Diese Kolumne oder der oder das Blog, wie immer wir das nennen mögen, heißt „Führerschein für Einkaufswagen“. Dass solch ein Führerschein Not täte, wissen alle Interessierten; dass es ihn nicht gibt ebenso. Dennoch möchte ich heute mal wieder abweichen vom reinen Verbraucherwissen und mich mehr dem Untertitel widmen: „Hintergrundwissen“ heißt es da. Da passt das eher hinein, was ich zu berichten habe. Es geht nämlich einmal mehr um den Umbau der Landwirtschaft, aber in einer Form, die uns in der Küche nicht direkt hilft, auch nicht beim Einkaufen. Einige Zeit später dann aber schon; dann, wenn es mal wieder Dauerregen gibt und Hochwasser droht, oder wenn Trockenheit herrscht, wenn Wetterkapriolen vom Klimawandel künden. Dann kann das wirken, was jetzt anfangen soll.
Es ist eine lange Geschichte, in die ich das Glück hatte, zumindest so weit involviert zu sein, dass ich von ihren Anfängen weiß. Vor kurzem hat der Bundeslandwirtschaftsminister über zweiundzwanzig Fördermillionen an den BÖLW und den DBV vergeben, also an den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft und den Deutschen Bauernverband. Die beiden Verbände sollen hundertfünfzig Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland ausgucken, die mit dem Fördergeld wissenschaftlich begleitet Humus aufbauen in den von ihnen bearbeiteten Ackerböden. Damit speichern sie Kohlenstoff aus der Luft im Boden, helfen also beim Klimaschutz, und machen die Böden fruchtbarer und widerstandsfähiger, resilienter gegen Trockenheit und Sturzregen. Und am Ende sollen wir alle wissenschaftlich belegt wissen, wie das geht: Boden gut machen!
Was lange währt …
Im Februar ließ sich der immer noch neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mit dem üblich übergroßen Scheck abbilden, den es ja gar nicht mehr gibt, weshalb da jetzt Förderurkunde draufstand – und dann eine zehnstellige Zahl: 22.838.125,10 Euro Fördergeld gibt es für das Projekt „Humusaufbau in landwirtschaftlich genutzten Böden – Schwerpunkt Ackerbau“.
Die bürokratischen Vorgänge, die zu dieser ungeraden Zahl geführt haben, möchte ich mir lieber nicht vorstellen, und wofür genau die zehn Cent hinter dem Komma sind, auch gar nicht erfragen. Aber wieso kommt der Bundeslandwirtschaftsminister nach wenigen Wochen im Amt mit einem solch großen Projekt um die Ecke? Das fragte ich mich schon. Und erinnerte mich daran, dass ich während der Recherche für das Buch „Rettet den Boden“ – auch schon ein paar Jahre her – genau von solch einem Projekt erfahren hatte. Man müsste Landwirte dabei unterstützen, in ihren Ackerböden Humus aufzubauen und das wissenschaftlich begleiten, erzählte mir der damalige Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Biobauer aus Südhessen, Felix Prinz zu Löwenstein. Er hatte sich dazu mit Wissenschaftlern von Thünen getroffen, dem Forschungsinstitut des Bundeslandwirtschaftsministeriums, und er war dann mit der Idee in Berlin zum Minister gegangen. Der fand das Projekt großartig und bat darum, den Bauernverband mit hineinzunehmen. Das geschah.
Und dann geschah nichts mehr. Wie lange das her ist, ahnt man, wenn ich den Namen des damaligen Bundeslandwirtschaftsministers nenne: Christian Schmidt. Wer sich noch an ihn erinnert, tut das wohl, weil uns der CSU-Mann zum Ende seiner Amtszeit 2017 im Alleingang und gegen die Beschlusslage des Bundeskabinetts die Verlängerung der EU-Zulassung von Glyphosat bescherte.
