Hofladen weltweit

Nein, sie sind nicht alle gleich groß und sie haben auch nicht alle eine makellose Haut: Orangen, nicht aus dem Supermarkt. | Foto: Cocoparisienne / Pixabay

Mandarinen, Schokolade, Äpfel, Nüsse. Was der traditionelle Nikolaus den Kindern bringt, kommt immer auch von weit her. Bei uns wachsen weder Mandarinen, noch der Kakao, aus dem Schokolade gemacht werden kann. Aber gerade in der bei uns dunklen Jahreszeit sind die Früchte aus dem globalen Süden besonders gefragt. Was eigentlich passt, denn zumindest die Orangen und Avocado sind dann auch reif. Dennoch verkauft uns der Handel gerade dann unreife Früchte, die oft auch noch chemisch behandelt und unfair gehandelt sind. Das können wir ändern – durch direkten Einkauf bei den Bauernfamilien.

Direkt vom Hof in Griechenland oder Spanien, oder auch Afrika, in die Kiste und per Post zu uns? Das geht. Wir können bei den Bäuerinnen und Bauern im Süden kaufen und es kommt dann eine Kiste voller Orangen, Clementinen, Ananas oder Avocados, die tatsächlich für uns geerntet sind. Der große Unterschied für uns: Die Früchte sind unbehandelte Bioqualität und sie sind reif, wenn sie geerntet werden. Das schmeckt man. Der große Unterschied für die Bauern: Es gibt feste Abnehmer und feste Preise. Und sie müssen keine Früchte mehr wegwerfen, weil sie nicht nach Supermarkt aussehen. Das sichert Zukunft.

Kunden nicht König

Begonnen hat das Ganze vor fast fünfzig Jahren. 1973 taten sich in der Schweiz die „Bananenfrauen“ zusammen, um im globalen Handel für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Warum kostet eine Kiste Bananen aus Übersee weniger als eine Kiste Schweizer Äpfel, hatten sie sich gefragt. In den 1980er Jahren gründeten sie die Arbeitsgemeinschaft Gerechter Bananenhandel – GeBana. Etwa zur gleichen Zeit entstand in Deutschland aus der Solidaritätsbewegung, die die Revolution in Nicaragua unterstützte, die erste unabhängige Fairtrade-Organisation BanaFair. Auch da ging es um Bananen. Während sich BanaFair als Händler positionierte, der die Supermärkte mit fair gehandelten Bananen beliefert, hat sich GeBana nach einigen Umwegen auf Direktvermarktung spezialisiert. Über die Zürcher gebana AG können wir derzeit im deutschen Online-Shop direkt bei bäuerlichen Betrieben in Griechenland Clementinen, Orangen oder Grapefruits bestellen. Oder in der Türkei getrocknete Aprikosen, in Tunesien Datteln, in der Dominikanischen Republik Bananen, in Italien Tomatenpassata. Alles bio, versteht sich. „Weltweit ab Hof“ ist das Motto von gebana.

Wir klicken also im Online-Shop zum Beispiel auf Orangen, können dann wählen, wann sie geliefert werden sollen – und stellen fest: Oh, die haben wir gar nicht an Weihnachten. Die kommen frühestens im Januar. „Ja“, sagt Sandra Dütschler, die Kommunikationschefin von gebana in Zürich, „das liegt daran, dass die Früchte geerntet werden, wenn sie reif sind.“ Und dann erzählt sie eine Anekdote aus der Schweiz. Dort ist der Nikolaustag ein wichtiges Fest und die Verbraucherinnen und Verbraucher sind so konditioniert, dass es zu diesem Festtag unbedingt Clementinen geben muss. „Dann rufen sie an und fragen, wo ihre Clementinen bleiben. Die sind aber halt nicht jedes Jahr pünktlich zum Nikolaustag reif. Und das müssen die Konsumenten dann halt lernen. Wir sagen ja auch: Wir ändern die Regeln des Handels! Und eine dieser Regeln ist, dass eben nicht alles zu jeder Zeit verfügbar ist. Üblicherweise heißt es ja immer: Der Kunde ist König, und man macht alles, was der Kunde will. Wir sagen: Nein, die Natur ist Königin. Die Kundin kann gar nicht Königin sein, weil sie ja gar nicht weiß, wann in Griechenland die Clementinen oder die Orangen reif sind und wann sie also bei ihr sein können. Wir betrügen die Konsumenten aber auch nicht, indem wir ihnen unreife Früchte liefern.“

