und die Orchideen vermehrten sich sogar.

Das war die Entdeckung der beiden Biologiestudenten: Beweidung hilft dem Naturschutz. Allerdings nur, wenn man die Weiden nicht zur Wiese macht, also wenn man nicht mäht.

„Das Mähen“, sagt Gerd Kämmer heute, „ist einer der größten Fehler, die der Naturschutz macht.“ Es sollen ganz bestimmte Arten geschützt werden, und für die muss dann zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt unbedingt gemäht werden. „Damit erhalten wir vielleicht die eine Art, vernichten aber gleichzeitig ganze Lebensgemeinschaften, die wir nicht mal kennen, weil die niemand gesucht und bestimmt hat.“

Nach über dreißig Jahren Erfahrung mit extensiver Beweidung durch robuste Rinderrassen legt der Bunde Wischen Vorstand sich heute fest: Diese Form der Beweidung ist der Weg zu der artenreichsten Landschaft, die wir in unseren Breiten haben. Sie ist die beste Form von Artenschutz. Und gleichzeitig ist sie Klimaschutz, denn im Boden der Weiden bindet der Humus mehr Kohlenstoff als im Wald. Und – für die nächsten Trockenperioden wichtig – auch mehr Wasser. Nur das Moor kann es noch besser.

Hutewald

Was in den von Bunde Wischen bewirtschafteten Naturschutzgebieten im Nordosten Schleswig-Holsteins entsteht, wird am Ende ein Hutewald sein. Eine Landschaftsform, wie sie einmal in ganz Mitteleuropa verbreitet war, entstanden durch die Beweidung der Wälder mit Nutztieren. Wobei das keine Wälder in unserem heutigen Sinne waren, also keine Forsten, eher solche Savannen, wie man sie jetzt in den von Bunde Wischen gepflegten Landschaften erleben kann.

Man kann es bei Caspar-David Friedrich und auf den Bildern anderer Maler der Romantik sehen, dass weite Teile Mitteleuropas einmal so aussahen: alte Hutewälder, oft mit dominierenden mächtigen Eichen. „Das sind Landschaften, nach denen sich der Naturschutz heute die Finger leckt“, sagt Gerd Kämmer. Und dennoch ist es nicht immer eine gute Idee, den Naturschützern solche Landschaften zu überlassen. Auch dann nicht, wenn sie das Gegenteil von dem tun, was beim radikalen Mähen oder dem schonungslosen Beweiden mit viel zu vielen Schafen passiert. Das Gegenteil von einem zu harten Eingriff ist gar keiner: Nichtstun.

Auch eine Landschaft sich selbst zu überlassen, ist nämlich nicht unbedingt eine gute Idee. Wer sich anschauen will, wie ein alter, sehr artenreicher Hutewald zugrunde gerichtet wird, der fahre in den Reinhardswald nach Hessen. Dort bei der berühmten Sababurg kann man sich anschauen, wie die riesigen alten Hutewaldeichen sterben, weil sie von Buchen überwuchert werden, die ihnen das Licht nehmen. Eichen brauchen Licht, Buchen können im Schatten aufwachsen.

Geschlossene Buchenwälder können nicht entstehen, wo große Weidetiere die jungen Bäume verbeißen. Eichen können dort aber schon wachsen – im Schutz des Weißdorns zum Beispiel, der sich und die jungen Bäume erfolgreich gegen die Rinder verteidigt.

Vor dem Schuss: „Man sollte schon auf dreißig Meter Entfernung ein Zwei-Euro-Stück sicher treffen.“ Gerd Kämmer zielt von einem Pritschenwagen aus. Im Hintergrund unter den Bäumen die Rinder.

Weideschuss

Der landwirtschaftliche Betrieb Bunde Wischen lebt von den Rindern, die auf seinen Flächen weiden und sich vermehren. Das ist die Grundidee: Ein sich selbst finanzierender Naturschutz durch Beweidung und Vermarktung des Rindfleischs. Da die Herden nicht größer werden sollen, damit das Futter auch für den Winter reicht, müssen stetig Tiere geschlachtet werden. Und das geschieht bei Bunde Wischen mit dem sogenannten Weideschuss, etwa vier Mal in der Woche.

„Kein Tier, das bei uns geboren wurde, verlässt lebend den Hof“, sagt Gerd Kämmer. „Das ist unser Versprechen an die Tiere: Keines wird in einen Wagen gezwängt, zu einem Schlachthof gefahren und dort in ein Gitter gezwängt und mit einem Bolzenschuss getötet.“ Dafür haben er und ein weiterer Mitarbeiter den Jagdschein gemacht und beim Veterinäramt die Genehmigung eingeholt, auf der Weide schießen zu dürfen.

