Ein Gespräch über Hühner

Foto: Florian Schwinn

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Hühner fast ein Verbrechen ist,
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

Ich weiß schon, Bertold Brecht hatte es nicht mit Hühnern in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“, da ging es um ähnlich unschuldige Lebewesen – um Bäume. Aber ich wollte über Hühner und über Eier reden, einfach weil das die Jahreszeit mit ihrem Eierfest gebietet und weil man sehr viel lernen kann über Hühner und Eier und Hähne, wenn man mit einem spricht, der sein Berufsleben diesen Tieren und ihrem Gelege gewidmet hat.

Ich bin zu Carsten Bauck gefahren, zum Bauckhof nach Klein Süstedt bei Uelzen. Aber wie es so ist in diesen Zeiten: Natürlich war das nicht nur ein Gespräch über Hühner, was wir dort geführt haben, sondern auch eines über den Krieg, der längst in jeden Hühnerhof hineinreicht. Wer Carsten Bauck und seine Hühner hören will, schaltet jetzt um auf den Podcast, wer lieber liest, bleibt hier.

Tierische Nahrungskonkurrenten

In den letzten Wochen haben wir gelernt, dass es weltweite Auswirkungen hat, wenn in der Kornkammer Europas Krieg geführt wird. Es ist nicht nur das Grauen dort, das uns tagtäglich überrollt. Es ist auch die Angst vor einer Hungerkatastrophe in den über hundert Ländern der Erde, die inzwischen von Lebensmittelimporten abhängig sind. Das liegt auch an der Globalisierung der Lebensmittelmärkte, die Kleinbauern vernichtet und Länder abhängig gemacht hat. Darüber habe ich hier im Blog berichtet. Darüber jetzt zu klagen, hilft aber nicht, denn die von Lebensmittelimporten abhängigen Länder können sich gerade nicht mehr selbst helfen, schon gar nicht, wenn in Afrika die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten herrscht.

Deshalb ist eine Diskussion darüber, wie wir im reichen Westen helfen können, genauso folgerichtig wie die Hilfe für die Ukraine, die inzwischen selbst Lebensmittel braucht, während die russische Armee offenbar auch gezielt die Getreidesilos bombardiert. Deshalb war auch die erste Forderung folgerichtig, hier bei uns weniger Getreide in die Futtertröge zu kippen und mehr für die menschliche Ernährung bereitzustellen. Das hieße: Weniger Tiere halten, konkret: weniger Mongastrier. Das sind Tiere, die, wie wir Menschen, nur einen Magen haben und sich ähnlich ernähren wie wir – also Schweine und Hühner zum Beispiel. Damit sind wir in die Diskussion über die Hühner eingestiegen.

„Einige Schweine könnte man in einem landwirtschaftlichen Betriebskreislauf mitversorgen“, sagt Carsten Bauck. Gemeint ist ein Mischbetrieb, denn für die Ernährung der Schweine bräuchte es dann Gemüseabfälle und Molke. Und da es solche Betriebe kaum noch gibt, brauchen die meisten Schweinemäster eben meist Futtermittel, die auch Menschen ernähren könnten.

Auch die Hühner sind zu einem guten Teil Nahrungskonkurrenten für uns Menschen. Sie können auch mit den Presskuchen aus der Herstellung von Ölen gefüttert werden. Das sind eiweißreiche Abfallprodukte der Ölmühlen, die Soja, Raps oder Sonnenblumenöl herstellen. Dass diese Presskuchen im Futter von Schweinen und Hühnern, zumal in Bio-Qualität, in der Vergangenheit häufig aus der Ukraine kamen und nun Mangelware sind, habe ich hier auch schon berichtet.

Carsten Bauck differenziert bei der kriegsbedingten Neufassung der Ethik unserer Ernährung: „Das Huhn legt ein ganzes Jahr Eier und gibt dadurch den Menschen etwas zurück. Dadurch, dass das Ei eine wertvolle Nahrung ist für den Menschen, ist das auch eine ganz effiziente Umwandlung von Getreide.“ Beim Hähnchen sieht er das schon anders. Bis das vier Menschen ernährt, hat es um die fünf Kilo Getreide verspeist. Und davon könnten ein paar mehr Menschen satt werden. Deshalb hofft Carsten Bauck darauf, dass die Hähnchen vom Bauckhof der in letzter Zeit wieder viel beschworene Sonntagsbraten werden. „Da stelle ich mir immer vor, dass unser Kunde das bitte auch zu schätzen wissen möge.“