„Die Natur ist Königin, nicht die Kundin“, sagt Sandra Dütschler von gebana. Die Natur entscheidet, wann die Früchte reif werden und also auch, wann sie geerntet und geliefert werden können. | Foto: privat

Wir Supermarktkunden sind allerdings anders erzogen. Wir können ab Herbst jederzeit angeblich frische Orangen kaufen, mit makelloser Schale in leuchtendem Gelb. Was die wenigsten von uns wissen: Wie diese Orangen zugerichtet wurden. Sie werden geerntet, wenn sie noch gar nicht reif sind, weil sich unreife Früchte ohne Zeitdruck transportieren lassen und sie in Klimakammern für den Einzelhandel passgenau nachgereift werden können. Zuerst werden sie nach Größe und Schönheit sortiert. Etwa ein Drittel der Ernte wird aussortiert, weil die Früchte nicht so aussehen, wie der Lebensmittelhandel das will. Nach der unsanften Behandlung in der Klimakammer werden noch einmal die aussortiert, die dadurch Schaden genommen haben. Und der Rest kommt dann in ein Seifenbad, wird mit Fungiziden gegen Pilzbefall behandelt und anschließend mit einer Wachsschicht versehen. Wer einmal Orangen am Baum gesehen hat, sollte wissen, dass die Orangen in der Realität anders aussehen als die im Supermarkt. Sie sind unterschiedlich groß, unterschiedlich gefärbt und haben auch mal Schrunden und Narben in der Haut. Natur eben. „Das müsste eigentlich jeder wissen, der schon mal einen Apfelbaum gesehen hat, der Früchte trägt. Die meisten von denen sehen auch ganz anders aus, als die Äpfel im Supermarkt“, sagt Sandra Dütschler. Wenn die gebana-Kiste kommt, dann befinden sich darin große und kleine Früchte in unterschiedlichen Formen und Farben. Das unterscheidet sie von den Südfrüchten im Supermarkt, am stärksten aber ist der Unterschied im Geschmack. Die direkt gehandelten Früchte sind reif geerntet und unbehandelt. Übrigens: „Kleine Orangen schmecken meiner Erfahrung nach süßer und besser als große,“ sagt die griechische Bäuerin Olga Aggelena in einem Film im gebana-Blog. Ich kann das bestätigen. In meiner ersten, im vergangenen Jahr direkt in Sizilien gekauften Kiste Orangen, waren auch die kleineren die besten. Wer nur im Supermarkt kauft, erfährt davon gar nichts.

Die Kisten kommen allerdings nicht ganz so direkt zu uns, wie das eigentlich sein könnte. Die Orangen, um bei denen zu bleiben, werden von den Bäuerinnen und Bauern in Griechenland reif geerntet und in Kisten gepackt, dann aber nicht direkt zur Post gebracht. „Das geht nicht, weil die Post auch in Europa noch nicht in der Lage ist, reife Früchte in angemessener Zeit zu transportieren“, sagt Sandra Dütschler. Also holt gebana die Kisten ab und transportiert sie in die Schweiz und nach Deutschland. Dort bekommen sie einen Deckel und einen Adressaufkleber und dann erst gehen sie zur Post.

Vorgestellt auf der gebana-Website: eine der Bäuerinnen, die für die Direktvermarktungskisten in Griechenland Orangen anbauen.

Weltweit ab Hof

Auch gebana hatte sich, wie die deutsche entwicklungspolitische Organisation BanaFair, zunächst als Händler versucht. Tatsächlich hatten es auch die Schweizer mit eigenen Fairtrade-Produkten in die Supermärkte geschafft. Sehr schnell aber mussten sie dann feststellen, dass die Anforderungen der Lebensmittelketten weder den Bauernfamilien im Süden noch deren Produkten gerecht werden. „Der Handel sagt uns immer, wenn er eine krumme Gurke neben eine gerade Gurke legt, bleibt die krumme im Regal liegen. Der Handel hat die Leute aber über Jahrzehnte so erzogen, dass alle glauben, nur gerade Gurken seien gute Gurken. Und Orangen sind immer orange und gleich groß und niemals klein und grün. Und weil die Kundinnen und Kunden so konditioniert wurden, sind tonnenweise Früchte unverkäuflich und werden weggeworfen“, sagt Sandra Dütschler: „Davon müssen wir wegkommen!“