„Das ist der stressfreieste Tod, den es gibt“, sagt Gerd Kämmer. „Das Tier hört den Schuss nicht einmal, da die Kugel bekanntlich schneller ist als der Schall.“ Es stirbt da, wo es gelebt hat – auf der Weide. Es gibt keinen Transport, keine neue Umgebung, keine Angst.

Aber was machen die anderen Tiere, die das miterleben? Das war meine Frage. Ich habe sie mir beantwortet, indem ich mitgefahren bin zum Weideschuss. Mit einem kleinen Pritschenlaster hat ein Kollege Gerd Kämmer auf die Weide gefahren. Der stand hinten auf der Ladefläche, hatte ein Kissen aufs Fahrerhaus gelegt und das Gewehr dort abgestützt. Als der Lastwagen langsam näherkam, hörten die Rinder auf zu grasen und schauten ihm entgegen. Der Fahrer stoppte und schaltete den Motor aus. Der Schütze wartete, bis die Tiere ganz ruhig standen und ihn anschauten. Dann knallte es.

Das getötete Tier fiel, ohne einen Laut von sich zu geben. Und seine Artgenossen schauten nicht einmal hin. Sie schauten auf die beiden Menschen, die nun auf sie zu liefen und dann auf den Traktor, der sich näherte.

Ich habe es nicht glauben wollen, aber dann mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört: keine Panik, nicht einmal eine Reaktion. Die Tiere haben wohl schlicht nicht verstanden, was passiert ist.

Gerd Kämmer hat zwar einen Jagdschein, aber das was hier geschieht, ist keine Jagd. Keine Hatz, keine Gefahr, also auch keine Unruhe, keine Warnrufe, keine Angstschreie. Nur vertraute Menschen und ebenfalls bekannte Fahrzeuge. Und dann ein schnell verhallter Knall.

Dann kommt der Traktor und lädt die geschossenen Tiere auf einen Spezialanhänger. Erst jetzt geht es zum Schlachter, der in einer Viertelstunde erreicht ist.

„Das kriegen wir alles los!“ Katrin Peper, Verkaufschefin bei Bunde Wischen, ist stolz darauf, dass sie das ganze Tier vermarkten kann. Auch Innereien wie Zungenragout werden an regionale Lebensmittelmärkte geliefert und von den Kundinnen und Kunden im Hofladen gekauft.

Nose to Tail

Wenn die Tiere keinen Stress haben, produzieren sie kein Adrenalin, das das Fleisch zäh machen kann. Deshalb, und weil die Tiere immer draußen gelebt haben, ist das Fleisch, das Bunde Wischen verkauft, von bester Qualität. Und wer sich im Hofladen in Schleswig umschaut, oder auch bei den regionalen Edeka-Märkten oder Famila-Läden, die von dort beliefert werden, der findet viel mehr als die bekannten Fleischtranchen.

Bunde Wischen vermarktet das ganze Tier. Da gibt es zum Beispiel auch Zungenragout. Katrin Peper, die Chefin des Hofladens, habe ich gefragt, wer heute noch Innereien kauft. „Das kriegen wir alles los“, hat sie gesagt. Das Zungenragout gehe sogar in den Laden der Famila-Kette nach Westerland auf Sylt.

„Nose to Tail“ heißt das Prinzip, das der britische Starkoch Fergus Henderson schon Ende der 1990er Jahre bekannt machte. Und Katrin Peper erzählt, dass ihre Kundschaft sehr kregel geworden sei in letzter Zeit, was die Verwertung früher nicht so populärer Partien vom Rind angeht. Gut, ein Teil der Innereien geht an einen regionalen Hersteller von Hundefutter, aber weggeworfen werde nichts.

Und um das auch gleich dazu zu sagen, weil ich das hier im Blog und auch im Podcast mehrfach thematisiert habe: Ja, auch bei Bunde Wischen sind die Absatzzahlen gesunken nach der Hochzeit der Corona-Pandemie, als alle zuhause kochten. Aber der Einbruch, den Bioläden und Direktvermarkter sonst hinnehmen müssen, jetzt, in Zeiten des Krieges, der ist hier ausgeblieben. Am Ende vielleicht, weil das Konzept von Bunde Wischen so einzigartig ist. Die Verbindung von Landwirtschaft und Naturschutz und der finale Schuss auf der Weide – so etwas gibt es in der Größe in Deutschland bislang kein zweites Mal.

Tatsächlich kommen die Leute auch in den Hofladen, weil sie wissen, dass die Tiere am Ende ihres Lebens nicht in Transportwagen gepfercht wurden und womöglich stundenlang in Schlachthöfe gekarrt wurden.


Mehr zur Landwirtschaft als Naturschutz im Podcast. Und beim nächsten Mal im Blog mehr zu Nose to Tail und – für Menschen, die kein Fleisch essen mögen – zu Leaf to Root. Denn auch beim Gemüse geht es fast ohne Abfall.