Warum dann eine ganze weitere Amtszeit, in diesem Fall die von Julia Klöckner, ins Land gehen musste, bis das Projekt tatsächlich gestartet wird, kann auch Felix Löwenstein nicht richtig erklären. Die Ministerin hat gerne darüber gesprochen, wie wichtig der Humusaufbau in den Zeiten des Klimawandels sei, weil der Humus doch so viel von den Pflanzen aus der Luft geholten Kohlenstoff im Boden einlagere. Und wie wichtig es sei, gesunde und damit auch klimaresiliente Böden aufzubauen, die Trockenheit ebenso abpuffern können wie Starkregen. Aber sie hat das Projekt Humusaufbau nicht vorangetrieben. Wobei eine Ministerin dazu nicht mehr tun müsste, als ab und an den Referenten zu fragen, wie es um das Projekt steht. Das geschah aber nicht. Dass Julia Klöckner unter Prokrastination litt, also Verschieberitis, habe ich an dieser Stelle schon ausgiebig bedauert und dachte eigentlich, darauf nicht noch einmal zurückkommen zu müssen.
… wird Humus plus
Seis drum, jetzt endlich startet das Projekt „Humus plus“, oder, wie es im Twitterdeutsch geschrieben wird #Humus+. 150 Landwirtschaftsbetriebe werden jetzt gesucht, die mitmachen wollen. Es wird eine Ausschreibung geben, auf die sich die Betriebe bewerben können. Dann suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Thünen-Institut die geeigneten Höfe aus. Es sollen möglichst verschiedene Wirtschaftsformen abgedeckt werden und möglichst viele in Deutschland vorhandene Ackerböden und Klimazonen.
„Es gibt in vielen Betrieben schon ganz viel Kreativität und Erfahrung mit dem Humusaufbau“, sagt Felix Löwenstein, „deshalb geht es nicht darum, dass die Wissenschaft auf den Betrieben Versuche fährt, sondern darum, die Landwirtinnen und Landwirte in die Forschung einzubeziehen. Stichwort: Transdisziplinäre Forschung!“ Oder Citizen Science. Es sollen also 150 Reallabore entstehen, in denen der Humusaufbau über mehrere Jahre von Praktikern durchgeführt und wissenschaftlich begleitet wird.
Es gibt schon zahlreiche Initiativen zum Humusaufbau. Die IG gesunder Boden in Bayern mit ihren regelmäßigen Bodentagen zum Beispiel, die Stiftung Lebensraum in Rheinland-Pfalz mit ihren CO2-Prämien für Humusaufbau, den Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz, der auch in Deutschland Partnerhöfe hat. Was aber fehlt, ist die wissenschaftliche Begleitung und Aufarbeitung der verschiedenen Konzepte zur Kohlenstoffbindung in den Böden. Die soll nun das vom Thünen-Institut begleitete Projekt „Humus plus“ liefern. Am Ende soll es belastbare wissenschaftliche Daten geben und eine Datenbank mit nachvollziehbarem und reproduzierbarem landwirtschaftlichem Bodenwissen.
Es geht also nicht nur darum, neue Dinge zu erforschen, sondern auch darum, das vorhandene Wissen zusammenzufassen und zugänglich zu machen. „Wir brauchen Betriebe, die schon viel gemacht haben und machen, weil wir deren Know-how für alle verfügbar machen wollen“, sagt Felix Löwenstein, „und wir brauchen Betriebe, die mit dem Humusaufbau neu anfangen wollen, weil wir auf deren Böden erforschen können, wie es am besten funktioniert.“ Wobei es, so viel dürfte am Start schon klar sein, am Ende kein für alle funktionierendes Rezept zum Aufbau gesunder, lebendiger Böden gibt, sondern mindestens so viele Rezepte wie es Bodenarten und Klimazonen gibt.