Also hat die gebana AG im Süden Partner gesucht und, wo diese nicht zu finden waren, Tochterfirmen aufgebaut, die mit den Kleinbauern zusammenarbeiten: in Brasilien, in Burkina Faso, in Togo, in Benin. Die brasilianische Tochter ist 2010 fast pleite gegangen, weil die Bio-Soja der Kleinbauern mit Spuren des Insektizids Endosulfan belastet und deshalb unverkäuflich war. Das Pestizid, damals in Europa schon verboten, wurde von Bayer in Brasilien an die Großgrundbesitzer verkauft, die auf ihren Riesenfeldern gentechnisch veränderte Soja anbauen. Von dort gelangte das Gift über die Luft und den Regen zur Bio-Soja. „Chega!“ – Es reicht! So hieß die Protestaktion von gebana und den Kleinbauern, die dazu beitrug, dass der deutsche Chemiekonzern das Insektizid vom Markt nahm. Zwei Jahre später wurde es weltweit verboten.

Die gebana-Tochter in Burkina Faso gerät dann 2017 in Schieflage, weil die Mango-Ernte schlecht ausfällt und gleichzeitig Cashew knapp ist. Mit einer Crowdfunding-Aktion wurde die Firma gerettet. „Unsere Kunden haben uns Geld gegeben für Mango und Cashew, die wir erst fünf Jahre später liefern. Das war ein sogenanntes kreatives Finanzierungsinstrument, gewissermaßen lauter kleine Darlehen, die die Leute vergeben haben“, sagt Sandra Dütschler. Und weil das so gut geklappt hat, wird jetzt via Crowdfunding in Burkina Faso größer investiert. Weitere tausend Arbeitsplätze auf dem Land sollen aufgebaut und gesichert werden. In der Krise ist uns klar geworden, erzählt Sandra Dütschler, „dass wir gerade an den Orten, wo es schwierig ist, Firmen aufbauen wollen, die irgendwann eigenständig wirtschaften. Arbeitsplätze müssen auch auf dem Land entstehen und die Kleinbauern müssen dadurch abgesichert werden, dass sie einen sicheren Zugang zum Markt bekommen. Unser Ziel ist nicht, dass die alle so klein belieben, wie sie jetzt sind. Viele Familien haben ja heute immer noch kaum mehr als einen Hektar Land. Davon können sie nicht leben. Es muss schon auch Entwicklung in die bäuerliche Landwirtschaft, aber sie soll kleinräumig bleiben und verschiedene Kulturen anbauen, weil wir gleichzeitig auch auf die Biodiversität achten.“ In Tunesien hat das übrigens schon geklappt mit der irgendwann eigenständig wirtschaftenden Firma. Die ehemalige gebana-Tochter dort ist inzwischen ein eigenständiger Handelspartner nicht nur von gebana.

Stolzer Post auf der Website der jungen Direktvermarktungsorganisation CrowdFarming aus Spanien.

Auch anderswo funktioniert die Idee der Direktvermarktung über die Grenzen hinweg. 2017 haben sich in Spanien ein paar Junglandwirtinnen und Junglandwirte zusammengetan und CrowdFarming gegründet. Das ist die Organisation, über die ich meine erste Orangenkiste direkt in Sizilien gekauft habe. Sie ist schnell gewachsen und hat ihr Netzwerk rasch über Spanien hinaus geknüpft und ein internationales Team aufgebaut. In diesem Jahr hat CrowdFarming seinen ersten „Wirkungs- und Transparenzbericht“ veröffentlicht. Darin ist auch zu lesen, dass das Unternehmen noch rote Zahlen schreibt, und auch, auf welche gewaltige Anzahl von Anrufen und Mails das Team im vergangenen Jahr reagieren musste: 204.289 Mails und 33.000 Anrufe. Die Direktvermarktung von einer halben Million Obstkisten von über hundert Betrieben hat CrowdFarming vergangenes Jahr abgewickelt. Im Vergleich mit gebana ein kleines Unternehmen, aber die Idee der Direktvermarktung über die Grenzen hinaus, hat deutlich Zuwachs.

Nur: Was macht man eigentlich mit einer ganzen Kiste Orangen? Zum Beispiel Saft und Marmelade, oder man teilt sie mit Freunden. Kühl gelagert halten sich auch die reif geernteten Früchte übrigens sehr gut zwei oder drei Wochen lang.


Direkt zur deutschen Seite von gebana: https://www.gebana.com/de/

Direkt zur deutschen Seite von CrowdFarming: https://www.crowdfarming.com/de