Sollte auf der Speisekarte besser fehlen, da schlechter Futterverwerter, krank gezüchtet und ohne Antibiotika kaum gesund zu halten: Truthahn, gequältes Tier für die Putenbrust. | Foto: Alexa / Pixabay

Aus für die Putenbrust

Und dann kommt der Geflügelhalter zu dem Federtier, das er am liebsten von unseren Tellern verbannen möchte: zur Pute. Drei Jahre lang hat der Bauckhof einen von zwei Universitäten begleiteten Aufzuchtversuch von Puten in Bioqualität unternommen. Dazu mussten erst einmal fern von allen industriellen Zuchtbetrieben Truthähne gefunden werden, die robust genug sind für die Haltung im Freien, und die nicht auf Brustansatz gezüchtet sind. Und dann ging es mit einem hohen Betreuungsaufwand tatsächlich fast ohne Antibiotika. Aber nur fast, nicht ganz. Und am Ende hätte ein Kilo Putenbrust ein Mehrfaches von Rinderfilet kosten müssen, um das Ganze wirtschaftlich darzustellen. Nach erfolgreichem Versuch und einer auf dem Hof entstandenen Doktorarbeit dazu, haben sich die Bauckhöfe von der Pute verschiedet. Und jetzt, angesichts des Krieges und der Verknappung des Getreides, und angesichts der übergroßen Menge Futter, die der Truthahn braucht, findet Carsten Bauck ihn vollständig obsolet: „Die Pute gehört nicht auf unseren Teller!“

Der Salat mit Putenbruststreifen gehört von der Speisekarte gestrichen, zumal er alles andere als bewusste Ernährung ist. „Wer Putenbrust isst und das mit leichter und bewusster Ernährung begründet, macht sich schuldig.“ Das könne nur tun, wer das Leid der auf Brust gezüchteten Tiere übersehen will. „Dass ein Tier fünfzig Prozent seines Körpergewichts an Brust mit sich rumschleppt, das bedeutet, dass es massive Kreislaufprobleme hat, dass die Füße kaputt sind und dass aufgrund dessen die Veterinärbehörden aus Tierschutzgründen Medikamente zulassen müssen.“ So kommt es, dass wohl keiner der konventionell gemästeten Truthähne ohne Antibiotika aufgezogen wird, und auch bei vielen Biobetrieben dürfte der Tierarzt häufiger Gast im Stall sein. Das Ergebnis kennen wir: antibiotikaresistente Keime, die jedes Jahr mehr Menschen töten.

Wenn wir also den Tierbestand reduzieren wollen, was wir angesichts der vielen Krisen wohl dringend tun sollten, dann könnten wir doch bei den Puten anfangen.

Ökologische Hühner

Jetzt aber endlich mal zu der guten Nachricht, die man von einem Besuch vom Bauckhof in Klein Süstedt mitnehmen kann: Das Zweinutzungshuhn ist da! In nur acht Jahren hat es die von Demeter und Bioland gegründete gemeinnützige Ökologische Tierzucht GmbH geschafft, den Biobauern eine konzernunabhängige Alternative zu den Legehennen des Marktführers Lohmann aus Cuxhaven auf den Hof zu stellen. Die auch auf den Biohöfen bislang üblichen „Lohmann Brown“ sind keine Hühnerrasse, sondern ein Industrieprodukt aus dem Hause Wesjohann. Die Brüder Wesjohann sind die Chefs zweier weltweit agierender Geflügelkonzerne. Die Lohmann-Legehennen sind auf Eierproduktion optimiert. Die Hennen legen fast jeden Tag und stecken fast die Hälfte des Futters ins Ei. Die Hähne der Legehennenlinien allerdings nehmen kaum zu und wurden bis Anfang dieses Jahres meist direkt nach dem Schlupf getötet, weil es – auch von Gerichten – als wirtschaftlich nicht zumutbar angesehen wurde, sie aufzuziehen. Seit dem 1. Januar ist das Kükentöten in Deutschland verboten. Jetzt müssen die Bruderhähne aufgezogen werden. Auch das mittelbar ein Verdienst von Carsten Bauck, der vor zehn Jahren die Bruderhahn-Initiative mitgegründet hat.

Der Krieg war allgegenwärtig beim Gespräch über Hühner mit Carsten Bauck. Foto: Bauckhof

Aber die Aufzucht der Bruderhähne war für ihn immer nur eine Zwischenlösung. Er wollte das Zweinutzungshuhn, bei dem die Henne möglichst viele Eier legt und der Hahn trotzdem gut zunimmt, und dann auch die Henne am Ende noch ein veritables Suppenhuhn abgibt. Seit August sind nun zwei der Mobilställe rund um den Bauckhof mit den Hühnern aus der Ökologischen Tierzucht, den „Ötzis“, belegt. Und seitdem lernen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bauckhofs in Klein Süstedt wieder, was das Huhn eigentlich für ein Tier ist.