Außerdem sollen die betriebswirtschaftlichen Daten gesammelt werden, die den Mehraufwand der Höfe für den Humusaufbau beziffern. „Wir Bauern müssen nicht nur wissen, was wir ausprobieren können, um unsere Böden zu verbessern“, sagt Felix Löwenstein, „wir müssen auch wissen, welchen Aufwand wir dafür zu betreiben haben und was das kostet.“ Er will das Wissen über den Humusaufbau, das Wissen über den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit in die Breite bringen. Und das geht nicht ohne das Wissen über Kosten und Wirkung. Und, na klar, den Betrieben, die bei „Humus plus“ mitmachen können, werden die Mehrkosten erstattet.
Jetzt aber!
Als sich die Welt bei der Klimakonferenz in Paris 2015 auf das neue Klimaschutzabkommen einigte, haben die französischen Gastgeber noch einen Vorschlag gemacht, der bahnbrechend sein könnte, wenn er denn umgesetzt würde: die Vier-Promille-Initiative. Wenn in allen landwirtschaftlich genutzten Böden in einem Jahr nur vier Promille mehr Humus aufgebaut würde, dann wäre der gesamte menschgemachte zusätzliche Treibhausgasausstoß dieses Jahres als Kohlenstoff im Boden versenkt. Weil das gerne überlesen wird, noch mal langsam: Es geht nicht um Prozent %, sondern um Promille ‰! Irgendwann wären die Böden mit Humus gesättigt. Bis dahin aber könnte es Jahre dauern, in denen uns die Landwirtschaft Zeit verschafft im Kampf gegen den Klimawandel. Deutschland hat die Vier-Promille-Initiative damals mitunterzeichnet, dann aber – mal wieder – nichts getan. Außer, das Thünen-Institut zu beauftragen, doch bitte mal zu untersuchen, ob das mit unseren Böden überhaupt funktionieren würde. Ergebnis ist das „Thünen Working Paper 112“ mit einer positiven Bewertung der französischen Initiative und konkreten Vorschlägen, wie sie in Deutschland umzusetzen wäre. Konjunktiv!
Die Weltklimakonferenz von Paris war vor bald sieben Jahren, das Projekt „Humus plus“ hat bis zum Startschuss sechs Jahre gebraucht. Jeder, der von der Klimakrise spricht, sagt irgendwann: Wir haben keine Zeit mehr. So weit, so schlecht.
Jetzt ist der Förderbescheid da. Fast dreiundzwanzig Millionen sind im Topf für die Projektdauer von zunächst sechs Jahren. Jetzt werden Mitarbeiter eingestellt bei den Verbänden und bei Thünen; es wird an einer Ausschreibung gearbeitet und dann werden noch in diesem Jahr die 150 Betriebe gesucht, die mitmachen sollen. Sie werden mehr Arbeit haben auf den Feldern, denn ohne zusätzliches Engagement wird es nicht mehr Humus geben in den Böden. Wie das Bodenleben ausreichend mit organischem Material gefüttert wird, wie die Ackerböden möglichst das ganze Jahr über eine Pflanzendecke tragen können, wie und wann und ob überhaupt gepflügt wird – das alles sind entscheidende Fragen, die sich stellen muss, wer Humus aufbauen will. Felix Löwenstein, der das Projekt noch über das Ende seiner Amtszeit als Vorstand des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft hinaus betreut, ist zuversichtlich, dass sich deutlich mehr Landwirtinnen und Landwirte melden, als am Ende tatsächlich mitmachen können. „Das Interesse ist groß in der Landwirtschaft“, sagt er. Wir haben keine Zeit mehr, also nutzen wir sie!
Und wir Verbraucherinnen und Verbraucher? Wir können beim nächsten Besuch im Hofladen mal nach der Pflege der Ackerböden fragen – und nach dem Humus. Gibt’s nicht zu kaufen. Ohne ihn gibt’s aber irgendwann nichts mehr zu kaufen. Im Supermarkt allerdings wüsste ich jetzt auch nicht, wem ich diese Frage stellen wollte, im Bioladen vielleicht schon …