„Das sind ganz andere Tiere als die Lohmänner“, sagt Carsten Bauck: „Sie haben uns daran erinnert, dass das Huhn eigentlich ein Fluchttier ist. Sie reagieren auf jede Störung, ob das der Trecker ist, der nebenan einen Mobilstall auf die neue Wiese zieht, ob das ein Gewitter ist, oder wie letztens ein starker Sturm.“ In vier der Legehennenställe nehmen die Hybridtiere aus der Lohmann-Zucht alles stoisch hin, „und in den zwei Ställen, in denen die ‚Ötzis‘ sind, ist dann Bambule.“ Und tags drauf gibt’s dann auch erstmal keine Eier. „Na klar“, sagt er, „die Hühner legen die Eier ja nicht, damit wir sie essen können, sondern eigentlich, um Küken auszubrüten und aufzuziehen. Und warum sollten sie das tun, wenn um sie herum gerade alles unsicher ist.“ Sie könnten ja nicht eben mal auf die App schauen und sehen, dass der Sturm in zwei Tagen vorüber ist.

Eier in der Box

Und auch sonst sind die neuen Hühner so sehr anders als die Hybridtiere aus dem Zuchtkonzern, so viel näher an der Natur des Huhns, dass auch die Eiervermarktung umgestellt werden muss. Die Hennen legen nämlich nicht industriell genormt immer gleich große Eier. Sie legen als Junghennen zuerst länger kleine Eier, als die „Lohmänner“, und manche bleiben dann ihr Leben lang bei der Eigröße S. „Nun steht aber in Kochbüchern immer, man nehme ein Ei der Größe L …“, sagt Carsten Bauck. Und also suchen die Konsumentinnen und Konsumenten nach Eigröße L. Die aber kann der Bauckhof mit seinen Zweinutzungshühnern nicht mehr zuverlässig liefern. Also geht der Vertrieb jetzt ganz neue Wege. Die Eier werden nicht mehr im Sixpack verkauft und auch nicht als Zehner. Ei gibt es jetzt in Kästen zu fünfhundert Gramm, von den Hennen in unterschiedlichen Größen in Schale verpackt.

„Ein volles Pfund – keine Kompromisse“: Konzernunabhängige Bauerneier gibt es nicht in Normgröße und auch nicht billig. Hier verpacken die Hühner die Eier selbst – in unterschiedlichen Größen. | Foto: Florian Schwinn

Nun hofft Carsten Bauck auf seine Kundinnen und Kunden: „Wir sind eigentlich am Ziel. Wir haben das Zweinutzungshuhn, wir sind ganz nah am landwirtschaftlichen Ideal. Wir haben das erreicht, was wir immer erreichen wollten und auch so kommuniziert haben. Aber wir kommen jetzt damit in die schlechteste Situation, weil alles gerade explosionsartig im Preis steigt.“ Und genau jetzt muss der Bauckhof seine Eier deutlich teurer machen. Die Fünfhundert-Gramm-Box gibt es für knapp neun Euro. Die Preiserhöhung ist die zweite in diesem Jahr und sie muss sein, weil selbst für den Demeter-Betrieb, der sein Futter in Kooperation mit anderen Demeter-Höfen wachsen lässt, die Preise in Höhen gestiegen sind, die zuvor niemand erahnen konnte. „Es ist Krieg“, sagt Carsten Bauck, „und wenn die Menschen Angst haben, dass sie Hunger leiden könnten, dann wird sicher auch an Lebensmitteln gespart, dann wird vielleicht nicht mehr die höchste Qualität gekauft, und dann geraten wir Demeter-Betriebe unter Druck.“

Was er im Gespräch nicht gesagt hat, sage ich jetzt mal hinterher: Wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher bei den vielen Umfragen der letzten Jahre tatsächlich ehrlich zu Protokoll gegeben haben sollten, dass wir für mehr Tierwohl bereit sind, mehr zu zahlen – dann wäre jetzt der Moment, den Worten Taten folgen zu lassen. Hier ist, nach Jahren der Entwicklung und Investitionen, das Huhn wieder zum Huhn geworden, und der Hahn darf Hahn sein, hier wäre jetzt der Beweis zu liefern, dass wir nicht nur schön reden können, sondern auch gut tun.